Es ist Ende August, als Miriam Bürger in den Regierungsflieger steigt. Die Tarifsekretärin für Textile Branchen der IG Metall tritt ihre Reise gemeinsam mit Mitgliedern des Bundestages und Vertretern deutscher Unternehmen an. Das Ziel liegt tausende Kilometer entfernt und ist ein wichtiges Produktionsland für Textilien: Pakistan.
Eingeladen hat Entwicklungsministerin Svenja Schulze. Zusammen mit der Ministerin verbringt die Delegation drei Tage in dem südasiatischen Land. Dabei soll sich alles rund um die Themen Textilindustrie sowie nachhaltige und faire Lieferketten drehen. „Wir haben in den Tagen Betriebe besucht, mit Beschäftigten und Gewerkschafterinnen gesprochen“, berichtet Miriam Bürger. „Der Fokus der Reise war, sich über die Umsetzung des deutschen Lieferkettengesetz in Pakistan zu informieren.“
Seit Anfang 2023 ist das Gesetz mit dem langen Namen in Kraft. Es regelt die unternehmerische Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz in globalen Lieferketten. Denn Kinderarbeit, gefährliche Arbeitsplätze und die Verhinderung von Gewerkschaftsarbeit sind in den weltweiten Lieferketten keine Seltenheit. „Mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz werden multinationale Unternehmen mit Sitz in Deutschland erstmals verbindlich in die Verantwortung genommen. Denn wirtschaftliche Aktivitäten von Unternehmen haben Auswirkungen, die vielleicht erst einmal nicht intendiert sind, aber trotzdem stattfinden“, erklärt Romy Siegert, bei der IG Metall zuständig für Gewerkschaftspolitik in Asien. „Zu sagen: Wir können da nichts machen, es handelt sich um die Verantwortung unserer Zulieferer, ist mit dem Gesetz so nicht mehr drin“, führt Romy aus.
Multinationale Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten sind durch das Gesetz verpflichtet, menschenrechtliche und umweltschutzbezogene Risiken zu analysieren. Sie müssen daraus Präventions- und Abhilfemaßnahmen entwickeln, Beschwerdemöglichkeiten einrichten und über ihre Aktivitäten berichten.
Wie genau sich das in der Praxis umsetzen lässt, konnte sich Miriam Bürger gemeinsam mit der Ministerin in Pakistan anschauen. „Wir haben einen Betrieb besucht, in dem ein Programm zum Thema Arbeitssicherheit auf den Weg gebracht wurde. Beschäftigte wurden qualifiziert und zu Sicherheitsbeauftragten ausgebildet“, erzählt Miriam. Oft sind es vermeintlich simple Maßnahmen, die die Arbeitssicherheit verbessern - wie das Aufstellen von Ventilatoren bei über 40 Grad in den Fabrikhallen oder die Bereitstellung von ausreichend Trinkwasser. „Mit solchen Maßnahmen lassen sich die Arbeitsbedingungen schon gravierend verbessern. Und so geht es dann immer weiter. In kleinen Schritten - wie bei uns in den Betrieben auch.“
Es sind Programme zum Thema Arbeitsschutz, gezielter Frauenförderung oder die faire Bezahlung von Beschäftigten, die Miriam in Pakistan zeigen: Das Lieferkettengesetz hat Auswirkung auf die Beschäftigten in Pakistan. Im Austausch mit Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern vor Ort wird aber auch deutlich: Neben den positiven Einzelbeispielen gibt es auch weiterhin eine Vielzahl an Problemen.
Eines davon ist die große Anzahl an undokumentierter Arbeit. Über 90 Prozent der Arbeit in Pakistan findet ohne Arbeitsvertrag statt. „Für „Undokumentierte“ gibt es keine Möglichkeit, Rechte geltend zu machen, keine Sozialversicherung, kein Recht auf Vergütung. Es ist eine komplett rechtlose Situation“, berichtet die Tarifsekretärin. Und selbst wenn die Unternehmen im Rahmen der Einhaltung des Lieferkettengesetzes genau das überprüfen, wird die Situation vieler Beschäftigter oft nicht erfasst. Eine Mischung aus Stammbelegschaft und Beschäftigten von Drittfirmen führt dazu, dass bei der Überprüfung nicht auffällt, dass ein hoher Anteil der Arbeit ohne Arbeitsvertrag stattfindet. „Wenn die Menschen keine Arbeitsverträge haben, lässt sich überhaupt nicht sicherstellen, ob Arbeitsstandards überhaupt eingehalten werden“, erzählt Bürger und fordert: „Das muss besser erfasst werden!“
Im Gespräch mit den pakistanischen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern wird außerdem deutlich: Die große Anzahl an undokumentierter Arbeit erschwert es ihnen, die Beschäftigten zu organisieren. Zwar müssen die Unternehmen nach dem Lieferkettengesetz Maßnahmen ergreifen, um sicher zu stellen, dass ihre Zulieferer die Vereinigungsfreiheit der Arbeitnehmer gewährleisten. Doch die fehlenden Arbeitsverträge erschweren die Bildung von Beschäftigtenvertretungen. Denn die Angst vor einem Jobverlust schreckt viele Beschäftigte davon ab, sich zu engagieren oder einer Gewerkschaft beizutreten.
„Der geringe Organisationsgrad der Gewerkschaften in Ländern wie Pakistan, wo es gesetzliche Einschränkungen, hohe Hürden für die Etablierung von Gewerkschaften sowie ein restriktives Streikreicht gibt, macht es unseren Kolleginnen und Kollegen vor Ort schwer, Verbesserungen voranzutreiben und den Arbeitgebern wirkmächtig entgegenzutreten“, erklärt Romy Siegert. Dabei ist eine nachhaltige Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten nur durch Beschäftigtenvertretungen und Gewerkschaften möglich. „Daher ist es wichtig, dass wir nicht weggucken. Dass wir in den Betrieben in Deutschland, wo das Gesetz umgesetzt werden muss, Druck machen, dass die Unternehmen ihrer Verantwortung auch wirklich nachkommen“, betont Miriam Bürger. „Im Grunde sind das dort ja auch unsere Kolleginnen und Kollegen. Ohne sie könnten wir auch hier in Deutschland kein Geld verdienen.“
Mitbestimmung macht was?! Podcast zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz