6. Dezember 2023
DGB-Index Gute Arbeit 2023
„Burnout darf nicht als Berufsrisiko abgetan werden.“
Psychische Belastungen sind in der Arbeitswelt weit verbreitet. Das zeigt der aktuelle DGB-Index Gute Arbeit. Die Studie zeigt auch: Betriebliche Prävention bekommt zu wenig Aufmerksamkeit. Dringend nötig sind sanktionierbare Regeln für Arbeitgeber. Es braucht eine Anti-Stress-Verordnung.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache, die Befunde sind bedrückend: Psychische Belastungen, das zeigt die aktuelle Umfrage des DGB-Index Gute Arbeit, sind in der Arbeitswelt weit verbreitet, sie nehmen zu. Nahezu jede und jeder Beschäftigte, nämlich exakt 90 Prozent, berichtet von Zeitdruck während der Arbeit. Stetige Arbeitshetze und Arbeitsverdichtung aber haben massive gesundheitliche Folgen für Körper und Psyche – sie reichen von einem erhöhten Risiko an Burnout zu erkranken über depressive Störungen bis hin zu Beeinträchtigungen des Herz-Kreislauf-Systems.

Elementar ist daher, dass Überlastungen, die durch die Arbeit entstehen, wirksam abgebaut werden. Die Ergebnisse des DGB-Index zeigen hier allerdings großen Handlungsbedarf: Zu oft werden körperliche und psychische Belastungen bei der Arbeit nicht ernst genommen. Noch immer bekommt die betriebliche Prävention zu wenig Aufmerksamkeit.
 

Psychische Belastungen nehmen zu

Das muss sich dringend ändern, fordert Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall: „Die psychischen Belastungen nehmen zu. Beschäftigte bezahlen Arbeitshetze und Arbeitsdichte mit massiven gesundheitlichen Folgen für Körper und Psyche“, so Urban. Burnout dürfe nirgendwo als Berufsrisiko abgetan werden. „Beschäftigte brauchen eine wirksame Prävention an den Wurzeln der Probleme und Betriebsräte sanktionierbare Regeln auch im Bereich psychischer Belastungen. Dabei würde endlich ein verbindliches Werkzeug wie eine Anti-Stress-Verordnung von Seiten der Politik helfen, damit Beschäftigte nicht weiter ausbrennen.“

Wie groß der Handlungsdruck ist, zeigt die repräsentative DGB-Umfrage eindrücklich. Deutlich wird, dass sowohl körperliche als auch psychische Belastungen in der heutigen Arbeitswelt weit verbreitet sind. Und eine Belastung kommt selten allein: Arbeit ist in der Regel durch eine Kombination verschiedener Belastungsarten geprägt. In der Studie wurden vier verschiedene Belastungen eingehender betrachtet: Körperlich schwere Arbeit, Lärm, Arbeiten unter Zeitdruck sowie Konflikte mit Kundinnen und Kunden, Klientinnen und Klienten.
 

Großer Handlungsdruck in den Betrieben

Bei der Auswertung der Daten zeigte sich: Alle vier Belastungsarten sind in der Arbeitswelt weit verbreitet. Lärm oder laute Umgebungsgeräusche werden von drei Vierteln, exakt 73 Prozent der Befragten genannt. Konflikte mit Kundinnen und Kunden betreffen zwei Drittel der Beschäftigten. Und auch körperlich schwere Arbeit, wie das Heben oder Tragen von schweren Gewichten, gehört für mehr als die Hälfte der Befragten (56 Prozent) zu den Arbeitsanforderungen.

Besonders ausgeprägt, besonders drastisch sind die psychischen Belastungen, denen die Beschäftigten ausgesetzt sind. Insgesamt kommt es bei 90 Prozent der Befragten vor, dass sie sich bei der Arbeit gehetzt fühlen. Diese Belastungssituation wird in den meisten Fällen nicht ernst genommen beziehungsweise nicht adäquat angegangen. Weniger als die Hälfte der unter Zeitdruck leidenden Beschäftigten – nämlich nur 40 Prozent – geben an, dass ihr Betrieb versucht hat, den Zeitdruck durch verhältnispräventive Maßnahmen zu reduzieren. Dabei kann es etwa um die Einstellung von Personal, um eine Reduzierung der Arbeitsmenge oder um größere zeitliche Puffer gehen.

