16. Dezember 2013
Gesundheit und Pflege
Bürgerversicherung muss solidarische Perspektive bleiben
In der Gesundheitspolitik haben sich CDU/CSU und SPD leider nicht genug vorgenommen, um die verteilungspolitische Schieflage wieder ins Lot zu bringen. Die Pflegereform sollte die Koalition mit mehr Mut und umfassender in Angriff nehmen.

Die IG Metall will die paritätische Finanzierung des Sozialversicherungssystems – Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollen wieder gleiche Beiträge für die Krankenversicherung bezahlen. Außerdem tritt sie für die Schaffung einer solidarischen Bürgerversicherung ein, in die alle – auch Beamte, Politiker, Selbständige und Besserverdienende – einbezogen sind und einkommensabhängige Beiträge zahlen. Damit würde die zweigeteilte Krankenversicherung in eine gesetzliche und private entfallen. Leistungsausgliederungen sollen zurückgenommen und die Pflegebedürftigkeit neu definiert werden. Denn: Das Gesundheitswesen braucht mehr Gerechtigkeit und Solidarität.

Auf der Strecke geblieben ist im Koalitionsvertrag die Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung. Der Arbeitgeberbeitrag soll weiterhin bei 7,3 Prozent gedeckelt bleiben. Das ist, so IG Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban „schlichtweg nicht akzeptabel“. Denn: „Die Deckelung der Arbeitgeberbeiträge schreibt den Bruch mit der paritätischen Finanzierung fort und bürdet künftige Kostensteigerungen ausschließlich Arbeitnehmern und Rentnern auf“.

Die Koalitionäre beschränken sich darauf, die Ausgestaltung des Zusatzbeitrags neu zu definieren: Bisher mussten Versicherte einen Sonderbeitrag in Höhe von 0,9 Prozent leisten. Zudem konnte die Kasse einen Zusatzbeitrag in Form einer Kopfpauschale erheben, wenn sie mit dem Geld aus dem Gesundheitsfonds nicht auskam. Daraus soll künftig ein „beweglicher“ prozentualer Zusatzbeitrag werden, über dessen Höhe die Kassen selbst entscheiden können. Die Folge davon ist für Hans-Jürgen Urban absehbar: Der Wettbewerb der Kassen wird sich darauf konzentrieren, den günstigsten Zusatzbeitrag einzuheben anstatt eine gute Versorgung anzubieten .

2 Prozent-Grenze entfällt
Dazu kommt: Bisher durfte der Zusatzbeitrag für Versicherte höchstens zwei Prozent des Einkommens ausmachen. Lag er darüber, musste der Rest aus Steuermitteln finanziert werden. Mit der Kopfpauschale entfällt auch diese Grenze. Defizite im Gesundheitswesen werden künftig allein bei den Versicherten abgeladen. Schätzungen über das zu erwartende Defizit im Gesundheitsbereich lassen erste Berechnungen zu. Demzufolge könnte nach Berechnungen des Instituts für Mikrodatenanalyse die Beitragsdifferenz zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bis 2017 bei 2,7 Prozentpunkten liegen.

Weiterhin ist zu beanstanden, dass am unsolidarischen dualen System von gesetzlicher und privater Krankenversicherung unverändert festgehalten wird. Nicht einmal einzelne Elemente einer Bürgerversicherung, wie die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze, sind geplant. Die Systemfrage wird daher die gesundheitspolitische Debatte weiter prägen müssen, denn die Bürgerversicherung bleibt die einzig richtige solidarische Perspektive.

Pflegereform
In der Pflege ist der Reformbedarf unstrittig, ebenso die Notwendigkeit höherer Beiträge. Die Koalitionspläne sind aber eine mutlose Mini-Reform. Die IG Metall fordert eine umfassende Reform für bedarfsgerechte Pflegeleistungen, solidarisch finanziert über eine Bürgerversicherung Pflege.

Die Pläne: der Beitragssatz zur Pflegeversicherung soll bis zum Ende der Legislaturperiode um 0,5 Beitragssatzpunkte angehoben werden, ein erster Schritt ist ab 2015 geplant, dann soll der Beitrag um 0,3 Punkte steigen.

Aber diese Mittel reichen nicht aus, um gute Pflege sicherzustellen. Schon lange ist klar: Der Pflegebedarf müsste einer Neubewertung unterzogen werden. Anstatt bei Alltagsverrichtungen die Minuten vorzugeben, müsste der Pflegebedarf teilhabeorientiert berücksichtigt werden.

Hans-Jürgen Urban kritisiert: „Der neue Pflegebegriff, der Demenzkranke einschließen würde, soll erst in der nachfolgenden Legislaturperiode umgesetzt werden. Zudem ist eine stärkere Dynamisierung der Pflegeleistungen überfällig, damit die Pflegeversicherung auch weiterhin das Risiko im Pflegefall abdecken kann. Gute Pflege erfordert nicht zuletzt qualifizierte und fair bezahlte Pflegekräfte. Von allem nur ein bisschen, das ist keine Lösung.“

Was in der Pflege sonst noch geplant ist:
Der Vorsorgefonds: Ein Drittel der ab 2015 geplanten Beitragssatzerhöhung, also 0,1 Punkte, soll in einen Vorsorgefonds fließen. Ein solcher Fonds würde aber nur Mittel binden, die aktuell gebraucht werden.

Bezahlte Pflegezeit: Angehörige sollen eine 10-tägige bezahlte Auszeit nehmen können, wenn sie sich um einen Pflegefall kümmern. Das wäre ein erster Schritt in Richtung bezahlte Pflegezeit. Allerdings soll der Lohnersatz beitragsfinanziert sein, nicht steuerfinanziert, wie von der IG Metall gefordert.

Versorgung und Prävention
Überwiegend positiv zu bewerten sind die Koalitionspläne im Bereich der gesundheitlichen Versorgung. So bekennt sich Rot-Schwarz zu mehr Qualität, einem besseren Zugang zu Fachärzten und zur Psychotherapie, zu mehr integrierter Versorgung und der Entwicklung neuer Programme zur Behandlung von Rückenleiden oder Depression. Offen bleibt aber, ob die jeweiligen Maßnahmen ausreichend beziehungsweise geeignet sind, die angestrebten Ziele zu erreichen.

Einige der Vorhaben sind vage formuliert, die Sinnhaftigkeit anderer sind fraglich. Ein Beispiel: Krankenhäuser sollen bei guter Behandlungsqualität Zuschläge erhalten, bei schlechter Leistung Abschläge. Aber ist einem schlecht behandelten Patienten gedient, wenn das Krankenhaus für die schlechte Leistung weniger Geld bekommt?

Die Koalitionäre wollen in 2014 ein Präventionsgesetz verabschieden. Damit soll die Gesundheitsförderung in Kindertagesstätten, Schulen und Betrieben gestärkt werden. Eine weitere Konkretisierung fehlt. Die IG Metall legt Wert darauf, dass Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden wird und auch die Arbeitgeber stärker in die Pflicht genommen werden.

Arzneimittel
Bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln haben Union und SPD einen Rückzug vereinbart. Wirkstoffe, die bereits auf dem Markt sind, sollen von einer Nutzenbewertung ausgenommen werden. Der Herstellerrabatt, den die Pharmaunternehmen den Kassen geben müssen, wird von gesetzlich vorgesehenen 6 auf 7 Prozent erhöht. Aktuell beträgt er aufgrund einer Sonderregelung 16 Prozent. Gesundheitspolitisch ein falsches Signal – und ein Zurückweichen vor der Pharmalobby.


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