Um 5 vor 12 geht es los, vor dem Werk des Autozulieferers Mahle Behr in Stuttgart-Feuerbach. 1300 Mahle-Beschäftigte sind heute hier. Auch die Beschäftigten von Mahle in Mühlacker und Vaihingen sind rund 40 Kilometer hierher angereist - mit 15 Bussen, nach der 3G-Regel. Auch eine Delegation von Mahle in Markgröningen ist mitgekommen. Unter dem Motto „Ohne Zukunft sehen wir schwarz“ demonstrieren sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen in Feuerbach – und kämpfen mit der IG Metall für gute Zukunftsverträge. „Wir bleiben“, rufen sie. „Solidarität gewinnt“.
Aus Solidarität sind zudem Betriebsräte und aktive Mitglieder der IG Metall Stuttgart aus anderen Betrieben zur Demonstration bei Mahle gekommen – von Bosch, Coperion, Porsche, Koenig&Bauer MetalPrint, sowie von den beiden Daimler-Standorten Untertürkheim und Sindelfingen.
Demonstration vor der Mahle-Konzernzentrale in Stuttgart-Bad Cannstatt. Foto: Julian Rettig
„Der Arbeitgeber will nur mehr Profit“, kritisiert Ljiljana Culjak, Betriebsratsvorsitzende von Mahle in Feuerbach. „Die Verlagerungen haben mit der Transformation gar nichts zu tun, wir bauen hier Kühlungssysteme und Klimaanlagen, die auch in Elektroautos gebraucht werden. Und jeder Arbeitsplatz, der hier abgebaut wird, wird an Billigstandorten wieder billiger aufgebaut. Sie nutzen Corona und die Transformation, um billig zu verlagern.“
Nach der Kundgebung lassen sie schwarze Luftballons steigen und ziehen noch mal eine Runde um das Mahle-Werk in Feuerbach.
Danach es gemeinsam in die Busse und nach Stuttgart-Bad Cannstatt, vor die Konzernzentrale von Mahle. „Kommen sie raus und sprechen sie mit uns“, fordert Nektaria Christidou, Betriebsratsvorsitzende von Mahle Behr in Mühlacker.
Und die Geschäftsleitung stellt sich den Beschäftigten auf der Bühne – unter donnerndem Lärm aus Trillerpfeifen, Blechbüchsen und Tröten. „Ich muss die Frage stellen: Wie sieht es mit dem Personalabbau aus?“ – fragt Christidou die Geschäfsleitung. „Wollen wir tatsächlich in Verhandlungen über Sozialpläne gehen?“
Darauf sagt die Deutschland-Personalchefin zu: „Wir werden das nicht tun, wenn wir die richtigen Lösungen finden.“ Immerhin. Denn bislang weigerte sich die Geschäftsleitung über konkrete Zukunftspläne zu verhandeln.
Das Management setzt die Beschäftigten und ihre Betriebsräte unter Druck, droht mit Personalabbau, fordert Opfer von den Beschäftigten - und verlagert an Billiglohnstandorte, nicht nur Produktion, sondern auch die Entwicklung. Investitionen oder Perspektive in eine sichere Zukunft für die Standorte und Beschäftigten will das Management im Gegenzug nicht zusichern.
In Feuerbach ist der Personalabbau bereits in vollem Gange. Auch die Entwicklung und die IT sind massiv betroffen – von Abbauprogrammen wie „Performance Lift“ und „New Normal“. Sie bekommen Aufhebungsverträge mit Abfindungen aufgedrückt. Der Betriebsrat hat hierbei keine Mitbestimmung. Über 400 Beschäftigte wurden so bereits gegangen.
Und es drohen weitere Verlagerungen: Prüfstände und Entwicklungsaktivitäten sollen in Billiglohnländer. Dazu kommen „Zentralisierungen“ von Einkauf, Qualitätsmanagement, Logistik, Vertrieb, Ausbildung, IT und Finanzen.
