Die Fachkräftesicherung ist zweifellos eine zentrale Zukunftsfrage. Doch die Lage ist komplex. Während viele Betriebe offene Stellen beklagen und sich schwertun, Fachkräfte zu finden, steht bei anderen Personalabbau an der Tagesordnung. In manchen Betrieben finden sich beide Phänomene gleichzeitig. In der IG Metall-Betriebsrätebefragung aus dem Frühjahr 2024 sagen aber über 80 Prozent der Betriebe, dass es zumindest teilweise schwierig ist, Fachkräfte zu finden. Dieser Trend könnte sich in den kommenden Jahren verstärken, u.a. auch weil die geburtenstarken Jahrgänge das Renteneintrittsalter erreichen. Union und FDP schlagen eine Reihe von Maßnahmen vor, die jedoch keine Lösungen liefern, sondern neue Probleme schaffen:
- Steuerliche Besserstellung von Überstunden: Sowohl Union als auch FDP wünschen sich eine steuerliche Besserstellung von Überstunden, damit die Bereitschaft mehr zu arbeiten, zunehme. Tatsächlich machten die Beschäftigten in Deutschland allein im Jahr 2022 über 1,3 Milliarden Überstunden. 702 Mio. davon waren unbezahlt – ein skandalöser Zustand – und fast schon zynisch wirkt es da, eine steuerliche Besserstellung zu fordern. Hinzu kommt: Das Experiment einer steuerlichen Besserstellung von Überstunden wurde bereits in Frankreich im Jahr 2007 gemacht. Die Folge: Nicht die Zahl der gearbeiteten Stunden stieg, sondern die Zahl der berichteten Überstunden. Letztlich drohen also Mitnahmeeffekte und Steuerausfälle für den Staat.
- Abschaffung der Rente mit 63: Die FDP fordert eine sofortige Abschaffung der Rente mit 63, da sie dem Arbeitsmarkt wertvolle Fachkräfte entziehen würde. Dieser Mythos hält sich hartnäckig, bleibt aber dennoch falsch. Unterschlagen wird, dass das Renteneintrittsalter für eine abschlagsfreie Frührente bereits heute schrittweise auf 65 Jahre angehoben wird und auch nur für Menschen gilt, die 45 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben. Außerdem gibt es bereits heute die Möglichkeit und genügend Anreize für all diejenigen, die freiwillig länger arbeiten wollen. Eine Ab schaffung der Rente mit 63 ist deshalb nichts anderes als eine Rentenkürzung durch die Hintertür.
- Arbeitszeitregelungen: Die Union möchte die tägliche Höchstarbeitszeit aufweichen und „mehr Flexibilität“ bei der Arbeitszeiterfassung. Das Arbeitsschutzrecht ist kein Hebel für Mehrarbeit – es sind wertvolle Schutzrechte, deren Beschränkung keine weitere Arbeitskraft in den Arbeitsmarkt bringt.
All diese Vorschläge gehen einseitig zu Lasten der Beschäftigten und sind keine solidarischen, zukunftsweisenden Antworten. So sind in der Fachkräftefrage zunächst einmal die Arbeitgeber gefordert. Was es braucht, sind gute Arbeitsbedingungen und Löhne, Arbeitszeiten, die zum Leben passen sowie Investitionen der Arbeitgeber in die Qualifikationen ihrer Beschäftigten und des Nachwuchses. Es sind aber auch politische Weichenstellungen nötig, um die Frauenerwerbsarbeit zu erhöhen, Arbeitslose besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren und faire Fachkräfteeinwanderung zu ermöglichen.