23. November 2015
Gewerkschaften im Automobilsektor
Süden der USA: Magnet für deutsche Autofirmen
Für die deutsche Automobilindustrie sind die USA wichtiger Absatzmarkt und Produktionsstandort zugleich. In den letzten Jahrzehnten haben BMW, Mercedes-Benz, Volkswagen und Zulieferer wie Bosch, ZF oder Continental Produktionsstätten dort eröffnet. Besonders wichtig ist der Süden der USA.

Im Jahr 2014 produzierten deutsche Autohersteller etwa 730 000 PKW in den USA. Jeder sechste Arbeitsplatz in der US-Autoindustrie gehört zu einem deutschen Unternehmen. Laut Schätzungen sind aktuell rund 750 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei deutschen Unternehmen in den USA beschäftigt. Nirgends ist diese Entwicklung so dynamisch wie im Süden der USA.

Jeder sechste dort hergestellte Pkw stammt von einem deutschen Autobauer. Milliardenschwere Investitionsvorhaben werden derzeit umgesetzt, um die Kapazitäten deutscher Hersteller weiter zu steigern. Das BMW-Werk in Spartanburg in South Carolina wird zum größten BMW-Standort weltweit ausgebaut. Auch Daimler investiert massiv. Die Kapazität des Mercedes-Standortes in Tuscaloosa in Alabama wird nahezu verdoppelt. Außerdem wird für den Sprinter in South Carolina in den kommenden Jahren eine neue Fabrik errichtet. Auch Volkswagen will künftig zwei Modelle in seinem Werk in Chattanooga (Tennessee) vom Band laufen lassen.

 

Nord-Süd-Gefälle bei den Löhnen

Neben Mercedes-Benz, BMW und Volkswagen sind auch Toyota, Nissan, Honda und Kia im Süden der USA vertreten. Auch viele Autozulieferer wie Bosch, Continental und ZF tummeln sich dort. Die deutschen Zulieferbetriebe beschäftigen etwa 72 000 Menschen in den USA. In den Südstaaten ist ein neues Zentrum der deutschen Autoindustrie entstanden mit vielen neuen Arbeitsplätzen. Das wäre nun eigentlich Grund, uneingeschränkt zu jubeln.

Aus Gewerkschaftssicht birgt diese Entwicklung aber einen ganz entscheidendes Problem. Der Süden der USA zeichnet sich durch niedrige Löhne und eine offen gewerkschaftsfeindliche Haltung in Politik und Wirtschaft aus. Die Gründung und die Arbeit von Gewerkschaften werden systematisch unterlaufen. Der Organisationsgrad der Arbeitnehmer ist in den Südstaaten besonders niedrig. In vielen Werke gibt es keine Arbeitnehmervertreter. Mit einschneidenden Folgen für die Beschäftigten: Löhne, Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen sind deutlich schlechter als in den traditionellen Industrieregionen des Nordostens mit ihren vergleichsweise starken Gewerkschaften.

Regionen mit unterschiedlichen Tarifniveaus aber können innerhalb der USA leicht gegeneinander ausgespielt werden. Und im Vergleich zum Lohnniveau in Deutschland fällt der Abstand besonders ins Auge. Die Lohnkosten in den USA machen nur 53 Prozent des deutschen Niveaus aus. Laut einer Studie der Deutschen Bank Research sind die USA im Vergleich zu Deutschland ein Niedriglohnland. Die Beschäftigten der US-amerikanischen Automobilindustrie mussten in den letzten Jahren große Lohneinbußen hinnehmen.

Eine entscheidende Ursache: In einem großen Teil der Produktionsbetriebe der Automobil- und Zulieferindustrie in den USA gibt es heute keine gewerkschaftliche Vertretung mehr. Im Gegensatz dazu war noch vor 20 bis 30 Jahren zumindest die große Mehrheit der Autoarbeiter gewerkschaftlich organisiert. Heute sind es nur noch die US-amerikanischen Werke von Chrysler, Ford und GM, nicht aber die japanischen, koreanischen und deutschen Produktionsstätten.

 

IG Metall unterstützt UAW im Süden

Die UAW, die Gewerkschaft der US-Automobilarbeiter, versucht daher, in den Produktionsstandorten in den Südstaaten der USA stärker Fuß zu fassen. Die Bemühungen der UAW konzentrieren sich auf die nicht organisierten Werke ausländischer Konzerne, die sogenannten Transplants. Denn die Hälfte der US-Autoproduktion findet heute dort statt. Das erzeugt einen ungeheuren Druck auf die Tariflöhne der UAW bei den US-Autobauern. Die UAW hat deshalb für die Südstaaten eine neue Strategie entwickelt.

Die Gewerkschaftsgliederungen der UAW in den Betrieben, sogenannte Locals bilden dafür eine wichtige Ausgangsbasis. Gemeinsam mit der IG Metall hat die UAW jetzt die Transnationale Partnerschaftsinitiative (TPI) gestartet. Im vergangenen Jahr wurden sowohl bei Volkswagen in Chattanooga als auch bei Mercedes-Benz in Tuscaloosa mit Unterstützung der IG Metall Gliederungen der UAW ins Leben gerufen. Sie sind allerdings bis heute nicht vom Unternehmen als Tarifpartner anerkannt. Eine Gewerkschaftswahl bei VW in Chattanooga war 2014 knapp verloren gegangen, nachdem sich republikanische Politiker, die regionale Wirtschaftslobby und antigewerkschaftliche Gruppen massiv eingemischt und die Belegschaft eingeschüchtert hatten.

 

Organisationserfolge bei Mercedes und Volkswagen

Bei VW in Chattanooga sind bis heute mehr als die Hälfte der Produktionsarbeiter der Gewerkschaft beigetreten. Das ist ein ermutigendes Zeichen nach der knappen Wahlniederlage im letzten Jahr. Der derzeitige UAW-Präsident Dennis Williams sagte dazu: „Die Leute im Süden sollten sich besser langsam an die UAW gewöhnen.“ Die IG Metall hat diese Aktivitäten zusammen mit den Betriebsräten von Mercedes-Benz und Volkswagen engagiert unterstützt. So wurden im vergangenen Jahr Absichtserklärungen von UAW, IG Metall und der Weltarbeitnehmervertretung von Daimler bzw. von UAW, IG Metall und dem VW-Weltbetriebsrat unterzeichnet, womit die weitergehende Zusammenarbeit untermauert wird.


Globale Wertschöpfungsketten organisieren; Studie der Friedrich Ebert Stiftung, August 2015 Sanierung des bröckelnden Tarifsystems? Gewerkschaften und Arbeitsbeziehungen in den Vereinigten Staaten von Amerika; Studie der Friedrich Ebert Stiftung, Juli 2014

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