Der Wahlsieg von Joe Biden ist aus gewerkschaftlicher Sicht ausdrücklich zu begrüßen. Er gilt als gewerkschaftsnah und wurde im Wahlkampf von den meisten US-amerikanischen Gewerkschaften unterstützt. Viele US-Amerikaner aus dem Arbeitermilieu haben ihn gewählt. Besonders in der Industriearbeiterschaft konnte Biden verlorenes Terrain wiedergutmachen. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter hatten daher erheblichen Anteil an seiner Wahlkampagne und dem Ausgang der Wahlen. „Gewerkschaften hatten in den letzten vier Jahre unter Präsident Trump nichts zu lachen. Union Busting wurde exzessiv betrieben“, berichtet Carsten Hübner. Der Metaller hat im Transatlantic Labor Institute in Tennessee gearbeitet und die systematische Behinderung von Gewerkschaftsarbeit vor Ort hautnah erlebt.
Bidens Wahlprogramm steht für die Idee der Sozialpartnerschaft. Längst überfällige Reformen sollen auf die politische Agenda gesetzt werden. Der neue Präsident hat Zusagen gemacht, die Rechte von Gewerkschaften und Arbeitnehmern zu verbessern und die sozialen Sicherungssysteme zu reformieren. Dazu gehört auch eine Anhebung des nationalen Mindestlohns. „Biden sieht Gewerkschaften als Partner und legitime Interessenvertreter, auch wenn er als wirtschaftsfreundlich gilt“, sagt Hübner. „Viele Beobachter rechnen damit, dass der Einfluss von Gewerkschaften im politischen Diskurs wieder zunimmt.“
Vom geplanten Konjunktur- und Investitionsprogramm der USA erwartet das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung positive Impulse für die deutsche Wirtschaft. Verschiedene Branchen in Deutschland, vor allem die deutsche Autoindustrie könnten davon profitieren. Biden dürfte daran gelegen sein, den Handelsstreit mit der EU auf dem Verhandlungswege beizulegen – auch um die Europäer als Verbündete in der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung mit China zu gewinnen.
Also Ende gut, alles gut? So einfach ist es freilich nicht. Auch wenn der Spuk der Trump-Jahre wahrscheinlich bald vorbei ist, relativiert Carsten Hübner zu hohe Erwartungen an einen Machtwechsel in Washington. Wegen der Blockade zwischen Demokraten und Republikanern in beiden Kammern des Kongresses dürften es länger dauern, Vorhaben im Bereich der Sozialgesetzgebung und des Arbeits- und Gewerkschaftsrechts umzusetzen. „Und es gibt viele deutsche Unternehmen, die Produktionsstandorte in den USA haben und dort ihren Beschäftigten bisher Mitbestimmungsrechte verweigern. Ob es bei dieser Blockadehaltung bleibt, ist eines der zentralen Punkte, an dem deutsche Gewerkschaften den nächsten Präsidenten der USA messen werden“, sagt Hübner. „Auch wenn Amerika weit weg ist, kann es deutschen Arbeitnehmern nicht egal sein, wer in den USA am Ruder ist. Je besser die Arbeitsbedingungen in den USA sind, umso geringer ist hierzulande der Druck auf Tarifstandards und Beschäftigung.“