... Metallgewerkschaft MCA-UGT, erläuert die Situation in Spanien.
Welche Auswirkungen hat Rajoys Politik auf das Land?
Mariano Rajoy hat nicht nur das Gegenteil von dem, was er im Wahlkampf gesagt hatte, getan, sondern eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die weder Arbeitsplätze schaffen noch die Krise in Spanien beenden werden.
Die Regierung Rajoys bestraft die Arbeitnehmer und bekämpft nicht die Ursachen der wirtschaftlichen Probleme in Spaniens. Einzelne Branchen und Aktivitäten werden von der Regierung finanziell unterstützt. Viele Arbeitnehmer haben dagegen keinen Job, müssen Lohn- und Sozialkürzungen sowie höhere Einkommens- und Verbrauchssteuer in Kauf nehmen. Parallel dazu wird ein großer Teil der Bevölkerung von der Grundversorgung im Gesundheits- und Bildungswesen abgeschnitten. Die Renten werden eingefroren. Zudem erhöhen sich die Preise für lebensnotwendige Dinge. Dieser Prozess ist beispiellos in den vergangenen 40 Jahren. Die Familien werden belastet, die Binnennachfrage sinkt. Die Unternehmen wiederum können wegen mangelnder Finanzierungsmöglichkeiten nicht mehr investieren. Die konservative Regierung bremst die Wirtschaft aus, verschärft die Arbeitslosigkeit und die soziale Ungleichheit. Die meisten spanischen Familien befinden sich in einem unhaltbaren Zustand, der sich durch die jüngste Erhöhung der Mehrwertsteuer in den nächsten Monaten verschlimmern wird. Außerdem werden durch die Verlängerung des Programms PREPARA für Langzeit-Arbeitslose Jugendliche ausgeschlossen und nur wenige Arbeitslosen begünstigt.
Wir beobachten, dass die Löhne nicht steigen, dafür erhöhen sich die Einkünfte der Arbeitgeber. Doch das führt nicht zu sinkenden Preisen. Unsere Produkte werden im Ausland nicht wettbewerbsfähiger und auch hier in Spanien für die Verbraucher nicht erschwinglicher. Gleichzeitig belohnt die Regierung die Unternehmen mit niedrigeren Sozialversicherungsbeiträgen und erhöht die Mehrwertsteuer. Die interne Abwertung der Einkommen durch die Senkung der Lohnkosten kurbelt nicht die Exporte an und schafft keine Beschäftigung, sondern reduziert die Binnennachfrage, bremst die Produktion und führt zu Jobstreichungen.
Wir glauben, dass sich unsere Wirtschaft allein durch die Verbesserung ihrer Exportfähigkeit nicht erholen kann. Dagegen sollte die Wirtschaft mit mehr Binnennachfrage angekurbelt werden. Es macht keinen Sinn, unsere Produkte im Ausland durch Preissenkungen attraktiv zu machen, wenn dies dazu führt, dass die Kaufkraft der privaten Haushalte in Spanien geschwächt wird. Die sinkenden Investitionen in die öffentliche Infrastruktur gehen zu Lasten der Wirtschaft, verschärfen die Arbeitslosigkeit und führen zu unsicherer Beschäftigung.
Diese Kürzungen bedeuten einen Verlust von Bürgerrechten auf sozialer, arbeitsrechtlicher, wirtschaftlicher und sogar ziviler und politischer Ebene. Deutliches Zeichen dafür ist die Kriminalisierung von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen bei ihren Protestaktionen durch die Regierung und den konservativen Medien. Im Falle einer zweiten Rettungsaktion der EU, erwarten die Gewerkschaften weitere soziale Kürzungen – demnächst bei den Renten. Ab dem 15. September werden wir eine Mobilisierungskampagne mit kontinuierlichen Demonstrationen in Madrid durchführen.
Wir brauchen eine Volksabstimmung, damit die Bürger ihre Meinung über die aufgezwungene Politik äußern, die die Krise nicht löst, sondern verschärft. Konkret fordern wir einen Politikwechsel von der Regierung Rajoys. Die Wirtschaftspolitik muss sich grundlegend ändern – auf nationaler und europäischer Ebene. Die Konjunktur muss wiederbelebt und der Haushalt konsolidiert werden. Alternative Strategien sind möglich und der einzige Ausweg aus der Krise. Wir plädieren für eine Steuerreform, die für genügend Einnahmen und eine gerechte Lastenverteilung sorgt, das Finanzsystem reformiert und die Finanzierung von Unternehmen und Familien garantiert. Dabei geht es in erster Linie um die Erhaltung des Sozialstaates.
