... Metall und Expertin für Tarifpolitik. Wir wollten von ihr wissen, ob die Zeit reif ist für eine neue Debatte über die Arbeitszeit.
Helga, es gibt ein Jubiläum: Vor genau 20 Jahren wurde die 35-Stunden-Woche tarifvertraglich durchgesetzt. Seit 15 Jahren gilt sie in der Metallindustrie. In der betrieblichen Praxis ufern die Arbeitszeiten aber häufig aus.
Stimmt. Vor der Krise wurde im Schnitt 39,1 Stunden gearbeitet. Allerdings sank die Arbeitszeit 2009 vor allem durch Kurzarbeit auf unter 35 Stunden.
Wie sieht die Zukunft aus?
Die Krise ist noch nicht überwunden. Und selbst wenn die Auftragslage wieder auf Vorkrisenniveau steigt, wird es aufgrund von Produktivitätssteigerungen weniger Arbeit geben. Nach einem Szenario unserer Wirtschaftsabteilung werden selbst bei einer schnelleren Erholung rund 300 000 Beschäftigte weniger gebraucht. Hierauf müssen wir Antworten finden – unter anderem durch eine kreative Arbeitszeitpolitik. Ich halte die Zeit für reif, diese Debatte jetzt zu führen. Dabei können wir an den Erfahrungen mit der Kurzarbeit anknüpfen, durch die rund 1,2 Millionen Arbeitsplätze gerettet wurden.
Was heißt „kreative Arbeitszeitpolitik“?
Vieles. Wir müssen die 35-Stunden-Woche als tatsächliche Arbeitszeit durchsetzen – sie muss der Maßstab bleiben. Wir müssen den Verfall von Arbeitszeiten und Zeitguthaben stoppen. Wenn Beschäftigte individuell kürzere Arbeitszeiten wünschen, muss auch das möglich sein. Wir müssen Arbeitszeiten so organisieren, dass sie zu den Bedürfnissen der Menschen passen. Die meisten wollen mehr Zeit für die Familie, Freizeit oder Weiterbildung haben. Voraussetzung ist natürlich, dass trotzdem das Einkommen stimmt. Außerdem müssen wir auch die Leistungsbedingungen thematisieren. Denn wenn die abgeforderte Leistung in der „normalen“ Arbeitszeit nicht zu schaffen ist, ufern die Arbeitszeiten aus.
Wann soll die neue Arbeitszeitdebatte anfangen?
In Betrieben, Workshops und gewerkschaftlichen Veranstaltungen wird längst darüber diskutiert. Und wo auch immer ich das Thema auf Delegiertenversammlungen oder anderen Veranstaltungen anspreche, gibt es hohe Zustimmung. Viele sagen: Wenn wir nicht wollen, dass die Arbeitslosigkeit zunimmt, kann es nach der Krise nicht weitergehen wie vorher.