Wir wollen sichtbar sein als die Akteurin im Betrieb, die für Verbesserungen beim Entgelt oder der Arbeitszeit sorgt. Bildung soll zur aktuellen Praxis im Betrieb passen. Das ist der Kern der Tarifpolitischen Bildungsoffensive. Einige Betriebe haben sich bereits auf den Weg gemacht, zum Beispiel Rheinmetall in Kassel.
„Das Thema Eingruppierung haben wir schon länger im Köcher. Viele fragen sich, ob das, was sie verdienen, wirklich zu dem passt, was sie tun. Anfang 2024 nahmen wir plötzlich Fahrt auf. Die Geschäftsführung war einverstanden, die Stellenbeschreibungen für die Eingruppierung der Mitarbeitenden neu zu erstellen“, erinnert sich Katja Burose, Betriebsratsvorsitzende von Rheinmetall in Kassel. „In unserem Gremium ist noch genau eine Person, die bei der Einführung des Entgeltrahmentarifvertrages 2008 dabei war. Wir brauchten also mehr Kompetenz und einen Plan.“
Da kam die Tarifpolitische Bildungsoffensive (TPBO) der IG Metall ins Spiel. Ihr Ansatz ist die passgenaue Verknüpfung von Bildung und Praxis in Modulreihen, die 10 Seminartage auf bis zu 9 Monate verteilt. Während man das Fachwissen aufbaut, wird zwischen den Seminaren an einem betrieblichen Projekt gearbeitet. Die Wahrscheinlichkeit, dass es beim Rüstungsunternehmen zu Differenzen bei der Arbeitsplatzbeschreibung kommt, ist hoch. In den riesigen Hallen herrscht eine Art Manufakturbetrieb. Marder und Fuchs kommen nicht vom Fließband.
„Du drehst hier nicht immer dieselben drei Schrauben ein, sondern hast eine große Brandbreite und Komplexität, die viel Know-How benötigt. Da muss man bei jedem Arbeitsplatz genau hinsehen und die Leute beteiligen. Wir haben also nicht nur ERA gebüffelt, sondern uns zeitgleich eine Pilotabteilung gesucht, wo wir Interviews mit den Leuten führen. Die Vertrauensleute wurden auch gleich miteingebunden, damit sie das Projekt in jeden Winkel tragen“, erklärt der Leiter des Vertrauenskörpers Björn Nobel-Heise.
Die Ziele des Betriebsrates sind klar: Niemand soll in diesem Prozess Entgelt verlieren. Wo es gerechtfertigt werden kann, soll höhergruppiert werden. Die TPBO vermittelte neben dem Fachwissen auch die Prozesskompetenzen dafür. In Kampagnenschritten wird systematisch das Erlernte in die Praxis übertragen.
Bis hierin zieht Katja ein positives Fazit: „Seit wir das angefangen haben, erleben wir nochmal einen Unterstützungsschub in der Belegschaft. Wir sind durch neue IG Metall Mitglieder gestärkt worden und haben einen Wissensvorsprung gegenüber der Personalabteilung gewonnen, mit der wir weiterhin vertrauensvoll zusammenarbeiten. Damit sind wir gut gerüstet, um das Thema zum Erfolg für die Beschäftigten zu führen.“
Auch in Lüdenscheid in Nordrhein-Westfalen hat der Kollege Jacob Riemekasten an einer TPBO-Bildungsreihe der Geschäftsstelle Märkischer Kreis teilgenommen. „Das Thema Entgelt sorgt bei der Belegschaft immer schnell für persönliche Betroffenheit. Bei uns im Betriebsratsgremium war das Thema bislang überwiegend von älteren Kolleginnen und Kollegen besetzt. Da ich mit Anfang 30 zu den jüngeren Betriebsratsmitgliedern gehöre, war ich gleich begeistert, dass ich mit dieser Qualifizierungsreihe genau hier ansetzen kann.“
Wegen der angepassten Länge der Bildungsreihe kann in die Tiefe gegangen werden. Erlerntes wird zwischen den Modulen angewendet und dann gemeinsam im nächsten Modul besprochen. „Ich bin nun ganz anders aufgestellt. Ich kann gegenüber dem Arbeitgeber qualifiziertere Fragen zur Eingruppierung stellen und so Angriffe auf diese verhindern. Wir merken, dass auch auf der Arbeitgeberseite die ERA-Kompetenz der Demografie zum Opfer fällt. Umso besser, wenn wir die Expertinnen und Experten in Entgeltfragen sind.“ kann Jacob zusammenfassen. Wissen vertiefen, es auf mehrere, zunehmend jüngere Schultern zu verteilen und einfach wieder Oberhand in ERA-Fragen zu gewinnen, kann also ein Ergebnis einer TPBO-Reihe sein.
Du hast das Gefühl, die Tarifpolitik im Betrieb könnte jenseits von Tarifrunden nachhaltiger sein? Das IG Metall Projekt TPBO läuft bis Juni 2027. Für diesen Zeitraum sind zusätzliche Personalkapazitäten und Ressourcen bereitgestellt. In jedem Bezirk gibt es Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner.
Tanja-Silvana Nitzschke für Baden-Württemberg
Anja Diegmüller für Textile Branchen
Lars Wetzel für Holz und Kunststoff