Organisationsstark, selbstbewusst und konfliktfähig – so präsentiert sich die IG Metall in den Betrieben. Das sind auch die Voraussetzungen für die tarifpolitischen Erfolge. Wie der Erste Vorsitzende, Jörg Hofmann, in seinem mündlichen Geschäftsbericht beim 24. Ordentlichen Gewerkschaftstag in Nürnberg betonte, können Kompetenz und Gestaltungskraft nur überzeugen, weil die IG Metall „ein unschätzbares Pfund“ hat: Die breite Verankerung in den Betrieben, Unternehmen und Branchen, die Erfahrung und das Engagement Zehntausender Betriebsräte, Vertrauensleute, Jugendvertreter und Schwerbehindertenvertreter.
Als Ergänzung zu dem schriftlichen Geschäftsbericht der IG Metall, der den Delegierten vor dem Gewerkschaftstag per Post zugesendet wurde, tragen die geschäftsführenden Vorstandsmitglieder für ihre Bereiche mündliche Geschäftsberichte vor.
In der Aussprache zog Hofmann eine positive Bilanz der Tarifpolitik. Der Abschluss in der Metall- und Elektroindustrie vom vergangenen Jahr brachte den Beschäftigten ein kräftiges Plus beim Entgelt und mehr Selbstbestimmung bei der Arbeitszeit – für eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Leben. „Nur mit der solidarischen Kraft aller lassen sich Freiräume erkämpfen, lässt sich der allumfassende Zugriff auf die Arbeitskraft begrenzen“, resümierte der Erste Vorsitzende der IG Metall.
Jörg Hofmann (Foto: Christian von Polentz)
Kräftige Entgelterhöhungen gab es auch in der Stahlindustrie, dazu die Option auf fünf zusätzliche freie Tage, sowie im Kfz-Handwerk. In der Kontraktlogistik wurden tariffreie Betriebe erschlossen. Gute Tarifpolitik macht die IG Metall attraktiv. In diesem Jahr hat sie bereits 85.186 Menschen neu für sich gewonnen. Mit rund 2,3 Millionen Mitgliedern ist die IG Metall die größte Einzelgewerkschaft der Welt.
In der ostdeutschen Textilindustrie ist es gelungen, die Arbeitszeit an die im Westen anzugleichen. Für die ostdeutsche Metall- und Elektroindustrie steht diese Angleichung noch aus. „Wir werden ein Ergebnis bekommen. Gleiche Tarifbedingungen in West und Ost sind 30 Jahre nach der Wende überfällig“, betonte Hofmann.
In der Debatte zur Klimapolitik hat sich die IG Metall deutlich positioniert und mit den Umweltverbänden BUND und Nabu ein Eckpunktepapier zur Energie- und Mobilitätswende veröffentlicht. „Wir schaffen Verständnis dafür, dass Klimaschutz und Industrie kein Widerspruch sind“, betonte Hofmann. Ihren Anspruch, die Transformation im Interesse der Beschäftigten zu gestalten, hatte die IG Metall lautstark und sichtbar am 29. Juni in Berlin deutlich gemacht. Dort demonstrierten mehr als 50.000 Metallerinnen und Metaller für einen sozialen, ökologischen und demokratischen Wandel.
Der Sozialstaat muss in der Transformation neue Verantwortung übernehmen. „Voraussetzung für eine gute Rente ist und bleibt gute Arbeit!“, sagte Hofmann. „Nicht Beschäftigungsabbau und Rationalisierung, sondern berufliche Perspektiven und Qualifikation sind das Gebot der Stunde.“ Der IG Metall-Chef verwies auf die von ihm entwickelte Idee des Transformationskurzarbeitergeldes: Qualifizierung im bestehenden Beschäftigungsverhältnis, darum muss es gehen.
