Seine Gesundheit für die eigene Karriere oder den Profit anderer opfern? Das muss nicht sein. „Wenn es nicht um Leben und Tod geht, gibt es nichts, das nicht bis zum nächsten Arbeitstag warten kann“, sagte kürzlich Peter Donath vom Vorstand der IG Metall in einem Interview mit unserer „metallzeitung“. Bezogen hat er sich dabei auf Vorgesetzte, die ihren Mitarbeiter auch in deren Freizeit E-Mails schicken. Natürlich fühlen die sich in der Pflicht, sofort zu reagieren. Die ständige Erreichbarkeit ist einer jener Faktoren, die dafür sorgen, dass auch der Stress unter den Angestellten im Büro immer mehr zunimmt. Hinzu kommen viele andere Trends, die sich negativ auf die gesundheitliche Verfassung auswirken.
Stress hat stärkere physische und psychische Auswirkungen als die, die man unmittelbar als Unwohlsein wahrnimmt. Stress greift die Gesundheit an. In Situationen hoher Anspannung oder Hektik schüttet der Körper beispielsweise das Stresshormon Kortisol aus. Die Ausschüttung soll Energiereserven freisetzen und unsere Aufmerksamkeit bündeln. Eigentlich dient das Hormon dazu, den Körper in Gefahrensituationen auf Flucht oder Angriff einzustellen, unter anderem werden die Muskel besser durchblutet. Der Kortisolspiegel im Blut steigt aber auch unter Arbeitsdruck aller möglichen Formen.
Die Techniker Krankenkasse spricht in ihrem Kundenkompass von depressiven Verstimmungen und ernsten Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Konsequenz von zu viel Stress. Denn durch eine überhöhte Kortisolausschüttung setzen sich Fette als Cholesterin an den Gefäßwänden ab, was zu Arterienverkalkung und Infarkten führen kann. Außerdem wenden sich zu viele Stresshormone gegen den eigenen Körper und dessen Immunsystem.
„Wie soll ein Mensch 40 Jahre im Arbeitsleben durchstehen, wenn er nie abschalten kann?“, fragt Donath mit Blick auf die ständige Erreichbarkeit. „Wer Arbeit mit nach Hause nimmt, tut das nicht freiwillig. Unsere Arbeitskultur hat sich in den vergangenen Jahren verändert.“ Dazu gehört auch, dass sich in Büros mit offenen Raumkonzepten beispielsweise die Geräusche ballen. Von überall dringen Gesprächsfetzen ans Ohr, Telefone klingeln, Faxgeräte und Computer laufen. Die Unternehmen denken dabei nur an die Kosten: Große Büroflächen sind billiger als viele kleine Büros. Hinzu kommt der Trend des „schlanken Büros“ (Lean Office): Beratungsfirmen werben damit, dass sie bei Tätigkeiten im Büro 30 Prozent Verschwendung aufdecken und beseitigen. Das geht nicht selten zulasten der Angestellten.
Diese Probleme betreffen IT-Experten ebenso wie kaufmännische Angestellte im Büromanagement und in der Sachbearbeitung. Viele Angestellte leiden unter psychischer Überlastung. Und nicht immer ist es die Menge, manchmal liegt es auch am Vorgesetzten oder der Art, wie die Arbeit verteilt wird. Zielvorgaben sind unrealistisch und die Personaldecke zu dünn. Für viele Angestellte geht es nach dem Verlassen des Unternehmens abends oder am Wochenende zu Hause weiter. Die Grenzen von Arbeit und Freizeit verschwimmen. Eine gesundheitsförderliche Arbeitswelt sieht anders aus, parallel dazu sinkt die Arbeitsqualität. Es ist vor allem die Existenzangst der Beschäftigten, die sie die Belastungen ertragen lässt.
Kein Wunder, dass 56 Prozent der Beschäftigten unter Arbeitshetze leiden. Dieses alarmierende Ergebnis legte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kürzlich in einer Sonderauswertung des DGB-Index „Gute Arbeit“ vor. Aus diesen Gründen setzt sich die IG Metall für eine gesetzlich geregelte „Anti-Stress-Verordnung“ ein. Mit ihr könnten Rechtssicherheit und Verbindlichkeit geschaffen werden. Denn heikle betriebliche Themen müssen in die Gefährdungsbeurteilung von Arbeitsplätzen einbezogen werden. Arbeitgeber, die sich nicht daran halten, könnten dann mit Sanktionen bestraft werden.
Einem ersten Schritt in die richtige Richtung haben Arbeitgeber kürzlich ein Bein gestellt. In Berlin haben sie eine gemeinsame Erklärung mit den Gewerkschaften gegen die steigenden psychischen Belastungen am Arbeitsplatz scheitern lassen. Die IG Metall wird sich mit ihrer Anti-Stress-Initiative weiter für die Beschäftigten einsetzen. Auch im Büro muss gute und faire Arbeit wieder möglich sein.