Arbeitszeit – sicher, gerecht, selbstbestimmt
Arbeitszeit, die zum Leben passt

Ob Schichtarbeiter oder Einkäuferin, Berufseinsteigerin oder langjährig Beschäftigter: So unterschiedlich wie die Menschen, so unterschiedlich ist ihr Privat- und Arbeitsleben. In einem Punkt sind sich jedoch alle einig: Sie wollen Arbeitszeiten, die zu ihrem Leben passen.

19. Mai 201719. 5. 2017


Die Menschen haben ein gutes Gefühl dafür, wann ihr Leben aus der Balance gerät, wann das Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben nicht mehr stimmt. Wie ausgeglichen es ist, hängt für alle von denselben Faktoren ab. Die 35-Stunden-Woche ist die Wunscharbeitszeit der meisten Beschäftigten. Dazu kommt: Wo Tarifverträge gelten und Betriebsräte auf die Arbeitszeiten achten, sind Beschäftigte mit ihren Arbeitszeiten deutlich zufriedener als dort, wo sie nicht gelten. Das sind zentrale Ergebnisse unserer Beschäftigtenbefragung. Mehr als 680 000 Menschen beteiligten sich an ihr. Sie ist damit die bislang größte und umfangreichste Befragung in Deutschland.

Die einen stehen am Anfang ihres Berufslebens und wollen eine Familie gründen. Die anderen haben 30 Jahre auf dem Buckel und möchten ihrer Gesundheit zuliebe kürzer treten. Die einen leiten ein Team mit 30 Leuten, die anderen schlagen sich als Einzelkämpfer im Außendienst durch. So unterschiedlich wie die Menschen, so unterschiedlich ist ihr Privat- und Arbeitsleben. Nur in einem Punkt unterscheiden sie sich nicht: Egal ob Schichtarbeiter oder Einkäuferin, alle wollen Arbeitszeiten, die zu ihrem Leben passen.

Die 35-Stunden-Woche ist die Wunscharbeitszeit der meisten Beschäftigten. Und ob Arbeitszeiten besser oder schlechter zum Leben passen, hängt für alle Beschäftigten mit den gleichen Dingen zusammen. Das sind zentrale Ergebnisse der Beschäftigtenbefragung der IG Metall zu den Arbeitszeiten in ihren Branchen.


Beschäftigte, die mit ihrer Arbeitszeit zufrieden sind...

 

  • haben oft Arbeitszeiten, die in etwa ihrer Wunscharbeitszeit entsprechen.
  • haben meist planbare Arbeitszeit.
  • können häufig eine Zeit lang auch mal kürzer arbeiten.
  • können ohne Probleme auch mal später zur Arbeit kommen oder früher gehen.


Beschäftigte, die unzufrieden sind mit ihrer Arbeitszeit...

 

  • haben häufig überlange Arbeitszeiten.
  • müssen oft am Wochenende arbeiten.
  • haben häufig keine planbaren Arbeitszeiten.
  • setzen Leistungsanforderungen öfter unter Zeitdruck.


Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, zieht daraus den Schluss: „Wir können überall an den gleichen Hebeln ansetzen, um die Arbeitszeiten zu verbessern.“ Und sie so verbessern, dass Beschäftigte Sicherheit haben, die Arbeitszeit gerecht verteilt wird und es ihnen möglich ist, Arbeit und Leben selbstbestimmt zu gestalten. „Eine solche neue Arbeitszeit hat nichts mit dem rückwärtsgewandten Bild vieler Arbeitgeber gemeinsam“, sagt Hofmann. „Wir müssen das Mantra der Arbeitgeber ‚Vollzeit‘ plus Überstunden plus Flexibilität plus Leistungsdruck’ durchbrechen. Das sind keine Arbeitszeiten, die zum Leben passen.“ Das geht nicht nur an den Wünschen der Beschäftigten vorbei, die ihre Arbeitszeit über den Lebensverlauf umverteilen wollen. Es passt auch nicht zur modernen Arbeitswelt.


Verteilen, statt ausgrenzen

Arbeitszeiten, die sich ausschließlich am Vollzeitjob orientieren, grenzen Mütter und Väter aus, die ihre Kinder heranwachsen sehen wollen, ohne auf ihre Arbeit und ein existenzsicherndes Einkommen zu verzichten. Sie grenzen Menschen aus, die gesundheitlich oder wegen ihres Alters kürzer treten wollen. Sie grenzen Menschen aus, die Zeit brauchen, ihr Wissen und ihre Fertigkeiten aufzufrischen, um mit dem digitalen Fortschritt am Arbeitsplatz Schritt zu halten.