Verantwortungslosigkeit und Planlosigkeit sieht der Erste Vorsitzende der IG Metall an der Spitze vieler Unternehmen. „Nach zehn Jahren Wachstum fällt Arbeitgebern beim kleinsten Abschlag auf ihre Renditeträume nur ein: Personalabbau, Standortverlagerungen, Zerschlagung. Das ist keine Zukunftsstrategie, das werden wir nicht hinnehmen.“
2019 präsentierte die IG Metall den Transformationsatlas, an dem sich über 10.000 Metaller in 2.000 Betrieben beteiligt und dabei die gegenwärtigen Veränderungen analysiert haben. Deutlich wird: Jeder zweite Arbeitgeber hat keine mittelfristige Strategie zur Entwicklung seines Betriebes. Ohne solche Strategien fehle oft auch eine nachhaltige Perspektive für Beschäftigung und Qualifikation, bemängelte Hofmann. „Viele Arbeitgeber sind offensichtlich im Blindflug unterwegs. Sie spielen mit der Zukunft unserer Kolleginnen und Kollegen.“
Die Organisations- und Personalpolitik sowie die Zielgruppenarbeit der IG Metall ist auch 2019 erfolgreich. „Wir haben weiter eine überdurchschnittlich gute Mitgliederentwicklung bei den strategisch wichtigen Gruppen der Angestellten, Frauen und Beschäftigten ohne deutschen Pass. Im September haben wir das 60.000ste studierende Mitglied begrüßt – Rekord!“, sagte Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall.
Christiane Benner (Foto: Frank Rumpenhorst)
Die Zustimmung ist auch deshalb groß, weil die IG Metall im Digitalisierungszeitalter alle Beschäftigten vertritt, von Festangestellten in Großunternehmen über Beschäftigte bei Entwicklungsdienstleistern bis hin zu Solo-Selbstständigen. „Diese Stärke brauchen wir, um erfolgreich und konfliktfähig die Transformation zu gestalten“, sagte Benner. Überall müssen faire Arbeitsbedingungen herrschen, das gilt auch für die großen Internet-Plattformen. „Wir dulden keinen Parallel-Arbeitsmarkt im Internet!“, sagte Benner.
„Die IG Metall kann alles - von Stahl bis Internet“, betonte die Zweite Vorsitzende. „Wir sichern das Bestehende und gestalten das Entstehende.“ Dreh- und Angelpunkt für den Erfolg seien die Menschen, die in der IG Metall aktiv sind. Haupt- und Ehrenamtlich. Auf allen Ebenen und in allen Gliederungen. Christiane Benner sagte: „Wir sind vielstimmig. Und einstimmig: Für gute Arbeit und für ein gutes Leben.“
Finanziell steht die IG Metall auf einem stabilen Fundament. Die Beitragseinnahmen werden in diesem Jahr voraussichtlich auf 598 Millionen steigen. 2015, im Jahr des letzten Gewerkschaftstages, waren es 533 Millionen. Die Kassenbestände der Geschäftsstellen beliefen sich im abgelaufenen Jahr auf 275 Millionen Euro, 2015 lagen sie bei 265 Millionen. „Wir haben solide gewirtschaftet, finanziell stehen wir gut da. Am Geld wird keine Auseinandersetzung scheitern“, sagte Hauptkassierer Jürgen Kerner. „Wer meint, er kann die Transformation gegen die Beschäftigten wenden und ihre Rechte schleifen, der wird sich an der IG Metall die Zähne ausbeißen. Wir haben – auch finanziell – einen langen Atem.“
Jürgen Kerner (Foto: Frank Rumpenhorst)
„Transformation ist kein linearer Prozess, sondern geprägt von Ungleichheit und Ungleichzeitigkeit in Unternehmen und Branchen“, sagte Kerner weiter. „In der Automobilindustrie läuft Digitalisierung anders als in der Luftfahrtindustrie. In der Stahlindustrie wollen wir noch umweltfreundlicheren Stahl produzieren. Die Bahnindustrie muss zu einer Leitindustrie in der Verkehrswende ausgebaut werden. Herausforderungen, für die wir unsere gewerkschaftliche Branchenpolitik stärken und schärfen müssen.“
Eine aktive Industriepolitik und deutlich höhere Investitionen in die Zukunft erwartet Wolfgang Lemb, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, von der Bundesregierung. „Wir brauchen klare Perspektiven für die Beschäftigten in unseren Branchen.“ Das gilt beispielsweise für die Windindustrie. In dieser Branche sind seit 2017 rund 35.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. „Wenn das Ausbauziel bei den Erneuerbaren von 65 Prozent bis 2030 erreicht werden soll, muss dringend die Deckelung beim Ausbau der Windenergie aufgehoben werden.“
Wolfgang Lemb (Foto: Frank Rumpenhorst)
Die IG Metall treibt außerdem neue Initiativen der europäischen Dachorganisation IndustriAll voran. Wolfgang Lemb betonte: „Unser gemeinsames Ziel: Europäische Gewerkschaftsmacht stärken. Tarifbindung in Europa ausbauen.“ Das seien die wesentlichen Voraussetzungen für ein anderes, ein besseres, ein gerechteres Europa.
