Fast 1 000 Euro verdient eine Arbeitnehmerin, die in einem Handwerksbetrieb arbeitet, im Durchschnitt weniger als ein Beschäftigter in einem anderen Betrieb. Während der Handwerker im Schnitt 3 217 Euro brutto im Monat erhält, liegt das Durchschnittsentgelt über alle Wirtschaftsbereiche bei 4 180 Euro. Das ermittelten die Wissenschaftlerinnen Katarzyna Haverkamp und Kaja Fredriksen vom Volkswirtschaftlichen Institut für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen in einer Studie „Lohnstruktur im Handwerk“ im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung.
Handwerker sind eine starke Gruppe unter den Erwerbstätigen. Weit über fünf Millionen Menschen, 12,5 Prozent aller Beschäftigten, zählen dazu. Sie haben so unterschiedliche Berufe wie Friseur, Metzgerin, Maurer und Dachdeckerin. 1,8 Millionen von ihnen arbeiten in den Berufen, für die wir als Gewerkschaft zuständig ist: zum Beispiel als Kfz-Handwerkerinnen, Tischler, Metallbauerinnen, Zahntechniker und in Firmen für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. Woher kommt die Lohnlücke zwischen ihnen und anderen Berufstätigen?
Sind Handwerker weniger qualifiziert als Beschäftigte in anderen Sektoren? Die Göttinger Studie zeigt, dass das nicht der Grund sein kann. Denn bei der Bildung gibt es kaum Unterschiede. Nur sieben Prozent der Handwerker haben keine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss, in den anderen Betrieben gut acht Prozent. Die beiden Wissenschaftlerinnen haben festgestellt: Je höher die Schulbildung ist und je qualifizierter die Beschäftigen sind, desto größer wird der Lohnabstand.
Bei Un- und Angelernten unterscheiden sich die Entgelte im Handwerk und der Gesamtwirtschaft kaum. Aber Fachkräfte verdienen im Handwerk deutlich weniger: im Schnitt 13,89 Euro brutto pro Stunde. In der Gesamtwirtschaft liegt das Durchschnittsentgelt bei 16,27 Euro. Bei hochqualifizierten Fachleuten, wie Meistern, Technikerinnen oder Fachwirten, beträgt die Lücke 20,54 zu 24,88 Euro.
Es ist auch nicht so, dass Frauen die Löhne im Handwerk drücken. Arbeitnehmerinnen verdienen im Schnitt zwar weniger als Männer, aber im Handwerk sind nur 18 Prozent der Beschäftigten Frauen. In allen Sektoren liegt ihr Anteil bei knapp 38 Prozent. Wenn das „Gender Pay Gap“ eine Rolle spielen würde, müsste sich das also im Handwerk positiv auf die Durchschnittsentgelte auswirken.
Dass Handwerkerinnen öfter in Kleinbetrieben arbeiten als andere Beschäftigte (jeder fünfte ist in einem Betrieb mit höchstens neun Beschäftigten, in den anderen Sektoren sind das nur 7,6 Prozent), erklärt auch höchstens vier bis maximal sieben Prozent der Differenz. Zwar sind die Entgelte in großen Industriebetrieben in der Regel höher als in kleinen Firmen, aber im Handwerk sieht es auch hier anders aus: Je größer der Handwerksbetrieb, desto mehr wächst der Lohnabstand gegenüber anderen Betrieben vergleichbarer Größe.
Es muss also an etwas anderem liegen, dass die Entgelte so auseinanderklaffen. „Der wesentliche Grund ist, dass viele Firmen und Verbände sich heute immer weniger an Tarifverträge binden“, sagt Ralf Kutzner, der in unserem Vorstand für das Handwerk zuständig ist. „Nur für weniger als 30 Prozent der Beschäftigten im Handwerk gilt ein Tarifvertrag.“ In der Gesamtwirtschaft kommt immerhin etwa die Hälfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Genuss tariflicher Entgelte und Arbeitsbedingungen. Auch dass Fachkräfte im Handwerk weniger verdienen, lässt sich so erklären. Denn es sind die Tarifverträge, die dafür sorgen, dass sich Qualifikationen im Lohn angemessen widerspiegeln.
Viele Betriebe, zum Beispiel Autohäuser, sind aus der Tarifbindung ausgestiegen, weil sie ihre Konkurrentinnen durch Preisdumping ausbooten wollten. Ohne Tarifvertrag konnten sie die Löhne drücken, Arbeitszeiten verlängern und Urlaubstage streichen. Allerdings war der Schaden auch für die Firmen größer als der Nutzen. Im Moment, in Zeiten boomender Konjunktur, sind es vor allem die Chefs der Handwerksbetriebe, die über Fachkräftemangel klagen. 86 Prozent gaben in einer aktuellen Umfrage an, dass sie freie Stellen nicht besetzen können.
Schulabgänger bewerben sich lieber in der Industrie, weil dort die Ausbildungsbedingungen und Vergütungen besser sind. Von denen, die eine Ausbildung im Handwerk absolvieren, wandern 35 Prozent nach der Abschlussprüfung direkt in die Industrie ab. Ralf Kutzner setzt sich für eine Mindestausbildungsvergütung ein, die kein Handwerksbetrieb unterschreiten darf.
„Aber auch die Innungen und Innungsverbände müssen endlich ihre Hausaufgaben machen“, fordert Kutzner. Nach geltendem Recht sollen Innungen Tarifverträge abschließen. Das hat ein Gutachten des Rechtswissenschaftlers Winfried Kluth bestätigt. „Es ist für die Innungen eigentlich ein Privileg, mit Tarifverhandlungen eine sozialstaatliche Aufgabe erfüllen zu können. Wer das hinschmeißt, kündigt die Sozialpartnerschaft“, sagt Ralf Kutzner. „Die Innungen müssen sich zu ihrer ordnungspolitischen Aufgabe bekennen und wieder mit uns Flächentarifverträge abschließen“, mahnt er. Da viele es aber nicht tun, soll der Gesetzgeber handeln. Kutzner fordert, dass Innungen, die ihren Job nicht machen, ihren Status als öffentlich-rechtliche Institutionen verlieren.
„Wenn die Firmen weiter auf stur schalten, sind wir aber auch bereit, Betrieb für Betrieb für Tarifverträge zu kämpfen. Um in den Firmen den nötigen Druck machen zu können, ist es aber wichtig, dass möglichst viele Beschäftigte im Handwerk Gewerkschaftsmitglieder werden“, sagt Kutzner. Vor allem junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wollen wir ansprechen.
Lieber als Kämpfe mit uneinsichtigen Innungen und Firmenchefs über Tarifbindung auszufechten würde Ralf Kutzner mit den Handwerksverbänden darüber reden, wie Arbeitgeber und wir gemeinsam unsere Kompetenzen einbringen können, um die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass die Branche die Zukunft gut meistert. In der nächsten Zeit wird sich vieles ändern. Die Digitalisierung ist auch im Handwerk ein großes Thema. Zum Beispiel in den Autowerkstätten. Oder in der Gebäudetechnik: das digital vernetzte „Smart Home“ wird die Arbeit von Elektroinstallateuren und in der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik revolutionieren. Dafür müssen die Betriebe sich und ihre Beschäftigten fit machen.