19. Juni 2020
Weltflüchtlingstag
Corona ist ein Rückschlag für die Integration von Flüchtlingen
Mit dem Weltflüchtlingstag am 20. Juni erinnern die Vereinten Nationen jedes Jahr an das Schicksal Geflüchteter. Was Corona und Shutdown für Geflüchtete bedeuten, hat Metallerin Bianka Huber als Leiterin unserer Beratungsstelle miterlebt. „Es waren die schlimmsten Wochen meines Lebens“, erzählt sie.

Vor vier Jahren, im Februar 2016, hat die IG Metall Deutschlands erstes gewerkschaftlich organisiertes Berufsberatungszentrum für geflüchtete Menschen in Frankfurt eröffnet. Inzwischen werden hier 1200 Flüchtlinge aus dem ganzen Rhein-Main-Gebiet und darüber hinaus betreut. Ein Team aus Haupt- und Ehrenamtlichen bietet ihnen in der Frankfurter Innenstadt Hilfe und Unterstützung rund um ihre beruflichen, sozialen und rechtlichen Anliegen. Die Leiterin der Beratungsstelle, Bianka Huber, erzählt im Interview von den dramatischen Auswirkungen der Coronapandemie auf das Leben vieler Flüchtlinge.

 

Wie sah der Alltag in der Beratungsstelle für Flüchtlinge vor Corona aus?

Bianka Huber: Im Februar hatten wir 862 Besucher in der Beratungsstelle. Wir öffnen um 9 Uhr. In der Regel waren schon eine halbe Stunde vorher die Ersten da. Die Meisten brauchten Hilfe beim Ausfüllen von Anträgen, Übersetzen von Briefen oder hatten Fragen zu Bescheiden von Ämtern und Behörden. Wir bieten immer Wasser, Tee, Nüsse und Obst an, weil wir gemerkt haben, dass manche Besucher richtig Hunger haben. Nach der Beratung blieben viele noch zum Plaudern da. Es herrschte eine schöne Wohnzimmeratmosphäre. Es war einfach ein gutes, entspanntes Miteinander.

 

Mitte März musstest Ihr Corona bedingt die Beratungsstelle schließen. Konntet Ihr trotzdem weiterhin helfen?

Ich habe drei Wochen lang zwölf Stunden am Tag telefoniert. Meine WhatsApp-Nachrichten quollen über von abfotografierten Briefen. Wir haben telefonische Rechtsberatung organisiert, versucht, mit Behörden Kontakt aufzunehmen, mit Arbeitgebern verhandelt. Es waren die schlimmsten Wochen, die ich je erlebt habe. Ich hatte das Gefühl, die Leute allein zu lassen.

 

Wie haben die Kontaktbeschränkungen und der Shutdown sich auf das Leben der Flüchtlinge ausgewirkt?

Die meisten Geflüchteten arbeiten in kleinen Betrieben, zum Beispiel in der Gastronomie oder bei Reinigungsfirmen. Viele von ihnen sind zum 31. März gekündigt worden. Ein herber Rückschlag für alle, die gerade begonnen hatten, ohne staatliche Hilfe auf eigenen Beinen zu stehen. Plötzlich mussten alle Behördenanträge online erfolgen. Viele sind damit überfordert oder haben gar keinen Internetzugang. So sind auch die schon sehr Selbstständigen wieder völlig aufgeschmissen und erleben erneut eine totale Abhängigkeit. Spezielle Gruppen hat es aber besonders hart getroffen, etwa diejenigen mit unsicherem Aufenthaltsstatus: Arbeitslosigkeit senkt die Chancen auf eine reguläre Aufenthaltsgenehmigung. Dramatisch war die plötzliche Arbeitslosigkeit auch für die Geflüchteten, die auf eine Familienzusammenführung warteten. Denn auch hier verschlechtern sich die Chancen, wenn man kein eigenes Einkommen vorweisen kann.

 

„Neulich stand eine alleinerziehende Mutter weinend vor der Tür. Sie hatte ihre Stelle als Zimmermädchen verloren, ihre letzten Ersparnisse für die Miete aufgebraucht und schon drei Tage nichts gegessen.“

 

Seit dem 4. Mai habt ihr wieder geöffnet. Wie hat sich die Arbeit verändert?

Wir alle hatten eine Hygieneschulung, achten streng und genau darauf, die Flächen vorschriftsgemäß zu desinfizieren und richtig zu lüften. Wir vergeben jetzt konsequent Beratungstermine und haben fünf Beratungsinseln eingerichtet, sodass wir die vorgeschriebenen Abstände wahren können. Allerdings ist das manchmal schwer durchzuhalten. Neulich stand eine alleinerziehende Mutter weinend vor der Tür. Sie hatte ihre Stelle als Zimmermädchen verloren, ihre letzten Ersparnisse für die Miete aufgebraucht und schon drei Tage nichts gegessen. Ein anderes Mal mussten wir den Notarzt rufen, weil eine Frau zusammengebrochen war. Sie hatte eine Woche nichts gegessen. Solche Menschen kann ich nicht einfach wegschicken, weil sie keinen Termin haben.

 

Wie geht es jetzt weiter?

Wir als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden uns weiter qualifizieren, um angesichts der veränderten Umstände noch effektiver helfen zu können. Ich stelle mich darauf ein, dass der Beratungsbedarf mittelfristig noch zunehmen wird. Wenn in der zweiten Jahreshälfte eine Entlassungswelle anrollt, müssen wir alles dafür tun, die Leute in Qualifizierungsmaßnahmen zu vermitteln, sodass sie die Zeit sinnvoll nutzen können, bis es wieder aufwärts geht.

 

Hier bekommen Flüchtlinge Unterstützung

„Der Laden” ist ein offenes Beratungsangebot für geflüchtete Menschen. Ziel ist es, Ratsuchende darin zu unterstützen, eine berufliche Perspektive zu entwickeln. Gesucht werden auch ehrenamtliche Helfer, die bereit sind, Geflüchtete als Tandempartner zu begleiten. Die Beratungsstelle ist erreichbar per Telefon unter 069-24005622 sowie per E-Mail: DerLaden@igmetall.de. Mehr Informtionen auf der Website.

Bundesweite Hilfsangebote für Geflüchtete gibt es unter anderem bei diesen Organisationen: Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Caritas, Diakonie

Mehr Informationen zum Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen gibt hier es auf der Website des Hilfswerks UNHCR.

 


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