Aber vor allem braucht unser Land ein neues Produktionsmodell, das auf einer vom Staat koordinierten und abgestimmten Industriepolitik basiert. Eine Politik, bei der die gesamte Regierung mit den jeweiligen Ministerien fachübergreifend alle möglichen Anstrengungen und Investitionen tätigt, um die Industrie in einem Motor des Wirtschaftswachstums und der Beschäftigung zu verwandeln. Wichtige Bereiche wie Energie-, Beschäftigung-, Fiskal- und Bildungspolitik müssen koordiniert zusammenarbeiten. Die Industriepolitik muss sowohl mit den einzelnen Regionen als auch mit der Europäischen Kommission koordiniert und mit Arbeitgebern und Gewerkschaften abgestimmt werden. Dabei dürfen wir die Baubranche nicht vergessen. In dieser Branche wurden mehr als eine Million Arbeitsplätze seit Beginn der Krise vernichtet. Hinzu müssen hunderttausende weitere Jobs in der davon abhängigen Zuliefererindustrie gezählt werden. Nicht zu vergessen die Arbeitsplätze, die durch die Senkung der öffentlichen Investitionen verloren gehen. In dieser Branche finden wir hauptsächlich befristete Einstellungen.
MCA-UGT setzt sich dafür ein, durch öffentliche Investitionen sichere Jobs, ein ausgeglichenes Wachstum in allen Regionen, den Bau von Sozialwohnungen, eine verbesserte Ausstattung der Städte sowie die Altbausanierung zu schaffen und zu fördern.
Wir sollten uns nicht täuschen. Der Bausektor ist von grundlegender Bedeutung in diesem neuen Wachstumsmodell. Es geht darum, die Branche auf die richtige Dimension zu bringen und von der Spekulationskomponenten, die beim Wohnungsbau eine große Rolle spielten, zu befreien. Die Hälfte dessen, was wir unter dem Baugewerbe verstehen, setzt sich aus einer Vielzahl von Industriesektoren zusammen, deren Existenz von der Baubranche abhängt.
Der Staat muss zudem Ressourcen für die Umschulung bzw. Weiterbildung der Bauarbeitnehmer aufbringen, um ihre Wiedereingliederung zu erleichtern und ihre berufliche Qualifikation zu verbessern. Die Sozialpartner arbeiten bereits in dieser Richtung durch gemeinsame Stiftungen zur Förderung der Weiterbildung in der Metall- und Bau-Branche.
MCA-UGT fordert ein Modell, das die Qualifizierung der Arbeitnehmer und stabile Arbeitsverhältnisse garantiert. Gleichzeitig muss eine vorausschauende Industriepolitik durchgeführt werden, die auf qualitativ hochwertige Produkte setzt. Damit würde die Grundlage für nachhaltiges Wachstum und Solidarität gelegt werden. Dann könnten die massiven Arbeitsplatzverluste verhindert und unser Land auf der Ebene wirtschaftlich und sozial fortgeschrittener Länder gestellt werden.
Das neue Modell muss stärker auf Forschung, Entwicklung und Innovation setzen, um nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum zu generieren und stabile Beschäftigung zu gewährleisten. Für die Baubranche hat die MCA-UGT bereits der Regierung einen Sanierungsplan für Altbauten vorgeschlagen. Allein durch die Sanierung von jährlich 200 000 Häusern könnten 600 000 direkte Arbeitsplätze entstehen. Der Staat würde dadurch 0,80 Cent pro investierten Euro zurückbekommen.
Gerade die Jugendlichen sind von der Krise besonders hart betroffen. Bei einer Jugendlicharbeitslosigkeit von über 50 Prozent kann auch die Regierung nicht wegschauen. Die spanischen Jugendlichen engagieren sich innerhalb der Gewerkschaften und stellen ihre Forderungen. Ein Drittel der 200 000 Mitglieder von MCA-UGT ist jünger als 35 Jahre.
Notwendig ist eine Bildungspolitik, die sowohl in der akademischen als auch der Berufs- und Weiterbildung auf die Integration der Jugendlichen in den Arbeitsmarkt setzt. Das wichtigste Ziel ist die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Die Regierung muss jungen Menschen den Zugang zur Arbeitswelt unter menschenwürdigen Bedingungen garantieren. Nur so können junge Menschen ihr Leben eigenverantwortlich in die Hand nehmen.
IG Metall und MCA-UGT verbindet eine langjährige Zusammenarbeit. Das ist die Grundlage, auf der wir unseren stetigen und gemeinsamen Kampf zur Verteidigung der sozialen Rechte in Europa entwickeln werden. Die Beziehung zwischen MCA-UGT und IG Metall zeichnet sich durch kontinuierliche und gemeinsame Arbeit aus. Diese Beziehung wollen wir auf allen Ebenen vertiefen. Ferner arbeiten IG Metall und MCA-UGT zusammen mit anderen Gewerkschaften in verschiedenen internationalen Bündnissen. Ein gutes Beispiel und ein ausgezeichneten Rahmen dafür ist die neu gegründete IndustriALL Global Union, der neue internationale Industriebund, der aus der Fusion von ITBLAV, ICEM und IMF entstanden ist.
In den letzten gemeinsamen Gesprächen hat IG Metall ihre Besorgnis über die Situation in Spanien zum Ausdruck gebracht. Sollte die spanische Regierung die geplanten Maßnahmen wie geplant umsetzen, befürchten wir eine Ausweitung auf ganz Europa. Im Moment ist Spanien eine Art soziales Experimentierfeld. Die IG Metall und die spanische MCA-UGT wollen die gewerkschaftlichen Aktionen effektiv koordinieren. Das wird eine gemeinsame Arbeitsgruppe zur Entwicklung eines sogenannten „neuen Produktionsmodells für die Europäische Industrie“ anstoßen.