Bis Ende des Jahres werden die Rücklagen in den Rentenkassen bis auf 31 Milliarden Euro angewachsen sein. Das bedeutet: Der Beitragssatz müsste Anfang nächsten Jahres von 18,9 auf 18,3 Prozent sinken – so sieht es das Gesetz vor und das würde auch die Arbeitnehmer entlasten. Trotzdem ist die IG Metall gegen eine Senkung des Rentenbeitrags. Warum, das erklärt Hans-Jürgen Urban im Interview.
Hans-Jürgen Urban: Weitere Beitragssatzsenkungen sind der falsche Weg. Damit wird die letzte Chance verspielt, endlich dringende Reformen und Verbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung zu realisieren. Auskömmliche Renten, die im Alter den Lebensstandard sichern und vor Armut schützen, sind eben nicht zum Nulltarif zu haben. Das gilt auch für flexible Übergänge aus der Arbeit und den Ruhestand.
In der Tat scheint eine Senkung der Rentenbeiträge auf den ersten Blick verlockend zu sein. Aber letztlich würden von den sinkenden Beiträgen nur die Arbeitgeber profitieren. Die Arbeitnehmer wären gezwungen, die zu erwartenden Einbußen durch Zahlungen in die private Vorsorge auszugleichen. Das ist riskant und zudem ungerecht, weil sich die Arbeitgeber – anders als bei den gesetzlichen Rentenbeiträgen – an den privaten nicht zur Hälfte beteiligen müssen.
Eine solidarische Reformpolitik – wie ich sie mir vorstelle – muss sich innerhalb eines rentenpolitischen Zieldreiecks bewegen. Erstens brauchen wir eine gesetzliche Rente, die vor Armut schützt und den Lebensstandard weitgehend sichert. Dazu müssen etwa niedrigere Rentenbeiträge aufgewertet und vor allem das Rentenniveau zumindest stabilisiert werden. Zweitens: Statt der Einheitsrente mit 67 brauchen wir flexible Wahlmöglichkeiten beim Altersausstieg. Diejenigen, die am Ende eines langen Erwerbslebens nicht mehr können oder wollen, müssen zu fairen Bedingungen ausscheiden können. Wichtige Maßnahmen wäre ein erleichterter Rentenzugang für Erwerbsgeminderte, eine neue Altersteilzeit und abschlagsfreier Ausstieg für Versicherte mit langer Erwerbsbiografie. Wer lange Jahre hart gearbeitet hat, der sollte auch ohne Abschläge in Rente gehen können.
Gute Renten müssen auch solidarisch finanziert werden. Wir sollten eine Demographie-Reserve in der Rentenkasse anlegen, um auch der Baby-Boomer-Generation auskömmlichen Renten zu ermöglichen. Und wir brauchen eine Erwerbstätigenversicherung, in die alle einzahlen. Das stärkt das Solidarsystem und erweitert die finanziellen Spielräume der Rentenversicherung.