Die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen wird allerdings überwiegend skeptisch bewertet. Nur ein Drittel, exakt 35 Prozent, der Beschäftigten, die angeben, ihr Betrieb versuche, Belastungssituationen zu reduzieren, sieht sich infolge der verwirklichten Maßnahmen auch einem geringeren Zeitdruck ausgesetzt. Von allen Beschäftigten mit Zeitdruck, das ist die deprimierende Gesamtbilanz, berichten also insgesamt lediglich 14 Prozent von wirksamen Maßnahmen betrieblicher Verhältnisprävention.
 

Zu wenige wirksame Maßnahmen

Bei Maßnahmen, die nicht auf die Gestaltung des Arbeitsplatzes, sondern auf den einzelnen Beschäftigten zielen, sieht es nicht viel besser aus, im Gegenteil. 33 Prozent der Befragten berichtet davon, dass sie so genannte „verhaltenspräventive Maßnahmen“ angeboten bekommen haben. Knapp die Hälfte von ihnen hat das Angebot wahrgenommen – lediglich 18 Prozent von ihnen sagt dann aber, dass das Angebot auch wirksam war, dass also Stress reduziert wurde. Es bleibt festzuhalten: Nur 3 Prozent der betroffenen Beschäftigten haben wirksame verhaltenspräventive Maßnahmen von ihrem Arbeitgeber bekommen.

Zu konstatieren ist daher, dass Maßnahmen, die Stress reduzieren sollen, zu selten beziehungsweise nicht im ausreichenden Maße ergriffen werden. Und häufig zeigen sie dann auch noch keine Wirkung für die Beschäftigten. Sie bringen keine Entlastung, sie reduzieren die Belastung nicht. Die Befragung zeigt so einmal mehr, dass beim Schutz der Gesundheit der Beschäftigten große Leerstellen bestehen – gerade im Bereich der psychischen Belastungen.
 

Gefährdungsbeurteilung und Beteiligung der Beschäftigten

Nötig sind deshalb klare und sanktionierbare Vorgaben, um endlich den Schutz der Gesundheit aller Beschäftigten voranzutreiben. Nötig ist eine Anti-Stress-Verordnung, für die wir uns einsetzen.

Sehr hilfreich ist darüber hinaus, dass die Beschäftigten frühzeitig und umfassend beim betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz beteiligt werden. Die Befragungsergebnisse zeigen klar: Eine beteiligungsorientierte Betriebskultur, die das Erfahrungswissen der Beschäftigten nutzt, ist für die Entwicklung wirksamer präventiver Maßnahmen zentral. Bei allen vier betrachteten Belastungsarten wird die Wirksamkeit der verhältnispräventiven Maßnahmen deutlich besser bewertet, wenn die Beschäftigten an deren Entwicklung mitwirken konnten.

Letztlich: Das zentrale Instrument des Arbeitsschutzes ist und bleibt die Gefährdungsbeurteilung. Die Studie zeigt: Ohne Gefährdungsbeurteilung findet betriebliche Prävention deutlich seltener statt. Und: Bei fast allen Präventionsmaßnahmen wird die Wirksamkeit besser bewertet, wenn eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wurde. Die Gefährdungsbeurteilung, zu der der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet ist, ist damit der Ausgangspunkt einer wirksamen betrieblichen Prävention – wenn sie denn durchgeführt wird. In vielen Betrieben ist dies jedoch nicht der Fall: Nur ein knappes Fünftel der Befragten berichtet von einer vollständigen Gefährdungsbeurteilung.

Hier ist dringender Handlungsbedarf gegeben.


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