Chiles Studentenführerin Camila Vallejo mit Kollegen in Deuts...
„Wir können die Welt verändern“

Camila Vallejo, 23, die Anführerin des sozialen Protests in Chile wird in den Medien weltweit als neuer Star der Linken gefeiert. Sie, ihre Kollegin Karol Cariola, 24, und Metallgewerkschafter Jorge Murua, 35, tourten Anfang Februar zwei Wochen durch Unis und Gewerkschaftshäuser in Deutschland. ...

14. Februar 201214. 2. 2012


... igmetall.de hat sie interviewt.

Camila, Jorge, Karol, warum seid Ihr hier in Europa und in Deutschland?


Karol Cariola:
Wir wollen die soziale Bewegung in Chile erklären. Und wie aus der ursprünglichen Studierendenbewegung im Laufe des letzten Jahres eine Bewegung der gesamten Gesellschaft geworden ist. Unsere Botschaft: Wir können die Welt verändern.

Was war denn der Ursprung Eurer Proteste?

Camila Vallejo: Es ist kein Zufall, dass der Protest von Studierenden und Schülern ausgeht. In Chile ist das Bildungssystem stark privatisiert. Nur noch 30 Prozent der Schüler gehen auf öffentliche Schulen. Ausbildung kostet viel Geld. Unis sind so teuer, dass sich junge Menschen, die nicht reich sind, hoch verschulden müssen. [Anm. der Redaktion: im Schnitt 350 Euro Studiengebühren im Monat, bei 283 Euro Mindestlohn]. Die Profitinteressen von Unternehmen haben Vorrang vor dem Recht auf freie Bildung. Auch die Lehrpläne sind den Interessen der Wirtschaft angepasst. Die Fähigkeit zu Kritik ist nicht gefragt. Im Bildungssystem zeigt sich besonders krass die Krise des freien Marktmodells.

Karol Cariola, Jorge Murua, Camila Vallejo (v.l.n.r.) bei der IG Metall Braunschweig.

Fotos: d&d/Maik Matthias


Was sind denn neben einer gerechten Bildung Eure weiteren Ziele?

Camila Vallejo: Wir wollen eine Steuerreform und eine Verfassungsreform von unten, an der alle beteiligt sind. In Chile ist sämtliche wirtschaftliche und institutionelle Macht in den Händen einer kleinen Elite konzentriert – die Erben der Pinochet-Diktatur. [Anm. der Redaktion: General Pinochet hatte 1973 den gewählten sozialistischen Präsidenten Allende aus der Macht geputscht. Seine Militärdikatur dauerte bis 1990.] Und alles im Staat Chile ist darauf ausgerichtet, dass sich diese Elite immer weiter bereichert [Anm.: in der derzeitigen Regierung sitzen mehrere Milliardäre]. Alles ist privat: von der Bildung über die Gesundheit bis zur Wasserversorgung. Wir sagen jedoch: Bildung, Staat – das muss dem öffentlichen Wohl dienen.

Karol Cariola: Wir fordern auch, dass junge Menschen nach ihrer Ausbildung eine feste Arbeit bekommen. Nach der teuren Ausbildung landen sie nämlich auch noch in unsicheren, prekären Arbeitsbedingungen.

Das betrifft ja Dich Jorge. Warum bist Du als Gewerkschafter hier dabei?

Jorge Murua: Wir haben ja die gleichen Probleme mit dem marktradikalen System. Azubis müssen bei uns für ihre Ausbildung zahlen. Und immer mehr Unternehmen beschäftigen Leiharbeiter und Sub-Beschäftigte, die nicht in die Gewerkschaft dürfen und faktisch rechtlos sind. Wir wollen endlich freie Tarifverhandlungen. Deshalb haben wir uns als Gewerkschaften den Studierenden angeschlossen und die Proteste mit Generalstreiks unterstützt. Auch die Ökologiebewegung und Indigenen [Ureinwohner] sind dabei.


Was wollen die Gewerkschaften in Chile verändern?

Jorge Murua: Der scheinbare wirtschaftliche Erfolge Chiles muss endlich auch bei den Menschen ankommen: Millionen Arbeitnehmer müssen mit dem Mindestlohn von nur 283 Euro im Monat über die Runden kommen. Das reicht hinten und vorne nicht zum Leben. Und wir wollen eine andere Politik. Wir wollen eine echten Übergang zur Demokratie, weg von Pinochet und weg vom neoliberalen System – und mit einer Volksabstimmung zu einer demokratischen Verfassung.


Chile ist wirtschaftlich extrem liberal aber gegenüber Frauen sehr konservativ. Eine Zeitschrift titelte ja sogar Berlusconi-artig: „Camila wollte nicht mit dem Hinter wackeln“. Wie besonders ist es da, dass mit Euch, Camila und Karol, Frauen an der Spitze der sozialen Bewegung stehen?

Karol Cariola: Zuerst muss man sagen, dass wir in einer sehr machistischen Gesellschaft leben. Und klar: Camila ist nach mir erst die zweite Frau in der chilenischen Geschichte an der Spitze der Studierendenvereinigung. Bis vor einigen Jahren war es wirklich außergewöhnlich, dass es irgendwo eine weibliche Führung gab. Aber in den letzten Jahren gab es einen Wandel. Etwa der Präsidentschafts-Wahlerfolg von Michelle Bachelet. Trotz unserer politischen Differenzen mit ihr: Sie hat es in diesem präsidentiellen System, das sehr machistisch ausgerichtet ist, trotzdem an die Spitze geschafft. Bei den Protesten im vergangenen Jahr gab es dann wirklich einen Boom, bei dem landesweit viele Frauen an die Spitze der Studierendenvertretungen gewählt wurden. Die gleichberechtigte Führungsrolle der Frauen wurde anerkannt. Und zwar nicht nur weil sie Frauen, sondern kompetent waren. So kam es zu einer kulturellen Öffnung in der Gesellschaft.

Camila Vallejo: Nach vielen Jahren der Vorherrschaft der Männer, haben es die Frauen nun gezeigt, dass sie nicht nur ebenso gut in der Lage sind, Politik zu machen, sondern dass sie auch andere Attribute und Fähigkeiten in die Politik einbringen können. Und ich denke diesen Frauen muss man auch einmal applaudieren. Aber nicht notwendigerweise, weil sie Frauen sind, sondern weil sie tolle Arbeit machen. Andererseits gibt es auch weibliche Anführerinnen, die männliche, autoritäre Politik-Muster benutzen. Andere haben dagegen aber auch horizontale, basisorientierte Machtstrukturen aufgebaut und gelebt. Aber darum sage ich: Nur weil jemand eine Frau ist, muss man sie nicht zwingend politisch unterstützen, sondern es kommt auf die Inhalte und den Führungsstil an. Das wäre sonst ein sehr oberflächlicher Rollen-Traditionalismus.

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