17. Juni 2021
VW-Betriebsratsvorsitzende im Interview
Volkswagen: Neue Ära oder bleibt alles beim Alten?
Daniela Cavallo ist die neue Konzernbetriebsratsvorsitzende von VW. Von Elektromobilität bis Lieferkettenschwierigkeiten – die Nachfolgerin von Bernd Osterloh steht vor großen Herausforderungen. Doch die Wolfsburgerin blickt zuversichtlich in die Zukunft.

Digitalisierung, E-Mobilität oder Lieferschwierigkeiten – Daniela, was ist die größte Herausforderung für Volkswagen zurzeit?

Daniela Cavallo: Das kommt auf die Perspektive an. Kurzfristig sind es sicherlich die fehlenden Halbleiter, die uns umtreiben. Die Kolleginnen und Kollegen in Einkauf, Logistik und Planung der Fahrweisen für unsere Werke leisten Großartiges – aber auch sie können die Teile nicht herzaubern. Daher bleibt die Unsicherheit und wir können Kurzarbeit als mögliche Folge nicht ausschließen. Mit langfristigerem Blick sind Elektromobilität und Digitalisierung die größten Herausforderungen, das stimmt. Wir als Betriebsrat haben uns früh aufgemacht, Konzepte für den Wandel zu finden: Mit unseren Programmen „Zukunftspakt“ und „Roadmap Digitale Transformation“ haben wir die Dinge aktiv gestaltet. Wir haben Arbeit sozialverträglich abgebaut über freiwillige Altersteilzeit, gleichzeitig aber auch gezielt neue Zukunftsarbeitsplätze aufgebaut und wir haben den nötigen Wandel mit einer Beschäftigungssicherung flankiert, die inzwischen bis 2029 läuft.
 

Was heißt dieser Wandel, von dem Du sprichst, ganz konkret für Volkswagen?

Wir waren lange Zeit ein klassischer Autohersteller mit hoher eigener Fertigungstiefe bei den Komponenten, also etwa bei Diesel- und Benzinmotoren oder Getrieben. Nun wandeln wir uns hin zu einem Anbieter vollvernetzter Mobilitätsdienstleistungen und verabschieden uns, je nach Markt, schrittweise vom Verbrennungsmotor. Immer entscheidender für unseren Erfolg werden eine hohe Eigenkompetenz bei Software, batterieelektrischen Antrieben und automatisiertem Fahren. Das ändert auch einige Schwerpunkte in unserer Arbeit als Betriebsrat. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Wir machen uns stark für neue Perspektiven für unsere Kolleginnen und Kollegen. Denn wer in einem unserer Motorenwerke Mitte 40 ist und noch klassisch Kfz-Mechaniker oder Mechanikerin gelernt hat oder wer mit Mitte 30 als Akademikerin oder Akademiker bei uns in der Technischen Entwicklung am Antriebsstrang der Verbrenner entwickelt, wird das absehbar nicht bis zur Rente machen. Da geht es also um Konzepte. Der Wandel trifft auch unsere Ausbildung, die wir laufend anpassen. Für uns geht es darum, gerade in Zeiten der Veränderung die Stärke der Mitbestimmung zu beweisen: Wir stehen als verlässlicher Partner der Beschäftigten und auf Augenhöhe mit der Unternehmensseite für eine sichere Zukunft. Beschäftigungssicherung und Wirtschaftlichkeit sind bei VW gleichrangige Unternehmensziele. Dass beides nur zusammen gelingt und dass es sich auch gegenseitig bedingt, das müssen wir als Mitbestimmung vor allem in herausfordernden Zeiten immer wieder erneut unter Beweis stellen.
 

16 Jahre lang war Bernd Osterloh Betriebsratsvorsitzender von VW. Jetzt hast Du seinen Posten übernommen. Bricht eine neue Ära im Unternehmen an?

Klares Nein, weder bei uns im Betriebsrat noch im gesamten Unternehmen. Mit mir als neue Vorsitzende gibt es schließlich keine Zeitenwende – allein schon deshalb nicht, weil sich unsere Ziele nicht ändern. Um nur ein paar zu nennen: Beschäftigungssicherung, gute Arbeit, nachhaltige Perspektiven für unsere Belegschaft in der Transformation, starke Ausbildung – dafür kämpfen wir Betriebsrätinnen und Betriebsräte bei VW seit Jahren. Das wird mit mir nicht anders.
 

Du selbst bist auch schon zwei Jahrzehnte Betriebsrätin bei VW. Was nimmst Du aus dieser Zeit mit für Deine neuen Aufgaben?

Ich bin durchaus froh und auch ein bisschen stolz darauf, dass ich die Chance hatte, die Strukturen der Mitbestimmung bei der Auto 5000 GmbH mit aufzubauen. Das war Anfang des Jahrtausends ein arbeitsmarktpolitisches Projekt, mit dem der VW-Touran nach Wolfsburg geholt wurde. Die Auto 5000 war anfangs umstritten, weil das Entgelt dort nicht auf Haustarifniveau lag. Am Ende ging die Auto 5000 aber in VW auf und die Belegschaft kam damit in den Haustarif. Damals habe ich Betriebsratsarbeit von Grund auf gelernt – wir sind bei der Auto 5000 ja bei Null gestartet, hatten keine einzige Betriebsvereinbarung, nichts. Das waren wichtige Erfahrungen. Entscheidend geprägt hat mich aber auch meine Arbeit an personalwirtschaftlichen und personalpolitischen Themen, mit denen ich als Ausschussvorsitzende auf Ebene des Gesamtbetriebsrats zu tun hatte und als Koordinatorin im Betriebsausschuss des Wolfsburger Betriebsrats. Auch deswegen habe ich 2016 für unseren Zukunftspakt das wichtige Feld personelle Transformation verhandelt. Aber als die wichtigste Erfahrung nehme ich mit, dass wir als Mitbestimmung immer dann besonders erfolgreich sind, wenn wir selber in unseren Gremien gute Teamarbeit leisten und uns unterstützen. Hier schließe ich ausdrücklich die Vertrauensleute mit ein. Das ist mein Anspruch. Bei uns in Wolfsburg heißt es: Alleine stark, gemeinsam unschlagbar.
 

