Ob bei Einkommen, Arbeitszeit oder Urlaubsanspruch – mit Tarifvertrag geht’s im Betrieb gerechter zu. Für alle, deren Firma bisher nicht tarifgebunden ist, zeigen wir in sechs Schritten, wie sich das ändern lässt.
Mit der Novemberabrechnung gibt es bis zu 275 Euro mehr – und erstmals bis zu 40 Prozent Weihnachtsgeld: Der neue Tarifvertrag beim Kontraktlogistiker Duvenbeck in Rastatt ist in Kraft. 220 Beschäftigte bauen hier Achsen und sequenzieren für das nahegelegene Mercedes-Werk Rastatt.
Bislang haben viele hier für 2200 Euro brutto gearbeitet, bei einer 37,5 Stunden Woche. Doch jetzt gibt es mindestens 2475 Euro, Weihnachtsgeld, sowie 2025 27 bis 30 Tage Urlaub und mehr Urlaubsgeld. Im Januar 2025 kommen weitere 3 Prozent mehr und im Juli 2025 eine Leistungszulage dazu. Für die Entgeltgruppe bedeutet das alles 6530,66 Euro mehr im Jahr 2025.
Das Besondere am neuen Haustarifvertrag: Das alles gibt es nur für IG Metall-Mitglieder. Üblicherweise gewähren Arbeitgeber die tariflichen Leistungen und Zahlungen auch den Beschäftigten, die nicht Mitglied der Gewerkschaft sind und daher eigentlich keinen Anspruch auf Tarif haben. Einige halten so die Gewerkschaft klein.
Doch bei Duvenbeck erhalten nur die Mitglieder der IG Metall die tariflichen Leistungen – gegen eine Mitgliedsbestätigung der IG Metall Gaggenau.
Den Tarifvertrag haben sie Anfang September erreicht, nicht einmal zehn Monate nachdem die Beschäftigten anfingen, sich in der IG Metall zu organisieren.
Einen Warnstreik hatten sie dazu gar nicht nötig, erklärt Verhandlungsführer Martin Obst von der IG Metall Gaggenau. „Wir haben der Geschäftsleitung klargemacht: Wenn die Beschäftigten bei Duvenbeck die Arbeit niederlegen, dann steht innerhalb von 15 Minuten bei Mercedes das Band. Und sie wussten, dass wir das können.“
Auch nach 2025 steigen die Entgelte weiter: Bis 2029 geht es schrittweise hoch auf den Tarif der Metall- und Elektroindustrie, bei einem Kontraktlogistiker. Dazu gehört auch die tarifliche Alterssicherung, die ältere Beschäftigte vor Kündigungen, sowie Abgruppierungen und damit vor Lohnkürzungen schützt.
Ob bei Einkommen, Arbeitszeit oder Urlaubsanspruch – mit Tarifvertrag geht’s im Betrieb gerechter zu. Für alle, deren Firma bisher nicht tarifgebunden ist, zeigen wir in sechs Schritten, wie sich das ändern lässt.
Los ging es bei Duvenbeck Mitte November letzten Jahres. Im Rahmen einer Telefonaktion ruft die IG Metall Gaggenau bei einzelnen Mitgliedern an, die in Betrieben arbeiteten, die noch nicht von der IG Metall betreut werden: Ist mit Euren Arbeitsbedingungen alles okay?
Bei Duvenbeck offenbar nicht, erfährt Gewerkschaftssekretär Martin Obst. Schlecht bezahlt, heißt es. Ein paar Tage später trifft er sich dann mit Mario Kos. Er hat sich bei Duvenbeck in den letzten Jahren vom Sequenzierer (Verpacker) zum Meister hochgearbeitet. Ihm vertrauen alle. „Am nächsten Abend rief mich Mario an“, erzählt Martin Obst. „Da hatte er bereits 65 Beitritte in die IG Metall.“
Und dann geht es ganz schnell: Mitte Dezember ist bereits die Wahlversammlung zum Wahlvorstand – da sind schon über 150 Beschäftigte Mitglied der IG Metall – und am 22. Februar dann die Betriebsratswahl.
