24. September 2024
Interview: Einführung Datenanalyse-Tool in Personalabteilung
„Am Ende muss immer ein Mensch die Entscheidung treffen – nicht die Technik“
Bei Bosch soll ein Datenanalyse-Tool die Arbeit der Personalabteilung erleichtern. Kerstin Mai, Vorsitzende des Konzernbetriebsrats, spricht im Interview über Chancen und Risiken der Technik – und, wie sie die Nutzung des Systems mittels Betriebsvereinbarung gestaltet haben.

Liebe Kerstin, ihr habt gerade eine Konzernvereinbarung abgeschlossen, die Einführung und Benutzung eines HR-Datenanalyse-Tools regelt, das so genannte „HR-Analytics Ecosystem“. Was hat es mit diesem Tool auf sich?

Das System soll vor allem die Arbeit im Personalbereich unterstützen. Und das ist wichtig, denn die wirtschaftliche Situation ist auch für unser Unternehmen herausfordernd: Zukunftsprognosen sind schwieriger zu erstellen, auch Personalplanung, Mitarbeiterführung und Fachkräftegewinnung ist anspruchsvoller geworden. Mit dem jetzt eingeführten Tool wird das Ziel verfolgt, eine so genannte „datenorientierte“ HR-Arbeit zu etablieren. Es geht also vor allem darum, bereits im Unternehmen vorhandene Daten so aufzubereiten und nutzbar zu machen, dass der Personalbereich sich weniger mit der Gewinnung, Zusammenstellung und Aufbereitung der Daten beschäftigen muss, sondern sich stärker auf die Interpretation und andere strategische Aufgaben konzentrieren kann. Schlussendlich sollen durch aktuelle, transparente und objektivere Daten auch die Beschäftigten davon profitieren.

Kerstin Mai, Vorsitzende des Konzernbetriebsrats bei Bosch.

Was sind das für Daten, die zusammengestellt werden?

Mit dem System ist es möglich, komplexe Datensätze zu generieren; Daten, die über übliche steckbriefartige Informationen wie Name, Alter oder Ausbildungsstand der Beschäftigten deutlich hinausgehen. Es sind Daten, die zum Beispiel nicht nur den Ausbildungsstand eines Beschäftigten dokumentieren, sondern auch dessen weiterführende Fähigkeiten aufnehmen, erworbene Qualifikationen, persönliche Kompetenzen. Generell kann man sagen: Das Tool versammelt Daten, die die Personalplanung, also das Recruiting, die Personalauswahl oder das Onboarding erleichtern. Zudem können sie nutzbar gemacht werden für Fragen der Personalführung und -strategie. Da geht es dann um Themen wie Qualifizierung und Wissensmanagement, aber auch um Karrierewege und Laufbahnoptionen für Beschäftigte sowie – sehr wichtig – um gutes Gesundheitsmanagement.

 

Was war Euch als Betriebsrat wichtig bei den Verhandlungen über die Einführung des Systems? 

Für uns als Betriebsrat war klar: Ja, solch ein System kann Personalplanung, Personalführung erleichtern, mittel- und unmittelbar können die Beschäftigten davon profitieren. Zugleich aber war uns von Anfang an eben auch sehr bewusst, dass dieses Datenanalyse-Tool mit großen Risiken behaftet sein kann – eben, weil es personenbezogene Daten verarbeitet. Wir sind deshalb mit festen Leitplanken in die Verhandlungen mit dem Unternehmen gegangen.

 

Welche Leitplanken waren das?

Zunächst einmal geht es um eine hohe Transparenz. Wir wollten keine eigenständigen Entscheidungen durch das System ermöglichen, sondern weiterhin immer durch verantwortliche Menschen im jeweiligen Prozessschritt. Wir bestanden weiterhin darauf, dass eine regelmäßige und systematische Analyse und Bewertung von Risiken durchgeführt wird und dass der Einsatz des Systems fortlaufend und kritisch evaluiert wird. Und natürlich war und ist eine kontinuierliche Einbindung von uns Arbeitnehmervertretern elementar. Wichtig zu sagen ist an dieser Stelle aber auch: Es ging uns nie darum, den Einsatz des Systems unnötig einzuschränken oder gar zu torpedieren. Auch uns war daran gelegen, Handlungs- und Vertrauensmöglichkeiten für die fachbasierte Nutzung einzuräumen. Auch wir als Betriebsrat wollten eine optimale Nützlichkeit des Systems und damit hohe Akzeptanz bei allen Beteiligten erreichen. Aber damit das gelingt, müssen halt elementare Voraussetzungen erfüllt sein.

 

Was habt ihr in Eurer Konzernvereinbarung konkret geregelt?

