Jörg Hofmann: Die Mehrheit der Beschäftigten ist mit ihren Arbeitszeiten durchaus zufrieden.
... aber sie ziehen die falschen Schlüsse daraus. Sie sagen, deshalb brauchen wir keine verbindlichen Regeln. Unsere Ergebnisse zeigen: Das Gegenteil ist der Fall. Beschäftigte sind dort zufrieden, wo Regeln gelten, wo Tarifverträge gelten und Betriebsräte gute Arbeit machen. Wollen wir die Regeln der Arbeitszeit auch in Zukunft gestalten, müssen wir die Veränderungen der Digitalisierung der Arbeitswelt genauso berücksichtigen, wie die sich verändernden Lebensentwürfe und Bedürfnisse der Beschäftigte. Und wir sehen auch: Nicht alle sind heute zufrieden. Es knirscht an vielen Ecken, auch in der Arbeitswelt von heute.
Sehr, schließlich haben wir die Beschäftigten nicht nach ihren Wünschen gefragt. Wir haben sie danach gefragt, wie ihre konkreten Arbeitszeiten aussehen und wo sie hier ihre Interessen sehen. Es ist Aufgabe der Gewerkschaften diese Interessen zu formulieren. Sonst wird die Arbeitszeit ein Wünsch-Dir-Was der Arbeitgeber.
Nein, die Bedingungen sind unterschiedlich, so ist etwa bei Schichtarbeit der Anteil unzufriedener Beschäftigter deutlich höher. Wie überhaupt: wenn wir uns die Ergebnisse genauer anschauen, gibt es große Unterschiede – zwischen einzelnen Betrieben und zwischen den Bereichen. So sind Beschäftigte in der IT, in der Forschung und Entwicklung oder mit mobiler Arbeit mehrheitlich zufriedener als Schichtarbeiter, Außendienstler oder Führungskräfte.
Ja, und das ist das so wichtige Ergebnis der Befragung: Ob Beschäftigte zufrieden oder unzufrieden sind mit ihrer Arbeitszeit, darauf haben überall dieselben Faktoren Einfluss. Egal ob Schichtarbeiter oder Einkäuferin – für alle gilt: Die Menschen wollen Arbeitszeiten, die zu ihrem Leben passen. Das zeigt die Befragung sehr eindrucksvoll. Sie sind mit ihrer Arbeitszeit wesentlich zufriedener, wenn ihre tatsächliche Arbeitszeit in etwa ihrer Wunscharbeitszeit entspricht, wenn ihre Arbeitszeit planbar ist, wenn sie eine Zeit lang auch mal kürzer arbeiten können und wenn sie ohne Probleme auch mal später kommen oder früher gehen können. Beschäftigte sind unzufrieden mit ihrer Arbeitszeit, wenn sie überlange Arbeitszeiten haben, wenn sie zu oft am Wochenende arbeiten müssen, wenn ihre Arbeitszeit nicht planbar ist und wenn die Leistungsanforderungen sie unter Zeitdruck setzen. Richtig ist: Die Menschen arbeiten unter unterschiedlichen Arbeitszeitbedingungen. Aber wir können überall an den gleichen Hebeln ansetzen, um die Bedingungen zu verbessern. Wir können uns beispielweise anschauen, was sich ändern muss, damit Arbeitszeit für alle planbar wird.
Ja, auch im Schichtbetrieb kann man die Planbarkeit der Arbeitszeit verbessern. Änderungen des Schichtplans oder zusätzliche Schichten werden oft zu kurzfristig angekündigt. Längere Ankündigungsfristen können die Planbarkeit verbessern. Und nicht jede Falschplanung des Vertriebs muss in der Produktion ausgebadet werden. Wenn Flexibilität der Menschen einfach vorausgesetzt wird, lassen die Anstrengungen nach, ordentlich zu planen. Daher muss Flexibilität auch kosten. Nicht zwingend Geld, aber Zeitguthaben. Das gilt auch für die Vertriebsbeschäftigten: Der Kalender gibt’s doch her: Wenn Messe ist, ist klar, dass da Mehrarbeit entsteht. Warum wird dann die Personaldecke so dünn gehalten, dass Zeitausgleich nicht möglich ist?
Das ist so. Die Anforderungen an Flexibilität gegenüber dem Kunden sind größer geworden. Die Arbeitgeber versuchen die Unwägbarkeiten des Marktes alleine auf die Beschäftigten abzuwälzen. Und das trifft die Beschäftigten am stärksten, die keine eigenen Möglichkeiten haben, Flexibilitätsanforderungen durch selbstbestimmte Arbeitszeiten auszugleichen. Abends mal länger schaffen, geht eher, wenn man morgens dann seine Einkäufe machen kann und nicht die Stechuhr zum festen Arbeitsbeginn zwingt.
