Der Titel des Projektes klingt nüchtern, sachlich: „Neustart nach der Flut“. So hat der Betriebsrat des Automobilzulieferers ZF Friedrichshafen am Standort Ahrweiler sein Projekt genannt, für den er jetzt in Bonn mit dem Deutschen Betriebsräte-Preis in Silber ausgezeichnet worden ist. Die Katastrophe aber, die dem Titel zugrunde liegt, traf die Menschen im Ahrtal mit existentieller Wucht: Über 40 000 Menschen waren von der Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021 direkt betroffen. Fast die Hälfte von ihnen haben Hab und Gut, haben Familienmitglieder oder Freunde verloren.
Auch für den Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen in Ahrweiler hatte die Flut verheerende Auswirkungen. Das Wasser stand über drei Meter hoch im Werk. Autos, Wohnwagen, Tanks und Bäume trieben durch die Produktionshalle. Das Werk, in dem rund 280 Beschäftigte arbeiten, wurde komplette überflutet. Alle Anlagen wurden zerstört.
„Eure Geschichte zeigt eindrucksvoll, wie aus Schockstarre, wie aus persönlichen und beruflichen Ängsten, Zuversicht, Mut und Kraft erwachsen kann“, sagte Ralf Reinstädtler, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall nun in seiner Laudatio in Bonn. „Durch Euer Herzblut, durch Euer leidenschaftliches Engagement und unsere Superkraft Solidarität, habt ihr erreicht, dass Euer Betrieb heute noch existiert. Darauf könnt ihr mehr als stolz sein.“
Das ZF am Standort Ahrweiler weiter existiert, danach sah es lange Zeit nicht aus. Denn nach dem Schock der Flutkatastrophe folgt eine weitere Hiobsbotschaft: ZF kündigt an, das Werk in Ahrweiler nicht wieder aufbauen zu wollen. Stattdessen sollte der Betrieb in ein Schwesterwerk nach Koblenz verlagert werden.
Gegen diese Pläne läuft der Betriebsrat, Hand in Hand mit den Beschäftigten, Sturm: Es gibt Proteste, laute Proteste. Politik, Presse und Öffentlichkeit werden informiert. Natürlich wird der Gesamtbetriebsrat einbezogen. „Euer Protest und die Solidarität, die ihr organisiert habt, haben Früchte getragen und den Arbeitgeber an den Verhandlungstisch geholt“, so Ralf Reinstädtler. „Mit einem Ergebnis, dass sich mehr als sehen lassen kann.“
Der Betriebsrat hat erreicht, dass in der Nähe potentielle neue Standorte für den Wiederaufbau gesucht werden mussten. Durch diese Vereinbarung wurden mehrere Grundstücke gefunden, die im näheren Umfeld liegen. Schließlich wurde ein Grundstück in Brohltal favorisiert. Das Verhandlungsergebnis sieht neben dem Neubau eine Beschäftigungssicherung bis Mitte 2026 vor.
„Ohne Euch hätte es diesen Neustart für Euch und die Kolleginnen und Kollegen so nicht gegeben“, so Ralf Reinstädtler. „Ihr habt den Kolleginnen und Kollegen nicht nur eine Perspektive für die Zukunft gesichert. Ihr habt für Sicherheit in einer sehr schweren Zeit gesorgt.“
Auch der Betriebsrat der Ariane Group in Bremen hat Wegweisendes für die Beschäftigten geleistet – und wurde nun für sein großes Engagement mit dem Sonderpreis „Gute Arbeit“ ausgezeichnet.
Die Betriebsräte der Ariane Group Bremen wurden für ihr Engagement im Gesundheitsschutz ausgezeichnet
„Die Kolleginnen und Kollegen bei der Ariane Group in Bremen zeigen uns, wie wichtig es ist Belastungen, vor allem Überlastungen frühzeitig zu erkennen und zu intervenieren. Und das nicht reaktiv, sondern proaktiv und vor allem präventiv“, sagte Peter Kippes, Bereichsleiter Betriebspolitik beim Vorstand der IG Metall in seiner Laudatio. „Mit den ersten Beschwerden der Kolleginnen und Kollegen über die Belastungssituation im Betrieb, war für euch klar: Das müssen wir ändern.“
Das haben sie geändert: Der Betriebsrat arbeitete einen strategischen Plan gegen Überlastung aus und verhandelte mit dem Arbeitgeber eine freiwillige Betriebsvereinbarung, mit der Beschäftigte unkompliziert übergroße Belastungen am Arbeitsplatz anzeigen können.
Die Vereinbarung zeichnet sich dadurch aus, dass sich betroffene Beschäftigte formlos per E-Mail, Anruf oder im direkten Gespräch an einen Betriebsrat des Vertrauens oder die Personalabteilung wenden können, um das Verfahren zu starten. Es wird ein Umfeld geschaffen, in dem Beschäftigte und Führungskräfte offen und geschützt über Belastungssituationen sprechen können, um anschließend Unterstützung vom Unternehmen zu erhalten. Die Initiativrolle liegt dabei bei den Beschäftigten: Betroffene Kolleginnen und Kollegen initiieren das Verfahren, können es jederzeit stoppen, entscheiden, welcher Betriebsrat involviert wird und ob etwaige private Ursachen zur Sprache kommen.
Die ausgehandelte Betriebsvereinbarung konzentriert sich nicht einzig auf akute Fälle. Sie regelt dazu auch präventive Maßnahmen: Es werden eine Reihe von konkreten Maßnahmen aufgelistet, die am Arbeitsplatz umzusetzen sind und die bereits dazu führen, dass es bestenfalls gar nicht erst zu einer Belastungssituation kommt. Dazu wird Wert auf Nachhaltigkeit gelegt: Der Wirkungsgrad der getroffenen Maßnahmen wird anonymisiert evaluiert und einmal jährlich in der Arbeits- und Gesundheitsschutz-Kommission des Betriebsrats vorgestellt.
„Eure Betriebsvereinbarung zeigt durch und durch, wie „gute Arbeit“ und Gesundheitsschutz zusammenhängen und ganz im Sinne der Beschäftigten ausgestaltet werden kann“, so Peter Kippes. „Mit eurer Vereinbarung seid ihr Vorreiter, ihr unterstützt damit die Kolleginnen und Kollegen in anderen Betrieben.“