Das bisher gültige Arbeitszeitmodell grenzt nicht nur aus, es verteilt Arbeit auch ungerecht. Während die einen am Rande ihrer Kräfte arbeiten – abends, am Wochenende und im Urlaub nicht abschalten können – reicht anderen ihre Arbeitszeit nicht aus, um ihre Existenz zu sichern. Sie halten sich mit Minijobs über Wasser oder stecken in unfreiwilliger Teilzeit fest.


Tarifverträge erreichen viel

Mit unseren Tarifverträgen haben wir viel erreicht. Wo sie gelten und wo Betriebsräte auf die Arbeitszeit achten, sind Beschäftigte deutlich zufriedener als in nicht tarifgebunden Betrieben. In Betrieben mit Betriebsrat sind 76 Prozent der Beschäftigten mit ihrer Arbeitszeit zufrieden – wo er fehlt, sind es nur gut 50 Prozent.

Damit widersprechen die Ergebnisse auch der Forderung der Arbeitgeber, angesichts der Zufriedenheit der Beschäftigten verbindliche Regeln abzuschaffen. Das Gegenteil ist der Fall. Beschäftigte sind dort zufrieden, wo Regeln gelten, wo Tarifverträge gelten und Betriebsräte gute Arbeit machen. „Und zufrieden sein, bedeutet: Man hat sich arrangiert. Das schließt nicht aus, dass die Arbeitszeitrealität verbessert werden muss“, sagt Hofmann.


Große Unterschiede bei der Arbeitszeit

Gut ein Viertel der Befragten ist unzufrieden mit ihrer Arbeitszeit. Es gibt große Unterschiede – zwischen einzelnen Betrieben und zwischen Bereichen. Die Beschäftigten aus den verschiedenen Bereichen unterscheiden sich nicht darin, was für sie gute Arbeitszeiten ausmacht, sondern darin, wie ihre Arbeitswirklichkeit aussieht. So sind Beschäftigte in der IT, in der Forschung und Entwicklung oder mit mobiler Arbeit zufriedener als Schichtarbeiterinnen, Außendienstler oder Führungskräfte.

Unsere Ergebnisse werden zunächst in den Betrieben diskutieren. Dazu hat sie die Auswertung für alle Betriebe ab 200 Beschäftigten aufbereitet. Die Anonymität bleibt dabei gewahrt.


Arbeitspolitische Wende ist das Ziel

Außerdem diskutieren wir auf Basis der Ergebnisse tarifpolitische Forderungen. Es geht unter anderem um die Frage, was wir in der Tarifrunde 2018 fordern. Erste Vorschläge wird es Ende Juni auf der arbeitszeitpolitischen Konferenz in Mannheim geben.

Unser Ziel ist eine arbeitszeitpolitische Wende, so der Erste Vorsitzende. Wir wollen eine neue Balance für mehr Selbstbestimmung schaffen, die sich an den Interessen der Beschäftigten ausrichtet. Dieses Ziel können weder Einzelne noch Betriebsräte durchsetzen. Das sehen auch die Beschäftigten so und setzen daher auf Tarifverträge und Gesetze. Die 35-Stunden-Woche ist die Wunscharbeitszeit vieler Beschäftigter. Doch die Realität sieht oft anders aus.


Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit klafft eine große Lücke. Die Mehrheit der Beschäftigten arbeitet länger, als vertraglich vereinbart. Bei fast 48 Prozent der Befragten steht die 35-Stunden-Woche zwar im Arbeitsvertrag, aber nur knapp 16 Prozent arbeiten tatsächlich 35 Stunden pro Woche. Dabei ist die Zahl der Befragten, die 36 Stunden und länger arbeiten, im Vergleich zu unserer Befragung im Jahr 2013 noch einmal um gut 4 Prozentpunkte gestiegen.