Du bist die erste weibliche Konzernbetriebsratsvorsitzende bei VW, sitzt jetzt wie Dein Vorgänger auch im Präsidium des Aufsichtsrats, also im inneren Machtzirkel des Unternehmens. Ändern sich die Zeiten für Frauen in Führungsposten?

Ich bin nun wirklich nicht die erste starke Frau in der Betriebsratsarbeit bei Volkswagen. Da ist aktuell zum Beispiel meine Kollegin Bertina Murkovic, Betriebsratsvorsitzende der Volkswagen Nutzfahrzeuge. Sie ist wie ich auch Aufsichtsratsmitglied und übrigens die erste Frau im Präsidium. Oder VW in Kassel: Dort ist Ulrike Jakob stellvertretende Betriebsratsvorsitzende und auch sie sitzt für uns im Aufsichtsrat. Aber es stimmt natürlich: Ich bin die erste Frau im Vorsitz des Gesamt- und Konzernbetriebsrats und ich weiß, dass das zurzeit noch etwas Besonderes ist. Keine Frage: In der Politik sind Frauen in Führungspositionen schon häufiger zu finden als in der Industrie. Aber ich glaube, auch in der Wirtschaft wird das zunehmend normaler, auch wenn der Weg noch lang ist – übrigens durchaus auch noch bei Volkswagen. Generell gilt: Wir brauchen die Frauen und ihre Kompetenzen einfach dringend überall, nicht nur im Mittelbau, sondern auch ganz oben in der Hierarchie. Deswegen bin ich übrigens auch eine Verfechterin der Frauenquote – beim Betriebsrat haben wir die ja schon lange. Mehr Diversität ist wichtig, nicht nur bei den Geschlechtern. Wir Frauen haben allen Grund, selbstbewusst alles Mögliche anzustreben. Mir geht es dabei immer um ein Miteinander und Chancengerechtigkeit für alle Menschen. Wenn auch ich in meiner Rolle dabei ein Vorbild sein kann, freut mich das sehr.
 

Du bist studierte Betriebswirtin. Gibt es Konflikte, weil Du nicht selbst am Band gestanden hast oder hilft Dir das Studium bei Verhandlungen mit den Arbeitgebern?

Ich habe nach meiner Berufsausbildung eine kurze Zeit in der Produktion in der Halle 8 gearbeitet. Das war damals in der Lupo/Arosa-Fertigung. Diese Erfahrung möchte ich nicht missen, denn jeder bei Volkswagen sollte wissen, was Automobilproduktion bedeutet und womit wir unser Geld verdienen. Außerdem eine Anmerkung: Ich finde den Begriff „Band“ überhaupt nicht passend. Wir sprechen von Montagelinie, Montage oder kurz Linie. Ich habe großen Respekt vor der Arbeit dort – wie vor der im gesamten direkten Bereich. Dort wird die Qualität unserer Produkte und damit unser Erfolg und schließlich am Ende auch die Sicherheit unserer Arbeitsplätze ganz maßgeblich beeinflusst. Und in Sachen Studium und Verhandeln: Ich glaube, dass eine bestimmte Qualifikation nichts darüber aussagt, ob man gute Verhandlungen mit dem Unternehmen führen kann und dabei das maximal Mögliche rausholt. Vielmehr ist wichtig, sich immer auf den Gesprächspartner einzustellen, in unterschiedlichen Situationen. Der Betriebsrat ist für alle Beschäftigten da, ob in der Produktion oder im Büro. Somit ist es wichtig, sich mit Empathie auf die jeweiligen Bedürfnisse und Themen einzustellen. Das gilt nicht nur fürs Verhandeln.
 

VW schafft es, Arbeitsplätze zu sichern, indem zunehmend mehr direkt im Werk produziert wird. Kriegt Ihr deshalb von den Zulieferern auf den Deckel?

Für die Fertigung unserer ID.3 und ID.4 in Zwickau ist diese Beobachtung richtig, dort ist unsere eigene Wertschöpfungstiefe gestiegen. Aber ob das generell für Volkswagen so stimmt, das ist vermutlich immer ein Stück weit Momentaufnahme. Richtig ist: Als Automobilhersteller hat man es tendenziell einfacher, Arbeitsplätze zu sichern, indem man Umfänge reinholt, die vorher bei Zulieferern waren. Aber ich wehre mich gegen den Eindruck, dass wir es bei Volkswagen wegen unserer starken Mitbestimmung einfacher haben, Aufträge reinzuholen. Ja, wir haben eine starke Kultur der Mitbestimmung. Aber auch eine starke Kultur des Kostendrucks! Unsere Komponente zum Beispiel muss im sogenannten „Make-or-Buy“-Committee, einem internen Gremium, stets die eigene Wettbewerbsfähigkeit unter Beweis stellen. Ich finde die Frage aber total wichtig. Fest steht: Wo immer es geht, sollten wir Metallerinnen und Metaller zusammenhalten, gegenseitig unterstützen und als Betriebsräte über alle Werkszäune hinweg Solidarität beweisen. Dabei können uns übrigens alle ganz einfach unterstützen: Indem sie Mitglied werden, falls sie es noch nicht sind.


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