Das Thema Arbeitsstress bekommt endlich die Aktualität, die es verdient. Es ist höchste Zeit, hier mehr zu tun. Denn alle Fachleute stimmen darin überein, dass psychische Belastungen in der Arbeitswelt ein Ausmaß erreicht haben, das zum raschen Handeln zwingt. Hier schlummert eine Zeitbombe. Wer chronisch gestresst ist, hat ein höheres Risiko, seelisch und körperlich zu erkranken. Je höher die Arbeitsdichte, desto häufiger treten etwa Depressionen und Verstimmungen auf. Aber auch Muskel-Skelett-Erkrankungen und Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und des Verdauungstrakts sind Folgen psychischer Fehlbelastung.
Fast täglich melden wissenschaftliche Studien, dass sich die Fehltage aufgrund von psychischen Erkrankungen dramatisch häufen. So hat der Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse kürzlich festgestellt, dass Beschäftigte immer öfter wegen psychischer Erkrankungen nicht arbeiten können. Im Schnitt fehlt jeder Beschäftigte mehr als zwei Arbeitstage pro Jahr wegen seelischer Leiden. Die Zahl der Krankheitstage, die psychisch bedingt sind, stieg 2011 um 6,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Jeder fünfte Beschäftigte leidet unter psychischen Störungen.
Krankmacher ist unter anderem die ständige Erreichbarkeit auch in der Freizeit – Fluch von Handy und Smartphone. Termindruck, hohes Arbeitstempo, Lärm und ein schlechtes Betriebsklima machen die Nerven mürbe. Stressfaktoren sind auch kurze Taktzeiten in Fabriken, Monotonie der Abläufe, ungünstige Schichtpläne und zu enge Zeitvorgaben bei Projekten. Das Thema seelischer Gesundheitsgefahren ist bisher in zuwenig Betrieben und in der Arbeitsschutzpraxis angekommen. Die Prävention muss verbessert werden mit dem Ziel einer humanen Arbeitsgestaltung. Die betrieblichen Akteure sind gefragt, aber auch der Gesetzgeber. Eine rechtliche Regulierung auf diesem Feld ist unerlässlich.
Die IG Metall will das Thema nun voranbringen. Denn „psychische Belastungen sind die Volkskrankheit des 21. Jahrhunderts“, sagt IG Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban bei der Vorstellung der Anti-Stress-Initiative am gestrigen Mittwoch in Berlin. Bei der Anti-Stress-Verordnung geht es darum, das Arbeitsschutzgesetz um wesentliche Punkte zu ergänzen. Das Regelwerk des Arbeitsschutzes muss in Bezug auf psychische Belastung konkretisiert werden. Die Anti-Stress-Verordnung wurde im breiten Dialog mit Fachwissenschaftlern, betrieblichen Praktikern und Arbeitsschutz-Experten entwickelt.
Der Gesetzgeber darf sich seiner Verantwortung nicht entziehen. Denn eine ausreichend präzise Anti-Stress-Verordnung könnte zur Bewältigung des Problemdrucks einen wichtigen Beitrag leisten. Die gesetzlichen Anforderungen müssen verbindlicher, konkreter und transparenter werden. Sie müssen mit praxisnahen Handlungsanleitungen unterlegt werden, damit die Beschäftigten und Betriebsräte wissen, wie sie dieses Problem lösen können und müssen. Unternehmen müssten dann zum Beispiel dafür sorgen, dass das Schichtsystem der Gesundheit zuträglich ist. Auch die ständige Erreichbarkeit durch Handys und Laptops müsste dann geregelt werden.
Die neue Verordnung soll für alle Firmen gelten, die dem Arbeitsschutzgesetz unterliegen – und das trifft auf so gut wie alle Unternehmen in Deutschland zu. Im betrieblichen Arbeitsschutz spielen Betriebsräte und Gewerkschaften eine zentrale Rolle. Die IG Metall hat ein Anti-Stress-Paket entwickelt, indem sie den betrieblichen Akteuren Werkzeuge zur Verfügung stellt, um eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen vorzunehmen. Denn Gute Arbeit braucht klare Regeln – auch bei Gefährdungen durch psychische Belastungen.