Das Rezept der IG Metall: Wir beteiligen die Beschäftigten, befragen sie nach ihren Themen, lassen sie über jeden Schritt abstimmen und suchen Lösungen, erklärt Alexander Pohl vom Gemeinsamen Erschließungsprojekt der IG Metall Baden-Württemberg. „Bereits im Dezember 2023 vor der Betriebsratswahl haben wir eine Umfrage zu den Schließtagen gemacht. Die hat die Firma bislang einseitig festgelegt, auf dem Rücken der Leute. Die Beschäftigten mussten dafür Urlaub nehmen oder Minusstunden machen.“
Doch wenn du einen Betriebsrat hast, dann bestimmt dieser laut Betriebsverfassungsgesetz bei der Verteilung der Arbeitszeit, also auch bei Schließtagen mit.
92 Prozent beteiligen sich an der Betriebsratswahl. Mario Kos wird mit 155 Stimmen zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt.
„Vor zehn Jahren war ich noch in Kroatien und konnte keine zwei Wörter Deutsch. Da hätte ich nie gedacht, dass ich sowas hier mal mache“, meint Mario Kos. „Aber es hat mich einfach belastet, wie unsere Leute hier unter den Arbeitsbedingungen leiden und viele kündigen. Es ist viel Arbeit, all die Paragrafen, die Seminare. Und ich laufe 20.000 Schritte am Tag, um in Kontakt zu bleiben. Doch jetzt haben wir hier endlich auch etwas zu sagen.“
Als eine der ersten Amtshandlung handelt der neu gewählte Betriebsrat die Schließtage mit dem Arbeitgeber aus – und erreicht zudem, dass sie zwei Tage mehr Urlaub bekommen und an Schließtagen qualifiziert werden.
Tarifaktion bei Duvenbeck in Rastatt im April 2023.
In die Kampagne zum Tarifvertrag starten IG Metall und Beschäftigte nach der Betriebsratswahl mit einer Mitgliederversammlung. „80 Prozent sollten kommen, haben wir gesagt, damit wir ein Mandat haben“, berichtet Martin Obst. „95 Prozent waren da.“
Im März folgt dann ihre erste Aktion für ihren Tarifvertrag vor dem Werk. „Wir haben schon eine Woche vorher IG Metall-Warnwesten für die Aktion verteilt“, erzählt Alexander Pohl. „Doch die Leute haben die IG Metall-Warnwesten schon ab dem ersten Tag statt ihrer Duvenbeck-Warnwesten im Betrieb getragen.“
Die Geschäftsleitung versucht die Aktion mit Gegenmaßnahmen zu verhindern: Wer die IG Metall-Warnweste auszieht und wieder seine Duvenbeck-Warnweste trägt, bekommt ein Brötchen mit Leberkäse. Alle holen sich ihren Leberkäse – tragen aber weiter ihre IG Metall-Warnwesten.
Beim Aktionstag mit der IG Metall-Roadshow stehen alle mit ihren IG Metall-Warnwesten vorm Tor. Und 200 Beschäftigte unterschreiben, dass sie einen Tarifvertrag wollen. Sie wählen eine Tarifkommission und übergeben dem Arbeitgeber ihre Forderungen.
In den Verhandlungen geht die Verhandlungskommission immer wieder runter zu den Beschäftigten, um ihre Meinung einzuholen, berichtet Verhandlungsführer Martin Obst. „Wir sind dann wieder hoch – und haben gesagt: Die Leute wollen das nicht. So konnten wir ständig Druck auf den Arbeitgeber machen. Und der wusste, dass der Laden sofort steht, wenn wir wollen.“
Vor ein paar Jahren hatte es bei Duvenbeck schon mal einen Versuch gegeben, einen Betriebsrat zu wählen, berichtet Martin Obst. „Das ist damals an der Angst der Leute gescheitert. Doch jetzt hatten die Beschäftigten keine Angst mehr – dafür aber die Geschäftsführung. Die Angst hat die Seiten gewechselt.“