Jeder Dritte würde seine tatsächliche Arbeitszeit gerne verkürzen und knapp 16 Prozent wollen keine Teilzeit, sondern eine reduzierte Vollzeit unterhalb von 35 Stunden. Der Wunsch nach phasenweise kürzeren Arbeitszeiten hängt nicht unbedingt von den persönlichen Umständen ab. Unabhängig von Alter, Geschlecht, beruflicher Qualifikation oder Kindern wollen Beschäftigte kürzer arbeiten oder zumindest nicht länger, als vertraglich vereinbart. Von den knapp 5 Prozent, die gerne länger arbeiten würden, arbeitet mehr als jeder Vierte in Teilzeit mit weniger als 20 Stunden pro Woche.


Tatsächliche Arbeitszeit weicht ab

Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, stellt fest: „An vielen Ecken ist es den Arbeitgebern in den letzten Jahren gelungen, unsere erfolgreiche Arbeitszeitpolitik aufzuweichen.“ Während die 35-Stunden-Woche der Wunscharbeitszeit der großen Mehrheit der Beschäftigten entspricht, sieht die Realität oft anders aus.

Hofmann sieht darin einen klaren Auftrag: „Wir sollten uns von den Arbeitgebern nicht die 35-Stunden-Woche klauen lassen. Sie war und ist ein wichtiger Etappenschritt der Emanzipation der abhängig Beschäftigten in unseren Branchen und deren Bedürfniss nach sicherer Beschäftigung und einem selbstbestimmten Leben.“ Für Hofmann heißt das, die tatsächliche Arbeitszeit muss sich der vertraglichen wieder annähern. Zusätzlich brauchen Beschäftigte das Recht auf Wahlarbeitszeiten unterhalb von 35 Stunden.


Heidi Falkenberg, 40 Jahre, VW, Braunschweig, zum Thema Arbeitszeitreduzierung:

„Ich arbeite bei VW Financial Services in der Marketing-Abteilung, ich arbeite dort sehr gern. Trotzdem: Im vergangenen Jahr spürte ich, dass ich durch die Arbeit zu wenig Zeit für mich und die Familie habe. Ich habe 38 Stunden gearbeitet, was allerdings mit meinem Privatleben kollidiert ist. Um allen gerecht zu werden, habe ich jetzt meine Arbeitszeit reduziert. Das war seitens des Arbeitgebers überhaupt kein Problem. Jetzt arbeite ich 27,5 Stunden, meine Wunscharbeitszeit: Vier Tage bin ich im Büro, der Freitag aber gehört mir. Das fühlt sich gut an, das gibt Kraft.“

Im Schichtbetrieb stimmen tatsächliche und gewünschte Arbeitszeit häufig überein. Dafür leiden die Beschäftigten unter starren Arbeitszeiten.


Schichtarbeiter leiden besoders stark

Fast jeder dritte Beschäftigte in unseren Branchen arbeitet im Schichtbetrieb. In der Schichtarbeit stimmen gewünschte und tatsächliche Arbeitszeit häufig überein. Aber regelmäßige Wochenendarbeit, schlechtere Planbarkeit, die fehlende Möglichkeit, auch mal früher zu gehen oder später zu kommen, und Zeitdruck sorgen für Unzufriedenheit.

Schichtarbeiter leiden stärker unter dem Druck, flexibel auf die jeweilige Auftragslage, technische Störungen oder Umbauten reagieren zu müssen. Viele beklagen, dass Schichten kurzfristig angesetzt oder gestrichen werden. Unter Schichtarbeitern, deren Schichtpläne sich nicht kurzfristig ändern, sind zwei Drittel mit ihren Arbeitszeiten zufrieden. Befragte mit häufiger Schichtverkürzung oder -verlängerung sind dagegen nur zu knapp 43 Prozent zufrieden.


Last wird auf Beschäftigte abgewälzt

Kunden fordern immer mehr Flexibilität und Arbeitgeber versuchen häufig, die Unwägbarkeiten des Marktes alleine auf die Beschäftigten abzuwälzen. Wo solche Flexibilitätsanforderungen auf starre Arbeitszeiten treffen, wird das Privatleben zum Spielball. Es fällt Beschäftigten leichter, abends mal länger zu arbeiten, wenn sie ihre Einkäufe am nächsten Morgen erledigen können und sie nicht die Schicht zum festen Arbeitsbeginn zwingt. Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, kritisiert: „Wenn Flexibilität der Menschen einfach vorausgesetzt wird, lassen die Anstrengungen nach, ordentlich zu planen. Daher muss Flexibilität auch kosten. Nicht zwingend Geld, aber Zeit.“

