8. November 2023
Tag gegen Gewalt gegen Frauen
„So etwas gibt es auch bei uns?“ - Sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz
Durchschnittlich erlebt jede Frau in Deutschland einmal in ihrem Leben sexualisierte Gewalt. Am Arbeitsplatz wurde jede elfte Person schon einmal sexuell belästigt . Das Thema

Ein anonymer Brief einer Betroffenen von sexualisierter Gewalt – so etwas hatte es im Betriebsratsbüro von Binali in seinen fast 15 Amtsjahren noch nicht gegeben. Die Kollegin berichtete in dem Brief von massiven körperlichen Übergriffen im Arbeitsalltag. Kein Hinweis, von welcher Kollegin der Brief gekommen ist oder wer der Täter ist, aber mit dem klaren Handlungsauftrag: Bitte werdet aktiv. Binali und der gesamte Betriebsrat sind sofort ins Handeln übergegangen. „Erst haben wir unsere Geschäftsführung informiert und klargemacht: Wir wollen eine Betriebsvereinbarung zu partnerschaftlichen Verhalten und eine Beschwerdestelle für solche Vorfälle.“

Von solch einer Betriebsvereinbarung und der Beschwerdestelle hatte Binali überhaupt erst in einem Seminar der IG Metall gehört. Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ist der Arbeitgeber verpflichtet, eine innerbetriebliche Beschwerdestelle für Fälle von Benachteiligung oder sexueller Belästigung einzurichten. In den wenigsten Betrieben ist das bislang der Fall, weil das Gesetz nicht bekannt genug ist und es keine Sanktionen gibt, wenn keine Beschwerdestelle eingerichtet wird.

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Jede elfte Person betroffen

Im Fall des anonymen Briefes musste die Geschäftsführung nicht überzeugt werden. Der Betriebsrat konnte die Betriebsvereinbarung und die Beschwerdestelle direkt in Angriff nehmen. In einer Betriebsversammlung wurden die Beschäftigten auf den Brief aufmerksam gemacht und für das Thema sensibilisiert. „Als wir über das Thema berichtet haben, hat absolute Stille geherrscht. Man konnte die Betroffenheit spüren. Danach sind viele zu uns gekommen und haben gesagt: `So etwas gibt es auch bei uns?`“, berichtet Binali.   

So etwas kommt – vertraut man den Statistiken, hinter denen große Dunkelziffern vermutet werden – ziemlich häufig am Arbeitsplatz vor. Jede elfte erwerbstätige Person hat bereits sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Frauen sind doppelt so häufig wie Männer betroffen. Der Fall in Markus Betrieb zeigt, wie schwer es für die Betroffenen ist, sich an jemanden zu wenden. Auch das Verständnis, was unter sexualisierte Gewalt fällt, muss Betroffenen und ihrer Umwelt häufig erst noch bewusst gemacht werden. Laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zählen auch Bedrohungen, Beschimpfungen, Belästigungen und die Kontrolle durch zum Beispiel den Partner oder die Partnerin zu einer Form der Gewalt.

In Daniels Betrieb kam im Verlauf des letzten Jahres gleich zu mehreren Fälle von sexualisierter Gewalt auf. Auch er wurde als Betriebsrat in einem Fall hilfesuchend von einer Auszubildenden angesprochen. Ihr Kollege schrieb ihr auf ihr privates Handy aufdringliche Nachrichten. Wie damit umgehen? „Uns als Betriebsrat war klar: Wir müssen hier unterstützen und eingreifen, wenn es die Kollegin wünscht“, sagt Daniel. Da die Nachrichten zu Beginn noch Interpretationsspielraum hatten, hat die Auszubildende genau protokolliert, welche Nachrichten folgten. Der Kollege äußerte sich auch wiederholt abfällig über die betroffene Auszubildende im Betrieb. „Wir haben es ab da erst einmal wie einen Mobbingfall behandelt“, sagt Daniel.


Hilfe anbieten und Verbündete suchen

Bald war dem Betriebsrat klar: Nun muss der Kollege mit seinen Taten konfrontiert werden. „Wirklich einsichtig war er nicht“, sagt Daniel. „Er hat es heruntergespielt.“ Doch dann hat der Betriebsrat die nächste Eskalationsebene aktiviert, es gab Gespräche mit der Personalleitung und Abteilungsleitung. Am Ende des Eskalationsprozesses hat sich die Kollegin in Ausbildung unterstützt gefühlt, weil sie nicht mehr mit dem aufdringlichen Kollegen zusammenarbeiten musste und ihm auch nicht in der selben Schicht über den Weg laufen musste. Er wurde ermahnt und die Belästigungen auf dem privaten Handy hörten damit auf.

Unterstützung erhalten, ein Hilfsangebot erfahren – das alles können wichtige Hilfeleistungen für Betroffene sein. Die IG Metall macht sich in den Betrieben dafür stark, dass Aktive geschult werden um solche Hilfeleistungen anzubieten. Der Handlungsauftrag muss dann in einem zweiten Schritt von den Betroffenen erfolgen. Am 25. November ist der Tag gegen Gewalt gegen Frauen. In diesem Jahr lautet die Botschaft der IG Metall: Um gegen die Gewalt vorzugehen, müssen auch gezielter die männlichen Kollegen als potentielle Verbündete angesprochen werden.

Florian Brembs ist so ein Verbündeter. Er hat sich als Jugend- und Ausbildungsvertreter intensiv in IG Metall Seminaren und privat mit dem Thema auseinandergesetzt und sich dann als Kollege für das Thema Gleichstellung stark gemacht, hat sich auf die Seite von Betroffenen gestellt, wenn Fälle von Diskriminierung und Belästigung sichtbar wurden. Seine Botschaft an die Kollegen in den Betrieben lautet: „Wir müssen uns mehr mit unseren Emotionen auseinandersetzen, ehrlich sein zu uns selbst, wo unsere Unzufriedenheit eigentlich begründet liegt und nur so hören wir auf, sie an anderen auszulassen.“

 

Die IG Metall bietet nicht nur Materialien und Seminare rund um das Thema sexualisierte Gewalt, Aktive können auch individuell beraten werden. Ihr wollt eine Betriebsvereinbarung zu partnerschaftlichen Verhalten auch bei Euch im Betrieb umsetzen und eine Beschwerdestelle anstoßen? Dann meldet Euch bei dem Resoort Frauen und Gleichstellung der IG Metall unter folgender Mail-Adresse: frauen@igmetall.de.


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