14. November 2024
DGB-Index Gute Arbeit 2024
Gute Arbeitsbedingungen für die Fachkräftesicherung
Ein Mangel an Fachkräften hat nicht nur Folgen für die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Auch die Beschäftigte sind betroffen – der Druck auf sie steigt. Eine neue DGB-Studie zeigt: Gute Arbeitsbedingungen sind ein wesentlicher Schlüssel, um Personalmangel zu begegnen.

Demografischer Wandel, Digitalisierung und Klimawende sind gängige Erklärungen für bestehende Fachkräfteengpässe. Ein wesentlicher Aspekt wird in der Debatte allerdings vernachlässigt: Oft sind die Arbeitsbedingungen so schlecht, dass sich offene Stellen nicht besetzen lassen oder Fachkräfte das Weite suchen. Ein Teil des Problems ist also hausgemacht: Die Arbeitgeber haben ein wirksames Instrument der Fachkräftesicherung selbst in der Hand. Das ist ein zentrales Ergebnis der aktuellen Studie des DGB-Index Gute Arbeit.

„Die Zahlen des DGB-Index Gute Arbeit zeigen anschaulich, dass der Fachkräftemangel kein Problem von Arbeitskräfteknappheit ist. Vielmehr sind die Arbeitsbedingungen eine elementare Voraussetzung, um die Lücken zu schließen. Hier sind die Arbeitgeber in der Pflicht ihre Personalstrategien grundlegend zu verändern,“ sagt Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall.
 

Zusammenhang von Arbeitsbedingungen und Fachkräftelücke

Der enge Zusammenhang zwischen Fachkräftelücke auf der einen und mangelnden Arbeitsbedingungen auf der anderen Seite lässt sich exemplarisch an dieser Frage aus der Studie verdeutlichen: Würden Beschäftigte ihren Arbeitgeber gegenüber einem Freund oder einer Freundin weiterempfehlen? In der Befragung zeigt sich: Verfügen die Befragten über gute Arbeitsbedingungen, würden 96 Prozent eine Empfehlung aussprechen. Je schlechter jedoch die Arbeitsqualität ist, desto seltener ist das der Fall. Bei schlechten Arbeitsbedingungen würden sogar drei Viertel der Befragten (76 Prozent) davon abraten, bei diesem Arbeitgeber zu arbeiten. Dadurch verschärft sich bestehender Personalmangel – und dieser ist bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt eklatant. Insgesamt berichten in der DGB-Studie 46 Prozent aller Beschäftigten von Personalmangel.

Personalmangel hat aber nicht nur Auswirkungen auf die Frage, ob Beschäftigte ihren Arbeitgeber weiterempfehlen. Er hat dazu häufig zusätzliche, ganz konkret spürbare negative Folgen auf die verbliebenen Beschäftigten. 76 Prozent der Befragten, die über einen (sehr) hohen Personalmangel in ihrem Arbeitsbereich berichten, müssen wegen des fehlenden Personals zusätzliche Aufgaben übernehmen. 60 Prozent müssen in einem höheren Tempo arbeiten. Und jeweils 57 Prozent der befragten Beschäftigten geben an, dass sie aufgrund des Personalmangels Überstunden machen beziehungsweise ihre Arbeitszeiten an die betrieblichen Erfordernisse anpassen müssen.


Personalmangel ist häufig ein Dauerzustand

Erschwerend kommt hinzu: Personalmangel ist für viele Beschäftigte keine kurzzeitige Ausnahme – sondern ein Dauerzustand. Die DGB-Zahlen zeigen: Fast zwei Drittel der Befragten sind in ihrem Arbeitsbereich seit mehr als einem Jahr mit Personalmangel im eigenen Betrieb konfrontiert. Bei zwei von drei Beschäftigten, bei exakt 64 Prozent, die in (sehr) hohem Maß von Personalmangel betroffen sind, besteht dieser Zustand seit mehr als einem Jahr.

