Hans-Jürgen Urban: Die Ausgaben steigen. Verantwortlich dafür sind gerade in den letzten Jahren teure Gesetze, die etwa Ärzten und Entwicklern von Gesundheits-Apps mehr Geld bringen, ohne dass die Leistungen besser geworden wären. Aber ein Teil der Ausgabensteigerung geht auch auf den medizinischen Fortschritt zurück – den wir wollen und für eine sehr gute Versorgung auch brauchen. Wenn bessere Leistungen mehr kosten, kommt es darauf an, sie auch fair zu finanzieren. Dafür brauchen wir einen Systemwechsel!
Einer von vielen absurden Vorschlägen, die seit einiger Zeit durch die Debatte geistern – und zurecht viel Gegenwind bekommen. Diese Vorschläge zielen alle darauf ab, den Schutz durch die gesetzlichen Krankenkassen abzubauen. Dadurch werden Menschen aber nicht weniger krank. Die Folge ist nur, dass sie privat zahlen müssen. Wer also weniger Geld hat und sich den Zahnersatz nicht mehr leisten kann, bekommt keinen mehr? Das wäre schlicht unsozial. Gesundheit darf nicht vom Geldbeutel abhängen. Das sollte ein Kassenchef eigentlich wissen.
Zunächst – und auch im Koalitionsvertrag vereinbart – sollte es höhere Zahlungen aus Steuermitteln für Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger geben. Diese Ausgaben sind zurzeit nicht ausreichend gedeckt, da geht es um mehrere Milliarden. Auf den Prüfstand gehören außerdem einige der erwähnten teuren Gesetze aus der Zeit des Ex-Gesundheitsministers Jens Spahn. Wirklich sicher und nachhaltig finanzieren lässt sich die gesetzliche Krankenversicherung aber nur, wenn wir sie zu einer Bürgerversicherung umbauen.
Hans-Jürgen Urban ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, zuständig für Sozialpolitik.
Die Bürgerversicherung stellt die Finanzierung der Gesundheitsversorgung auf eine breitere Basis. Beamtinnen und Beamte, Apothekerinnen und Apotheker, Politikerinnen und Politiker, Anwältinnen und Anwälte – sie alle werden einbezogen. Dadurch fließt mehr Geld ins System. Das ist die Grundidee der Bürgerversicherung: Gerechter und solide finanziert.
Es gibt weitere Punkte: zum Beispiel die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze und die Einbeziehung anderer Einkommensarten. Bisher werden Krankenkassenbeiträge nur auf Einkommen aus Arbeit erhoben. Wenn jemand aber viel Geld durch Kapitalerträge oder Vermietung einnimmt, wird das nicht berücksichtigt. Dieses Geld sollte künftig auch mit Beiträgen belegt werden – natürlich mit Freibeträgen, damit kleine und mittlere Einkommen nicht belastet werden.
Die FDP mag gegen die Bürgerversicherung sein. In der Bevölkerung hat die Idee enormen Rückhalt. Das wissenschaftliche Institut der AOK hat kürzlich eine Umfrage veröffentlicht. Es ging dabei um die Zustimmung zu verschiedenen Reformideen für die gesetzliche Krankenversicherung. Dem Einbezug aller Bürgerinnen und Bürger in ein gemeinsames Gesundheitssystem – also der Kernidee der Bürgerversicherung – haben in der Umfrage drei Viertel der gesetzlich Versicherten zugestimmt. Selbst die privat Versicherten stimmten nur zu einem knappen Drittel dagegen.
Mit dem Schlagwort „Einheitskasse“ wird oft Stimmung gegen die Bürgerversicherung gemacht. Darum geht es bei der Bürgerversicherung aber gar nicht. Entscheidend ist, dass die privat Versicherten einbezogen werden und sich am Solidarsystem beteiligen. Das kann auch stufenweise gelingen, zum Beispiel durch die Wahlmöglichkeit für Beamtinnen und Beamte, sich auch in der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern.
Weil sie den solidarischen Grundgedanken unseres Sozialstaates untergräbt. Privatversicherte haben ein höheres Einkommen und oftmals niedrigere Gesundheitsrisiken. Sie bleiben aber unter sich. