... Thomas Klebe, Leiter des Justiziariats der IG Metall, über das Urteil und seine Folgen.
Das BAG hat mit seinem Urteil vom 22. September gewerkschaftliche Flashmobs im Einzelhandel für zulässig erklärt. Was steckt hinter diesem Phänomen?
Bei Flashmobs handelt es sich im Grunde um eine Aktionsform, wie sie häufig auch von Nichtregierungsorganisationen angewandt wird, um ihre Anliegen öffentlichkeitswirksam vorzutragen. Die Aktion im Berliner Einzelhandel hatte eher symbolischen Charakter. Es war gewissermaßen ein Akt passiven Widerstandes, wie er angewendet werden kann, wenn andere Mittel des gewerkschaftlichen Arbeitskampfes keine Wirkung zeigen.
Gab es bereits vergleichbare Aktionen im Organisationsbereich der IG Metall?
Vergleichbares hatten wir beispielsweise mit den „schwarzen Listen“ im Kfz-Handwerk. In den Listen haben wir darauf hingewiesen, welche Kfz-Händler Tarifverträge nicht anwenden. In der Leiharbeitsbranche haben wir Unternehmen Fairness-Abkommen angeboten, die nach unserer Ansicht keine fairen Löhne zahlen. Die Namen der Unternehmen, die selbst solche Abkommen ablehnten, haben wir veröffentlicht.
Die „FAZ“ bezeichnet das Urteil als einen „Freifahrschein in Sachen Arbeitskampf“. Können Gewerkschaften nun tun was sie wollen?
Solche Kritik halte ich für völlig überzogen. Man tut ja gerade so, als sollten Flashmobs den ’herkömmlichen’ Arbeitskampf ersetzen. Das Bundesarbeitsgericht hat die Zulässigkeit von gewerkschaftlichen Flashmobs an klare Bedingungen geknüpft. Sie sind nur rechtmäßig, wenn sie arbeitskampfbegleitend eingesetzt werden und verhältnismäßig sind. Flashmobs ersetzen also nicht etwa Streiks, sie haben vielmehr eine Unterstützungsfunktion. Außerdem ist der wirtschaftliche Schaden für den Arbeitgeber gering. Bei Rewe bestand er in vielleicht einer Stunde Auf- und Einräumen.
Kritiker sehen gewerkschaftliche Flashmobs zu Happenings verkommen, da sich auch Personen beteiligen dürfen, die nicht Mitarbeiter des Betriebes sind.
Wenn die IG Metall eine solche Aktion veranstaltet – und das wird bei ver.di nicht anders sein – dann haben wir sie unter Kontrolle. Wir haben kein Interesse daran, den Arbeitskampf zu einem Happening verkommen zu lassen. So schaffen wir in der Öffentlichkeit keine Sympathien für die Anliegen der Beschäftigten. Ich rate daher davon ab, die breite Öffentlichkeit zu solchen Aktionen einzuladen. In Berlin hat es sich bewährt, lediglich eine ausgewählte Gruppe per SMS an der Aktion zu beteiligen.
Worauf müssen die Organisatoren eines gewerkschaftlichen Flashmobs achten?
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss auf alle Fälle gewahrt werden. Die Maßnahmen der Gewerkschaft müssen geeignet und erforderlich sein. Schließlich stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber Mittel und Wege hat, sich zu wehren. Im Fall des ver.di-Flashmobs hätte der Filialleiter Hausverbote aussprechen oder den Laden für eine gewisse Zeit schließen können.
Ab wann ist mit rechtlichen Konsequenzen zu rechnen?
Entscheidend ist, dass die Situation – wie bei jedem anderen Arbeitskampf auch – unter Kontrolle bleibt. Eine Blockade mit 500 Personen beispielsweise hätte das BAG für rechtswidrig erklärt. Die Aktionsteilnehmer müssen zudem das Hausrecht achten. Widersetzen sie sich einem Hausverbot, machen sie sich strafbar. Auch zu Sachbeschädigungen darf es selbstverständlich nicht kommen.
Mancher behauptet, dass sich mit dem Urteil das Kräftegleichgewicht zwischen den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern zu Gunsten der Gewerkschaften verschiebt.
In der Tat hat sich in der Vergangenheit das Kräfteverhältnis verschoben, aber zu Gunsten der Arbeitgeber.
Woran lässt sich das erkennen?
Zum einen sind Unternehmen heute durch die Globalisierung in der Lage, hochflexibel Produktionen zu verlagern und Arbeitskämpfe so ins Leere laufen zu lassen. Zudem kann durch die kalte Aussperrung großer Druck auf die Gewerkschaften erzeugt werden. Kommt es durch einen Streik im Betrieb A zu Drittwirkungen im Betrieb B, haben die Beschäftigten und natürlich auch die Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb B keinen Anspruch auf Entgelt und auch nicht auf Kurzarbeitergeld. Natürlich wenden sie sich dann an ihre Gewerkschaft. Ein längerer Arbeitskampf kommt in manchen Branchen daher nur begrenzt in Frage. Bestreikt man beispielsweise einen Automobilhersteller für eine Woche, entsteht rundherum Kurzarbeit und somit erheblicher Druck auf die Gewerkschaft.
Ein weiterer Umstand, der den Arbeitgebern in die Hände spielt, liegt in der veränderten Beschäftigungsstruktur innerhalb der Unternehmen. Die zahlreichen Beschäftigten in prekären Arbeitsverhältnissen, befristet Angestellte oder Leiharbeiter, überlegen dreimal, ob sie sich an einem Streik beteiligen sollen.
Und schließlich muss man sehen, dass die Arbeitgeber die Tariflandschaft in manchen Branchen gezielt zerstört haben: Sie haben ihre Verbände zu OT-Verbänden gemacht. Sie haben Verbände wie die Innungen im Kfz-Handel aufgelöst und andere mit regelmäßig weniger Mitgliedern neu gegründet. So haben sie die Gewerkschaften in die Situation getrieben, dass sie Tarifverträge Betrieb für Betrieb durchsetzen müssen. Ohne Flächentarifvertrag, in dem einzelne Flagschiffe die anderen mitziehen können, entsteht ein Flickenteppich mit stark und schwach organisierten Bereichen.
Und dort kommen Flashmobs ins Spiel?
In diesen Bereichen werden wir gezwungen, verstärkt zu phantasievollen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie z.B. den Flashmobs zu greifen, um in Tarifverhandlungen Druck auf die Arbeitgeber aufzubauen. Im Grunde sind Flashmobs und ähnliche Aktionsformen also auch eine Reaktion auf die geschwächte Ausgangsposition der Gewerkschaften.
Werden sich Flashmobs als gewerkschaftliche Aktionsform etablieren?
Ich glaube, dass wir Aktionsformen wie Flashmobs, schwarze Listen oder Boykottaufrufe in Zukunft häufiger sehen werden. Nicht in den Kernbereichen der IG Metall, aber dort, wo wir Öffentlichkeit brauchen, um unsere Forderungen durchsetzen zu können, wie zum Beispiel im Kfz-Handwerk oder in der Leiharbeitsbranche.