Die Vereinbarung kann man in zwei unterschiedliche Regelungsdimensionen unterteilen. Im ersten Teil sind die, aus unserer Sicht, klassischen Felder adressiert, wie wir sie für jedes IT-System definiert haben. Wir haben den Zweck des Tools bestimmt, die eingesetzte Technik beschrieben, die Zugriffsrechte geregelt. Hier waren uns vor allem gleichberechtigte Zugriffe für die Arbeitnehmervertretungen wichtig. Und noch etwas ist an dieser Stelle wichtig: Das Analytics System wird von Bosch betrieben. Das ist auch in der Regelung festgeschrieben. Das bedeutet: Es gibt ein festes Team und Bosch-Verantwortliche, die zuständig für den Betrieb und die Weiterentwicklung sind. Diese sind auch die Ansprechpartner der Arbeitnehmervertretungen. Die interne Zuständigkeit war für uns eine wichtige Voraussetzung mit dem System zu starten und dafür auch unsere Freigabe zu geben.

 

Warum?

Unsere Erfahrung ist, dass die Zusammenarbeit mit internen Fachleuten in der Regel gut und konstruktiv läuft. Die Fachleute sind oft an einem aktiven Austausch mit uns interessiert. Wir Arbeitnehmervertreter sind mal „moralischer Kompass“, mal Quality-Gate in diesem Zusammenspiel. Abgesehen davon sehen wir in diesem Prozess auch für uns die Chance zu lernen und mit den Aufgaben und der veränderten Verantwortung zu wachsen.

 

Welche Regelungen habt ihr darüber hinaus getroffen?

Es ist uns gelungen, Regelungen durchzusetzen, die uns Arbeitnehmervertretungen in die Lage eines wesentlichen Players bei der regelmäßigen Evaluation, Bewertung und Ausweitung des Systems versetzen. Wir werden hier mit einer anderen Qualität eingebunden und übernehmen damit auch eine andere Verantwortung

 

Wie schaut diese Verantwortung bei der Bewertung und Ausweitung des Systems konkret aus?

Wir haben zur Bewertung und Freigabe einen sogenannten „Quick-Check“ als Ampelsystem definiert. In diesem sind Basiskriterien festgeschrieben, die zu prüfen und von uns als Konzernbetriebsrat als beschlussfassendes Gremium zu bewerten sind. Es geht hier um eine Technik-Folgenabschätzung. Wir haben insgesamt sechs Kriterien aufgestellt, und bei jedem Kriterium wird bewertet, welche Auswirkung das System hat.

 

Welche Kriterien werden untersucht – und wie wird das gemacht?

Die Fragen, die wir unserer Gesamtbewertung des Systems zugrunde legen, sind: Gibt es einen Schutz vor Leistungs- und Verhaltenskontrolle, wird dem Rechtsgrundsatz des Datenschutzes Genüge getan, bleiben Arbeitsaufgaben stabil, sind Qualifikationen der Beschäftigten vorhanden, ist das System benutzerfreundlich aufgebaut und hat es, schließlich, überhaupt eine Relevanz für das Unternehmen? Die Ampelmechanik, mit der diese Fragen beantwortet werden, mutet zunächst sehr simpel an, sie erstreckt sich von „Trifft überhaupt nicht zu“ bis „Trifft zu“. Wichtig ist hier: Damit nicht nur irgendwie oder mit Bauchgefühl bewertet wird, gibt es für jeden Punkt eine ausführliche, qualitative Beschreibung darüber, was unter „Trifft zu“ oder eben „Trifft überhaupt nicht zu“ zu verstehen ist. Auf dieser Grundlage ist es dann möglich, das Ampelsystem einzusetzen – und auf der Grundlage dieses Systematik Bewertungen vorzunehmen und letztlich Entscheidungen zu treffen.

 

Wie ist Dein Ausblick für die Zukunft? Was ist jetzt zu tun?

Wir stehen erst am Anfang, das System befindet sich im Aufbau. Der Weg ist gestartet, aber noch nicht abgeschlossen. Es gibt noch technisch-infrastrukturelle Herausforderungen, und dann muss natürlich weiter und fortlaufend die sinnvolle Nutzung des Systems gestaltet und bewertet werden. Wenn alles gut läuft, dann profitieren alle Seiten von diesem Analytics System: Entscheidungen, die auf Bauchgefühl und Einzelmeinung beruhen, werden dann seltener, datenbasierte Erkenntnisse und Diskussionen dagegen zunehmen. Das ist gut. Aber es wird dann auch noch so sein, dass die Interpretationsspielräume der Daten nicht verschwinden. Die Interpretationsspielräume werden, eben aufgrund unterschiedlicher Motivationen und Perspektiven auf die Daten, auch in Zukunft weiterhin erhalten bleiben. Und das ist auch gut so.


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