Die meisten Schichtarbeiter wünschen sich, ihre Freischichten frei einteilen zu können, doch nur etwa die Hälfte kann das. Fast 40 Prozent wünschen sich die Möglichkeit, auch in der Schicht zu gleiten, und ein Drittel vermisst es, Zeitguthaben selbstbestimmt auf- und abzubauen. Wenn Schichtarbeiter zwischen Zuschlägen und kürzeren Arbeitszeiten wählen könnten, würde sich zwar eine Mehrheit für Zuschläge entscheiden. Doch immerhin ein Drittel für kürzere Arbeitszeiten. Und auch das zeigt die Befragung: Selbstbestimmtes Arbeiten, etwa mit Gleitzeit, gibt es auch im Schichtbetrieb.


Herbert Fröhnich, Aleris, Koblenz, zum Thema Einteilung von Freischichten:

„Das Privatleben kommt bei Nacht- und Spätschichten meistens zu kurz. An diesen Tagen kann ich wenig unternehmen, kaum etwas im Haus oder Garten machen, weil ich für die Schicht wieder fit sein muss. Für mein Privatleben wäre es eine gute Sache, meine Freischichten selbst wählen zu können. Aber das ist bei uns nicht immer möglich. Am Monatsende geht gar nichts.“

Mehr Freiheiten, mehr selbst über die Zeit bestimmen können – mobil arbeitende Beschäftigte schätzen das, aber sie arbeiten häufig überlang.


Planbarkeit der Arbeitszeit

Arbeiten, unterwegs oder zu Hause, zwischendurch zum Elternsprechtag oder einen Arzttermin dazwischenschieben – die Freiheiten der mobilen Arbeit nutzt jeder fünfte Beschäftigte in unseren Branchen. Beschäftigte mit langen Arbeitswegen schätzen es, sich diese Zeit hin und wieder zu sparen. Mehr als 90 Prozent finden mobile Arbeit gut, aber nur jeder Fünfte hat die Möglichkeit dazu. Das liegt zum Teil an objektiven Gründen, weil Bandarbeiter ihre Arbeit nicht mitnehmen können. Zum Teil aber auch daran, dass in den Köpfen mancher Vorgesetzter noch die Anwesenheitskultur das Maß für Leistung ist.

Wer die Möglichkeit hat, auch mobil zu arbeiten, ist mit der Planbarkeit seiner Arbeitszeit und persönlicher Spielräume meist zufrieden. Negativ wirken bei mobiler Arbeit dagegen überlange Arbeitszeiten. Die tatsächliche Arbeitszeit der mobil Arbeitenden entspricht seltener der gewünschten als bei den meisten anderen. 42 Prozent der Beschäftigten mit mobiler Arbeit arbeiten mehr als 40 Stunden pro Woche, unter allen Befragten ist es ein Viertel. Dabei wollen mobile Arbeiter nicht überlang arbeiten. Hinsichtlich ihrer Arbeitszeitwünsche unterscheiden sie sich kaum von Beschäftigten ohne mobile Arbeit.


Paul Pesch, 52 Jahre, Ford, Köln, zu persönlichen Spielräumen durch Mobilarbeit:

Ich bin mir ziemlich sicher: Wenn ich nicht die Möglichkeit haben würde, mobil und im Homeoffice zu arbeiten, wäre ich heute arbeitslos. Vor zwölf Jahren wurde bei mir Multiple Sklerose diagnostiziert, seit sechs Jahren sitze ich im Rollstuhl. Seit einigen Jahren bin ich wegen guter Medikamente schubfrei und stabil – so stabil, dass ich 40 Stunden in der Woche arbeiten kann, worüber ich sehr glücklich bin. Ich bin bei Ford in Köln im Entwicklungszentrum angestellt, klassische Bürotätigkeit, die mir viel Spaß macht. Und die ich nur deshalb erledigen kann, weil ich mir meine Arbeitszeit selbstbestimmt einteilen kann: Jeden Mittwoch arbeite ich von daheim aus dem Homeoffice. Und ich habe immer die Möglichkeit, morgens zu Hause zu beginnen und später zu kommen oder nachmittags nach Hause zu fahren und die Arbeit von dort zu erledigen.“

Mehr zu den Ergebnissen der Beschäftigtenbefragung findet ihr hier:

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