23. Mai 2012
Ein Gespräch mit Manuel Fernández López
„Die Krise hat uns um 30 Jahre zurückgeworfen“
Die schlechten Nachrichten aus Griechenland, Spanien und Portugal reißen nicht ab. Was es für die Menschen bedeutet, wenn die Krise zum Normalzustand wird, berichtet Manuel Fernández López. Der Generalsekretär der spanischen Gewerkschaft MCA – UGT besuchte Mitte Mai den Vorstand der IG Metall ...

... in Frankfurt.

Wie hat die Krise Spanien verändert?
Manuel Fernández López: Wir erleben gerade einen Riesenrückschritt. Alles, was wir erreicht haben, geht verloren. Die konservative Regierung hat seit der Regierungsübernahme vor einigen Monaten zahlreiche Reformen umgesetzt. Sie gingen alle nur in eine Richtung: Überall wird gespart. Die Regierung spart bei der Bildung, bei den Dienstleistungen. Gesundheit wird teurer. Wer krank wird muss zuzahlen. Es gibt keine Programme für Wirtschaftswachstum. Überall herrscht Stillstand, das Misstrauen wächst. Die Regierung hat uns um 30 Jahre zurückgeworfen.


Was erinnert Dich heute an die Situation von vor 30 Jahren?
Wir haben in der Vergangenheit Lohnerhöhungen erstritten, die Arbeitszeit verkürzt und den Kündigungsschutz verbessert. Das wird nun alles abgebaut. Für die Unternehmen ist es wieder einfacher und billiger, Arbeitnehmer zu entlassen. Sie müssen sich nicht mehr an Tarifvereinbarungen halten.


Wirkt die Politik?
Damit werden wir die Krise nicht überwinden. Keine dieser Reformen schafft neue Jobs. Nur die prekäre Beschäftigung wächst. Sie ist in Spanien inzwischen dreimal so hoch wie in Europa. Wenn die Menschen keine Arbeit haben oder mit ihrer Arbeit nichts verdienen, sinken auch die Einnahmen des Staates und er rutscht tiefer in die Krise. Es ist ein Teufelskreis.


Manuel Fernández López (li.) und Berthold Huber, Erster Vorsitzender der IG Metall (re.)


Wie reagieren die Menschen?
Es gibt Wut und Empörung. Es ist für niemanden zu verstehen, dass bei der Bildung, der Gesundheit oder bei Rentnern und Arbeitnehmern gespart wird, während gleichzeitig Finanzinstitute mit Milliarden gerettet und ihre Chefs mit Millionenabfindungen entlassen werden. Wie vor ein paar Tagen bei der Bankia.
Manche resignieren auch. Das ist sicher das Schlimmste. Die Menschen haben Angst. Zurzeit sind 5,5 Millionen arbeitslos. Selbst wer Arbeit hat, hat keine Sicherheit. Viele akzeptieren jede Bedingung der Arbeitgeber, nur um nicht auf der Straße zu stehen. Die Resignation hat sich zum Teil auch gegen uns Gewerkschaften gewendet. Mit unseren Aktionen haben wir aber viele dieser Menschen wieder erreicht.



Was sind die Folgen der Krise für das tägliche Leben?
Die Lebensqualität sinkt. Menschen können die Hypothek auf ihr Haus nicht mehr bezahlen. Sie müssen aus ihrem Heim ausziehen und dennoch weiter ihre Schulden abzahlen. Wer kann, zieht zurück zur Familie. Aber das kann nicht jeder.


Habt Ihr als Gewerkschaft Vorschläge, wie Spanien die Krise überwinden kann?
Ja, aber dazu müsste die Regierung uns zuhören. Wir haben gesagt, wir wollen mitarbeiten. Es gibt Alternativen. Wir lehnen Einschnitte nicht ab, aber wir brauchen vor allem Investitionen. Nach unseren Berechnungen könnte etwa die Sanierung öffentlicher und privater Bauten rund 600 000 Arbeitsplätze schaffen. Doch vom Regierungschef kriegen wir keine Antwort. Ihm ist alles wurscht, was wir vorschlagen. Er interessiert sich mehr für die deutsche Kanzlerin.


Woher kommt das?
Angela Merkel steht für die europäische Sparpolitik gemeinsam mit Frankreich. Aber die deutsch-französische Achse hat nicht zu Wirtschaftswachstum in Europa geführt. Bei uns glauben viele, dass diese Politik vor allem Deutschland nützt. Aber das glaube ich nicht. Ich glaube, dass Angela Merkel vor allem ihrem eigenen Land schadet. Wenn Europa nicht mehr konsumiert, dann wird wird auch Deutschland Probleme bekommen. Mit den Problemen wird in der deutschen Gesellschaft der Druck zunehmen. Das wird die Politik verändern.


Wohin wird sich die Politik verändern?
Wir müssen einen sanften Weg finden, um aus dieser Krise herauszukommen. Wir sollen unser Defizit nächstes Jahr auf drei Prozent senken. Die Amerikaner, die viel stärker sind als wir, nehmen sich dafür zehn Jahre Zeit. Wir brauchen eine Politik, die den Teufelskreis aus Verschuldung, Sparen, Arbeitslosigkeit, sinkender Einnahmen durchbricht. In Europa brauchen wir eine gemeinsame Politik und gemeinsame soziale Standards. Sonst wird das, was jetzt mit den sozialen Rechten in Spanien passiert, eines Tages auch in Deutschland passieren.


Wo könnte die Regierung auch sparen?
Keine Frage, es gab bei uns auch wirtschaftliche Verschwendung. Die Finanzpolitik war in einigen Bereichen absolut tödlich. Da hat sich auch mancher bereichert. Dagegen müssen wir etwas tun, das darf nicht mehr passieren.


Wie wirkt sich die Krise auf die Gewerkschaften aus?
Die Situation ist nicht einfach. Es gibt immer weniger Beschäftigte und wer keine Arbeit hat, geht nicht unbedingt in die Gewerkschaft. Deshalb machen wir jetzt eine Werbekampagne für uns. Aber wir wollen auch unsere Politik verändern, etwa indem wir uns mehr auf die Branchen ausrichten. Probleme haben wir vor allem bei den Kleinstbetrieben. Die Beschäftigten kommen nicht zu uns. Dort müssen wir als Gewerkschaften hinkommen. Mit unserer Mobilisierung waren wir bisher erfolgreich und das wollen wir auch beibehalten. Wir haben uns genau überlegt, wann wir wo welche Aktion, Versammlung oder Demo machen. Der Druck muss von der Straße kommen. Ich bin davon überzeugt, dass die Regierung ihre Haltung ändern wird.


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