„Sie testen die ganze Zeit schon durch Kurzarbeit, welche Bereiche sie verlagern können“, berichtet Betriebsrätin Ljiljana Culjak. Seit 18 Monaten ist etwa die Entwicklung immer wieder in Kurzarbeit. Jeden Tag kämpfen die Betriebsräte dafür, dass Bereiche wieder aus der Kurzarbeit genommen werden. „Wir haben hier Kurzarbeit, auf Kosten der Steuerzahler – und die Entwicklungsaufträge gehen an Billigstandorte.“
Und seit dem 1. Oktober wissen sie in Feuerbach, dass aus Sicht der Konzernleitung eine Einsparungslücke von 39 Millionen Euro zu schließen ist. Doch 39 Millionen Euro sollen nicht in Feuerbach bleiben, sondern in Billiglohnstandorte abfließen. Die Beschäftigten sollen also Millionen-Opfer bringen, mit denen Mahle dann die Verlagerung ihrer Arbeitsplätze finanziert.
„Mahle scheint sich, wie auch andere Unternehmen, eine eigene Definition von ‘Transformation’ zurechtgelegt zu haben“, schreiben die Betriebsräte und IG Metall-Vertrauensleute bei Mahle Behr Feuerbach in einer Erklärung. „In dieser kommt eine Zukunft für die Standorte in Deutschland nicht vor. Eine Beschreibung des Ziel-Zustandes ist ebenso wenig zu finden. Viel eher werden die deutschen Standorte mit verschiedenen „Restrukturierungen“ bis zur Handlungsunfähigkeit zusammengeschrumpft und am Ende in Billiglohnländer verlagert.“
Betriebsrätinnen führen den Kampf bei Mahle: Ljiljana Culjak (Feuerbach, links) und Nektaria Christidou (Mühlacker, rechts). Foto: Julian Rettig
Ähnlich sieht es in Mühlacker und Vaihingen aus. Hier stellt Mahle Behr Verbrennerteile her, vor allem Kolben. Aber Mahle hat sich eigentlich verpflichtet, Mühlacker/Vaihingen zum „Pilot-Werk“ zu machen, für das ein Zukunftskonzept erstellt werden soll. Das haben die Mahle-Betriebsräte in einer Gesamtbetriebsvereinbarung mit der Unternehmensleitung durchgesetzt.
Doch bislang entzog sich die Geschäftsführung – seit April ist schon wieder eine neue da – einfach den Verhandlungen über das Zukunftskonzept. Und immer erhöhte sie die Personalabbauzahlen.
„Letztes Jahr hieß es noch, rund 200 werden abgebaut. Dann sollten es 250 sein, dann 400, dann 500“, ärgert sich Nektaria Christidou, Betriebsratsvorsitzende von Mahle Behr in Mühlacker.
Jetzt machen die Beschäftigten, Betriebsräte und die IG Metall Pforzheim Druck. „Verlagerungen in Billiglohnländer – ohne Aussicht auf Zukunftsinvestitionen? Nicht mir uns“, heißt es im Aufruf der IG Metall-Vertrauensleute. „Wir brauchen eine Perspektive für alle Kolleginnen und Kollegen der Firma Mahler Behr Mühlacker/Vaihingen. Wir fordern die Geschäftsleitung auf, die zugesagten Verhandlungen zu einem Pilot-Zukunfts-Vertrag aufzunehmen und ernsthaft zu führen.“
In Feuerbach kämpfen die Beschäftigten bereits seit Sommer 2020 für ihre Zukunft. Seitdem ziehen sie jede Woche unter dem Motto „Zukunftsmahler“ einmal um ihr Werk.
Doch zugleich arbeiten sie auch an Alternativkonzepten zum fantasielosen Abbau der Geschäftsleitung, gemeinsam mit Experten für Betriebswirtschaft, etwa vom IMU-Institut.
„Wir haben in Mühlacker über Abteilungsversammlungen rund 270 Ideen der Beschäftigten erarbeitet. Doch die Geschäftsführung hat sich die nicht einmal angeschaut“, kritisiert Liane Papaioannou, Erste Bevollmächtigte der IG Metall Pforzheim. „Deshalb haben wir jetzt den Druck erhöht. Wir werden nicht warten, bis die Belegschaft in drei, vier Jahren halbiert ist. Wir wollen einen Zukunftsvertrag, mit Investitionen in die Zukunft – und mit einer Qualifizierungsplanung für die Arbeit der Zukunft.“