2. Juni 2021
Pflege
Endlich armutssicher? Das bringt Spahns Pflegereform
Kurz vor Torschluss bringt Gesundheitsminister Jens Spahn seine Pflegereform durch das Kabinett. Das verbessert zwar die Lage von Versicherten und Pflegekräften. Doch das Grundproblem der Pflegeversicherung bleibt bestehen.

 

Am Ende ging alles ganz schnell.

Lange sah es so aus, als ob Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) seine Pflegereform vor der Bundestagswahl nicht mehr umsetzen wird. Nun hat das Bundeskabinett sie doch beschlossen. Bundestag und Bundesrat müssen noch zustimmen. Das Gesetzbringt wichtige Veränderungen: sowohl für Pflegebedürftige und deren Angehörige als auch für Pflegekräfte.


Das bedeutet die Reform für Versicherte

Stationäre Pflege kostet meist deutlich mehr, als die Pflegeversicherung bezahlt. Die Folge: Pflegebedürftige und Angehörige müssen hohe Zuzahlungen leisten, die sogenannten Eigenanteile. Mit dem neuen Gesetz wird der Eigenanteil an den reinen Pflegekosten reduziert: im 1. Jahr der Pflegebedürftigkeit um 5 Prozent, im 2. Jahr der Pflegebedürftigkeit um 25 Prozent, im 3. Jahr um 50 Prozent, ab dem 4. Jahr um 75 Prozent. Die Reduzierung gilt ab dem 1. Januar 2022.

Bei den gesamt zu übernehmenden Kosten von aktuell durchschnittlich 2068 Euro im Monat würde sich das so auswirken:

Realer Eigenanteil aktuell: 2068 Euro

1. Jahr: 2026 Euro
2. Jahr: 1860 Euro
3. Jahr: 1652 Euro
4. Jahr ff.: 1444 Euro

Das bedeutet die Reform für Pflegekräfte

Die Arbeit in der Pflege ist hart. Die Bezahlung oft bescheiden. Künftig darf die Pflegeversicherung nur noch mit solchen Pflegeeinrichtungen Leistungen abrechnen, die ihre Beschäftigten nach Tarifvertrag bezahlen. Oder, wenn es sich um kirchliche Einrichtungen handelt, nach den Arbeitsvertragsrichtlinien der kirchlichen Arbeitgeber. Hier bringt das neue Gesetz eine erste Verbesserung, ein bundesweit gültiger, allgemeinverbindlicher Tarifvertrag muss aber weiter das Ziel sein.

Bislang musste die Bezahlung nur „ortsüblich“ sein, was keinen ausreichenden Schutz vor Billiglöhnen bot. Die Tarif-Pflicht gilt ab September 2022.

Für Beschäftigte in der Pflege ist das eine gute Nachricht. Sie können in vielen Einrichtungen mit deutlich steigenden Entgelten rechnen.


Diese Probleme bleiben

Das Gesetz reduziert nur die Eigenanteile für die eigentliche Pflege (siehe oben). Diese Kosten sind aber nur ein Teil der Gesamtkosten, die Pflegebedürftige aus eigenen Mitteln für die stationäre Pflege zahlen müssen.

Dazu kommen Kosten für Heimunterbringung und Verpflegung und sogenannte Investitionskosten, zum Beispiel für die Instandhaltung der Pflegeheime. Rechnet man alles zusammen, kommt man auf einen Betrag von durchschnittlich 2068 Euro, den Pflegebedürftige aktuell für die vollstationäre Pflege im Heim aufbringen müssen.

Auch wenn die Eigenanteile an den reinen Pflegekosten nun reduziert werden: Es bleiben hohe Zuzahlungen. Mehr als sich viele Pflegebedürftige oder deren Angehörige leisten können. Viele werden weiterhin Sozialhilfe beantragen müssen. Pflegebedürftigkeit bleibt damit ein Armutsrisiko.

Verschärft wird das Problem durch die – sehr wünschenswerte! – Tariflohnpflicht. Gegenfinanziert werden sollen die höheren Löhne ab 2022 durch einen Steuerzuschuss in Höhe von 1 Mrd. Euro und eine Anhebung um 0,1 Prozentpunkte des Zusatzbeitrages für Kinderlose, die jetzt schon einen höheren Beitrag zur Pflegeversicherung zahlen. Diese Gegenfinanzierung ist jedoch nicht ausreichend - Pflegeheime werden die höheren Lohnkosten an die Pflegebedürftigen weiterreichen. Die Eigenanteile werden so weiter steigen. Das frisst einen Teil der Entlastung auf, den das Gesetz für Pflegebedürftige bringt.

Die Lösung des einen Problems – schlechte Löhne in der Pflege – verschärft somit das andere Problem: Zu hohe Belastung der Pflegebedürftigen.


Das fordert die IG Metall

Gute Pflege und gute Löhne sind machbar. Doch dafür reicht es nicht, nur an einzelnen Stellschrauben zu drehen. Die Pflegeversicherung braucht dauerhaft mehr Geld.

„Eine gute tarifliche Entlohnung für alle Pflegekräfte ist längst überfällig“, sagt Hans-Jürgen Urban, der im IG Metall-Vorstand für Sozialpolitik zuständig ist. Viele Pflegebedürftige müssten aber weiterhin über 2000 Euro im Monat für ihre stationäre Pflege zahlen.

„Was wir brauchen ist eine echte Reform, die das Grundproblem nicht umschifft. Nötig ist eine Pflegeversicherung, die alle pflegebedingten Kosten übernimmt. Und eine solidarische Aufteilung der Kosten durch eine Bürgerversicherung, die alle an der Finanzierung beteiligt. Pflegebedürftigkeit darf nicht zu sozialem Abstieg führen.“


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