Es war der erste Warnstreik seit Jahrzehnten und ein großer Erfolg der ungarischen Kollegen von Autoliv, die der IG Metall-Partnergewerkschaft VASAS angehören. 1200 Beschäftigte des Zulieferers Autoliv in der westungarischen Stadt Sopronkövesd gingen für höhere Löhne auf die Straße und setzten Lohnsteigerungen bis zu zehn Prozent durch. „Das ist keine Selbstverständlichkeit bei uns in Ungarn“, sagt VASAS-Regionalleiter Ákos Molnár. Der Erfolg bei Autoliv ist auch ein gutes Zeichen für die Belegschaften in Deutschland. Denn jeder Euro, der in Ungarn mehr verdient wird, nimmt den Verlagerungsdruck für deutsche Arbeitsplätze.
Die Beschäftigten von Autoliv in Ungarn haben mit großer Entschlossenheit eine deutliche Erhöhung der Entgelte durchgesetzt.
In den vergangenen Jahren hatten sich die Rahmenbedingungen für Gewerkschaften im Land verschlechtert. Die Gewerkschaftslandschaft ist stark zersplittert und die Durchsetzungskraft geschwächt. Umso deutlicher war das Zeichen, das die Beschäftigten mit dem ersten Warnstreik in Ungarn der Nachwendezeit gesetzt haben. 2500 Menschen arbeiten bei Autoliv in Sopronkövesd. 1800 sind fest angestellt. Bislang waren 700 Beschäftigte Mitglied in der Gewerkschaft. Jetzt nach dem Warnstreik sind es 100 mehr. Während des Warnstreiks hatte die Belegschaft geschlossen ihre Arbeit niedergelegt und entsprechend Druck gemacht.
Das Ergebnis der Lohntarifverhandlungen kann sich sehen lassen. Die Kollegen in der Produktion, die Schichtleiter und die Materialbereitsteller bekommen zehn Prozent mehr auf ihren Grundlohn. Hinzu kommt ein 13. Monatslohn und Urlaubsgeld (78 000 Forint, umgerechnet etwa 250 Euro). Die Beschäftigten der Qualitätskontrolle und die Mechaniker bekommen vier Prozent mehr und ebenfalls ein 13. Monatsgehalt sowie halbjährlich das Urlaubsgeld. Die Beschäftigten der Lagerhaltung können sich über fünf Prozent mehr Lohn und Büroangestellte über vier Prozent mehr Lohn freuen. Alle Lohnerhöhungen gelten rückwirkend ab Januar 2016.
Die Vorgänge bei Autoliv und der erste Streik seit 27 Jahren in der ungarischen Automobilindustrie haben hohe Wellen geschlagen. Auch bei Audi in Györ drohte ein Streik, wurde aber in letzter Minute durch einen Tarifabschluss abgewendet. Die Missstände in den ungarischen Werken sind schon länger bekannt und eine Folge jahrelanger Lohnzurückhaltung. Die ungarische Regierung hat diese Fehlentwicklung über Jahre hinweg toleriert. Wegen des niedrigen Lohnniveaus gehen viele Ungarn lieber ins Ausland oder pendeln über die Grenze ins nahe Österreich. Dort werden selbst für geringqualifizierte Arbeiten wie Erntehilfe oft das Doppelte gezahlt wie in Ungarn.
In diesem Zusammenhang fand die Tatsache, dass die IG Metall und die ungarische Gewerkschaft VASAS Anfang des Jahres die Transnationale Partnerschaftsinitiative (TPI) gegründet haben, viel Beachtung. Die TPI ist mit einem Büro in der Industriestadt Györ vertreten und kümmert sich um Weiterbildung von Betriebsräten. Das Interesse an Gewerkschaftsarbeit ist spürbar gestiegen. Die Belegschaften nehmen ihr Schicksal jetzt selbst in die Hand und forcieren die Gründung von Arbeitnehmervertretungen in ihren Betrieben. Die ungarischen Arbeitgeber müssen umdenken, denn es zeichnet sich schon jetzt ein Mangel an Beschäftigten ab. Die Niedriglohnpolitik wird so nicht dauerhaft durchzuhalten sein.
Hilfreich ist in diesem Zusammenhang, dass ungarische Belegschaften internationale Rückendeckung bekommen. Bei Autoliv zeigten sich die Kollegen am deutschen Standort Elmshorn solidarisch. „Autoliv ist ein erfolgreiches Unternehmen, dazu habt ihr genauso wie wir und alle anderen Kollegen weltweit beigetragen“, heißt es in einem Schreiben der Arbeitnehmervertretung von Autoliv in Elmshorn. „Eure Lohnforderungen sind berechtigt und Ihr nehmt Euer Recht auf Streik nur wahr, um gleiche Voraussetzungen in den Verhandlungen mit unserem Arbeitgeber zu schaffen.“
Im Juni wird der gesamte europäische Betriebsrat von Autoliv nach Ungarn reisen, um mit dem Management ins Gespräch zu kommen und zu sehen, wie sich die Lage der Beschäftigten entwickelt hat. Es gibt dort mehr Probleme als nur Gehaltszahlungen, die entschlossen angegangen werden sollen. Beispielsweise muss ein Teil der Beschäftigten weiterhin am Samstag und Sonntag arbeiten, um die Aufträge zu bewältigen.