Personalmangel und die damit verbundenen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen können, das zeigt die DGB-Studie eindrücklich, eine Abwärtsspirale in Gang setzen. Zunächst hat Personalmangel häufig die Folge, dass die Arbeitsbedingungen der verbliebenen Beschäftigten schlechter werden. Hoher Druck und Überlastung bewegen daraufhin weitere Beschäftigte dazu, ihren Arbeitsbereich zu verlassen. In Zahlen ausgedrückt: Von den Beschäftigten, die in (sehr) hohem Maß von Personalmangel betroffen sind, berichten 72 Prozent, dass aufgrund dieser Situation weitere Kolleginnen und Kollegen den Arbeitsbereich verlassen haben. Durch diesen Weggang verschärft sich nun der Personalmangel weiter. Und auch die Belastungen für die im Betrieb verbleibenden Beschäftigten steigen häufig weiter an.

Das hat weitreichende Folgen – denn elementar, um der Fachkräftelücken zu begegnen, ist und bleibt es, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass die Beschäftigten tatsächlich bis zum Rentenalter arbeiten können. Auch hier aber gibt die Studie ein düsteres Bild: Lediglich die Hälfte der Befragten (52 Prozent) geht derzeit davon aus, ihre aktuelle Tätigkeit ohne Einschränkung bis zum Rentenalter verrichten zu können. Bei starker Arbeitsverdichtung, wie sie mit (andauerndem) Personalmangel einhergeht, gehen nur 40 Prozent der befragten Beschäftigten davon aus, uneingeschränkt bis zur Rente arbeiten zu können. Wenn körperlich schwere Arbeit geleistet wird, sind es sogar nur noch 24 Prozent.


Weiterbildung als Schlüssel

„Um die Lücke beim Fachkräftemangel zu schließen, ist auch Weiterbildung ein entscheidender Faktor“, betont Hans-Jürgen Urban. „Doch auch hier scheint der Weg von der Erkenntnis zur Umsetzung ein langer und steiniger zu sein. Ein Lotse, der Hindernisse erkennt und Möglichkeiten weiß, diese zu meistern sind aus Sicht der Beschäftigten vertrauenswürdige Ansprechpartner, die einem konkret zu Seite stehen. Mit ihnen können Ängste besprochen und konkrete Weiterbildungsmaßnahmen erörtert werden. Diese Lotsen sind die betrieblichen Weiterbildungsmentor*innen.“

In der Studie zeigt sich nun allerdings deutlich: Betriebliche Weiterbildung ist nach wie vor allzu oft hauptsächlich ein Instrument, das Höherqualifizierte angeboten bekommen beziehungsweise wahrnehmen. Während jeder dritte Beschäftigter (34 Prozent) in einer Helfertätigkeit keinerlei betriebliche Weiterbildungsangebote erhält, sinkt dieser Anteil mit zunehmendem Anforderungsniveau. Bei hochkomplexen Tätigkeiten, für die in der Regel ein Hochschulmaster erforderlich ist, berichtet nahezu jeder befragte Beschäftigter (97 Prozent) über die Möglichkeit einer betrieblichen Weiterbildung.
 

Vereinbarkeit von Arbeit und Leben notwendig

Schließlich wird als weiteres mögliches Instrument der Fachkräftesicherung die Erhöhung der Arbeitszeiten von Teilzeitbeschäftigten diskutiert. Theoretisch besteht hier ein großes Potenzial. Nahezu jeder dritte Befragte, jede dritte Befragte (31 Prozent) ist in Teilzeit beschäftigt. Die DGB-Studie zeigt nun klar: Soll den Fachkräfteengpässen durch eine Aufstockung der Arbeitszeiten von Teilzeitbeschäftigten begegnet werden, muss die Arbeit mit familiären Anforderungen vereinbar sein – denn: Familiäre Aufgaben und Sorgearbeit sind vor allem bei Frauen der häufigste Grund für reduzierte Arbeitszeiten: Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmerinnen (52 Prozent) sind in Teilzeit beschäftigt, während die Teilzeitquote bei Arbeitnehmern lediglich 13 Prozent beträgt.

Auf betrieblicher Ebene herrschen hier allerdings Defizite: Sowohl hinsichtlich der Kinderbetreuung als auch bei der Pflege Angehöriger gibt lediglich ein Drittel der Befragten an, dass der Arbeitgeber in (sehr) hohem Maß unterstützt. Im Umkehrschluss heißt das: Bei der Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen gibt es für zwei von drei Befragten keine ausreichende Unterstützung durch den Arbeitgeber.


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