Zum Beispiel wenn sie selbst bestimmen können, wann sie ihre Freischichten nehmen. Und es gibt auch Gleitzeit im Schichtbetrieb – auch dies zeigt die Befragung.
Nein. Ohne tariflichen und betrieblich mitbestimmten Rahmen geht es nicht. Aber wir müssen auch feststellen: An vielen Ecken ist es den Arbeitgebern in den letzten Jahren gelungen, unsere erfolgreiche Arbeitszeitpolitik der Arbeitszeitverkürzung und der Festlegung von Flexibilitätsgrenzen durch Mitbestimmung, aber auch von Flexibilitätskosten durch Mehrarbeits-, Schicht- und Wochenendzuschläge, aufzuweichen.
Dabei ist die 35 die Wunscharbeitszeit der großen Mehrheit der Beschäftigten aller Branchen, die die IG Metall organisiert. Die Realität – auch dies zeigt die Befragung – sieht oft anders: Die tatsächliche Arbeitszeit liegt deutlich über der 35. Auch in Betrieben, in denen der Flächentarif gilt.
Und die Möglichkeit, 40-Stunden und AT-Verträge anzubieten, hat dazu geführt, dass heute schon über 30 Prozent der Beschäftigten in flächentarifgebundenen Betrieben der Metall- und Elektroindustrie keinen 35-Stunden-Vertrag mehr haben.
Die Ergebnisse machen sehr deutlich: Wir sollten uns von den Arbeitgebern nicht die 35-Stunden-Woche klauen lassen. Das versuchen sie offensichtlich. Sie haben noch nie ihren Frieden mit dieser Wochenarbeitszeit gemacht.
Die 35 war und ist ein wichtiger Etappenschritt der Emanzipation der abhängig Beschäftigten in unseren Branchen und ihrer Bedürfnisse nach sicherer Beschäftigung und selbstbestimmten Leben – und dies für alle. Die 35 hat diese deutsche Metall- und Elektroindustrie im internationalen Wettbewerb nach vorne gebracht: Weil Wettbewerbsfähigkeit durch engagierte und innovative Beschäftigte und nicht durch Kostenrechner erzielt wird.
Wir müssen aber das Mantra der Arbeitgeber – Vollzeit plus Überzeit plus Flexibilität plus Leistungsdruck – durchbrechen mit einer Arbeitszeitpolitik, die auf selbstbestimmte Arbeitszeiten und eine Umverteilung des Arbeitszeitvolumens entlang des Lebensverlaufs setzt. Wir wollen eine Arbeitszeitpolitik durchsetzen, die die die Arbeit in der Industrie zukunftsfähig und attraktiv macht. Auch für Frauen.
Daher treten wir dafür ein, dass die Produktivitätsgewinne der Digitalisierung sich nicht allein in goldenen Bilanzen finden, sondern in gute Beschäftigung mit guten Arbeitszeiten investiert werden.
Ich meine: Wir müssen die tatsächliche wieder an die vertragliche Arbeitszeit annähern. Auch indem die Personaldecke angehoben wird. Und wir brauchen Ansprüche der Beschäftigten auf Wahlarbeitszeiten unterhalb der 35-Stunden.
Auch dürfen wir es nicht den Arbeitgebern überlassen, 40-Stunden und AT-Verträge zur Spaltung der Belegschaft in „Leistungsträger“ und Fußvolk zu missbrauchen.
Die 681.241 Beschäftigten die sich beteiligt haben, haben zunächst einen Anspruch darüber informiert zu werden, was die Ergebnisse der Befragung sind. Wir haben die Ergebnisse für alle Betriebe ab 200 Beschäftigten aufbereitet, teilweise auch für Abteilungen. Und damit gehen wir jetzt im Betrieb in eine Informations- und Diskussionsoffensive. Das Interesse unserer Betriebsräte an den Ergebnissen ist riesig. Denn natürlich ist die Befragung auch ein guter Ratgeber für konkrete Betriebsratsarbeit und gibt Hinweise für ein Programm des Betriebsrats zur Betriebsratswahl 2018.
Wir werden die Ergebnisse der Befragung selbstverständlich jetzt auch zur Grundlage unserer tarifpolitischen Diskussion machen. Was fordern wir 2018? Was ist unsere mittelfristige tarifpolitische Strategie? Eine erste Antwort soll unsere arbeitszeitpolitische Konferenz im Juni geben.
Die Befragung ist ein klarer Auftrag an die Politik, dass es gerecht zugeht, auch in der digitalen Arbeitsgesellschaft von morgen. Und dazu gehören auch klare gesetzliche Regeln und Grenzen zur Arbeitszeit.