381 500 Menschen haben bundesweit bei den Kundgebungen der Gewerkschaften zum Tag der Arbeit am 1. Mai für ein solidarisches und gerechtes Europa demonstriert – unter dem Motto „Europa. Jetzt aber richtig!“. Im Vorfeld der Europawahl am 26. Mai fordern die DGB-Gewerkschaften eine Europapolitik im Interesse der Beschäftigten: europaweite Standards für gute Arbeitsbedingungen mit mehr Tarifbindung und Mitbestimmung und mehr Investitionen in die Zukunft, mit gleichen Chancen für alle.
„Europa muss sozialer werden. In vielen Ländern ist ein Großteil der Jugendlichen arbeitslos, jedem fünften Bürger in der EU geht es materiell schlecht“, kritisierte der Erste Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, in seiner Rede auf der Mai-Kundgebung in Bremen. Er sieht die soziale Spaltung als Ursache für den Aufstieg von Nationalisten und Rechtspopulisten in Europa.
Von der Politik und den Arbeitgebern in Deutschland forderte Hofmann mehr Investitionen in die digitale und ökologische Transformation der Industrie. Allein in der Auto- und Zulieferindustrie etwa könnten bis zum 150 000 Arbeitsplätze durch die Umstellung auf Elektroantrieb wegfallen.
„Diese Umwälzungen sind nur zu bewältigen, wenn wir jetzt massiv in Qualifizierung und Arbeitsplätze der Zukunft investieren“, erklärte Hofmann. „Dazu braucht es neue Instrumente, zum Beispiel das Transformationskurzarbeitergeld. Damit können die Beschäftigten in den Betrieben gehalten und für die neuen Tätigkeiten qualifiziert werden. Zugleich müssen wir die Tarifbindung stärken, um zu verhindern, dass mit der Transformation die soziale Spaltung vertieft wird. Die Höhe der Löhne und der Rente, aber auch Chancengleichheit, hängen von guten Tarifverträgen ab.“
Hofmann rief dazu auf, gemeinsam bei der Großdemonstration der IG Metall am 29. Juni in Berlin unter dem Motto #FairWandel für eine soziale, ökologische und demokratische Transformation zu demonstrieren.
„Starke Gewerkschaften sind der Motor für sozialen Fortschritt. Und wir sind Antreiber. Auch in der Politik“, sagte Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall, in ihrer Rede zum 1. Mai am Mittwoch in Hannover. „Das Motto ‚Europa. Jetzt aber richtig!‘ bedeutet auch, ‚Nein‘ zu sagen zum Steuersenkungswettbewerb innerhalb der EU. Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass Unternehmen aus Steuergründen ihren Sitz verlagern und die deutsche Mitbestimmung aushebeln.“
Benner sprach sich für ein Europa aus, das mehr ist als nur ein Wirtschaftsraum. „Dazu gehören auch Standards wie europäische Mindestlöhne, die die Beschäftigten schützen. Und es braucht endlich eine mutige europäische Industrie- und Strukturpolitik. Wir brauchen eine mutige EU, die eine Vision von einem sozialen und gerechten Europa hat.“
Benner warnte davor, dass Rechtsradikale und Rechtspopulisten zunehmend versuchen, die Menschen in Europa zu spalten. „Wir werden mit allen Mitteln dagegen ankämpfen. Klare Kante gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit!“
IG Metall-Hauptkassierer Jürgen Kerner rief bei seiner Rede bei der Maikundgebung in Bautzen dazu auf, sich am 26. Mai an den Wahlen zum Europäischen Parlament zu beteiligen. „Wir dürfen unser Schicksal nicht den Anti-Europäern überlassen! Rechter Populismus, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit sind Sprengstoff für ein friedliches und gutes Miteinander.“
Kerner warnte zudem davor, den Klimaschutz und die berufliche Zukunft der Beschäftigten gegeneinander auszuspielen. „Mobilität und Energie müssen klimafreundlich, aber auch bezahlbar sein. Dazu braucht es Druck von Gewerkschaften und Beschäftigten, damit aus technologischem Fortschritt auch sozialer Fortschritt in Deutschland und in Europa wird. Die Gewerkschaften stehen für eine soziale, ökologische und demokratische Transformation der Arbeitswelt und der Gesellschaft.“
Die Kosten für die Transformation dürfen nicht allein den Beschäftigten aufgebürdet werden, forderte IG Metall-Vorstandsmitglied Wolfgang Lemb. Er warnte Arbeitgeber und Politik davor, den ökologischen Umbau zu nutzen, um Arbeitsplätze und Sozialstandards zu schleifen. Die Beschäftigten müssten in den Mittelpunkt der Politik gestellt werden – in Deutschland und in Europa. „Soziale Grundrechte müssen Vorrang vor Kapitalinteressen haben. Wir brauchen eine Reform der Wirtschafts- und Währungsunion, um die EU ökonomisch krisenfester zu machen und mit einem Ausbau der Mitbestimmung den sozialen Dialog in Europa zu stärken.“
Nicht weniger Europa – sondern mehr Europa ist aus Sicht von IG Metall-Vorstandsmitglied Ralf Kutzner das Gebot der Stunde. „Globalisierung, Klimawandel und Digitalisierung machen an keiner Staatsgrenze halt“, erklärte Kutzner auf der Maikundgebung in Dortmund. Diesen Transformationsprozess müsse die IG Metall jedoch unbedingt mitgestalten. „Wenn wir den Strukturwandel allein den Arbeitgebern überlassen, kommt nur Rationalisierung dabei heraus. Viele Menschen haben Angst, mit dem Tempo und den neuen Techniken nicht mehr mithalten zu können. Anders als vielfach versprochen, entlastet die Digitalisierung die Beschäftigten nicht, sie führt im Gegenteil oft zu mehr Stress.“
IG Metall-Vorstandsmitglied Irene Schulz plädierte in ihrer Rede zum 1. Mai in Ingolstadt für ein Europa, dem die Menschen vertrauen. „Europa ist ein Friedensprojekt. Es muss zu allererst für die Bürger da sein, nicht für die Märkte und es muss spürbaren Fortschritt für den Einzelnen mit sich bringen. Die EU muss Standards setzen für gute Arbeit und gute Bildung.“
Einer Gesellschaft, die nach dem Prinzip „The Winner takes it all“ organisiert ist, erteilt Schulz eine Abfuhr: „Die IG Metall steht für eine Gesellschaft, in der Wohlstand gerecht verteilt ist. Sie steht nicht für einen digitalen Kapitalismus, der Monopole wie Google oder Amazon hervorbringt, die in Deutschland keine oder kaum Steuern zahlen.“
IG Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban kritisierte in seiner Mairede in Bamberg die Arbeitsmarktreformen seit dem Jahr 2000 in Deutschland. „Die Liberalisierung von Leiharbeit und Werkverträgen hat Beschäftigung nicht gefördert, sondern den Arbeitsmarkt gespalten. Arbeit war einst eine Quelle von Wohlstand für viele, heute ist sie für immer mehr eine Quelle von Armut“, erklärte Urban. Jetzt stehe Deutschland vor der Aufgabe, den digitalen und ökologischen Umbau der Industrie „so zu gestalten, dass niemand unter die Räder kommt.“