Mit dem „Neuen Ordnungsrahmen für das Handwerk“, der im Sommer vorgelegt wurde, hat die IG Metall die mittelstandspolitische Debatte geprägt. Dieses Diskussionspapier liefert Argumente für Tarifbindung und Mitbestimmung im Handwerk und für den Dialog zwischen den Sozialparteien. „Die Innungen müssen wieder mehr ihrer gesetzlichen Verantwortung als Tarifpartei nachkommen“, forderte Ralf Kutzner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall.
Ralf Kutzner (Foto: Frank Rumpenhorst)
Den Blick richtete er auch auf die Kampagne AutohausFair, bei der bereits 275 Autohäuser ausgezeichnet wurden. „Das Siegel signalisiert dem Kunden: Hier wird ausgebildet, hier besteht ein Betriebsrat und hier gelten Tarifverträge der IG Metall“, sagte Kutzner. Er betonte am Tag gegen prekäre Beschäftigung: „Ob auf Stammarbeitsplätzen, bei Industrienahen Dienstleistern oder in Leiharbeit – alle Beschäftigten haben gute Arbeit verdient.“
Durch die Transformation steigt der Qualifizierungsbedarf in den nächsten Jahren deutlich. Die IG Metall hat darauf reagiert und baut die eigene Bildungsarbeit weiter aus. „Wir stärken unsere Vertrauensleutebildung und verbinden Arbeit und Innovation durch praxisbegleitende Ausbildungsreihen, arbeiten mit Lernfabriken, Wissenschaft und Universitäten zusammen. So begleiten wir Veränderungsprozesse in den Betrieben“, sagte Irene Schulz, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall.
Irene Schulz (Foto: Frank Rumpenhorst)
Schulz fordert auch eine Stärkung der politischen Bildung. „Je schärfer Ökologie und soziale Sicherheit zum Gegensatz stilisiert werden, je häufiger finanzmarktgetriebene Unternehmensstrategien und Politikentwürfe immer dieselben Gewinner und Verlierer produzieren, desto radikaler muss politische Bildung gesellschaftlich aufgewertet werden.“ Politische Bildung schaffe Räume für Meinungsbildung, Wertedebatten und zukunftsfähige Gesellschaftsbilder.
In der Rentenpolitik hat die IG Metall in den vergangenen Jahren - zusammen mit dem DGB - erreicht, dass Erwerbsminderungsrenten verbessert, das Rentenniveau bis 2025 stabilisiert und die Rente ab 63 nach 45 Beitragsjahren eingeführt wurde.
Hans-Jürgen Urban (Foto: Christian von Polentz)
Die nächsten Konflikte sind nach Ansicht von Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, allerdings schon absehbar. „Eine weitere Anhebung der Altersgrenze stößt auf den Widerstand der IG Metall. Schon die Rente mit 67 war eine dramatische Fehlentscheidung.“ Urban forderte: „Wir brauchen bessere flexible Übergänge in die Rente, aber deutlich vor dem 67. Lebensjahr.“ Die IG Metall pocht darauf, dass auch die Grundrente als ein wichtiges Element gegen Altersarmut kommt – ohne Bedürftigkeitsprüfung. Damit würde die Lebensleistung von Millionen Beschäftigten anerkannt.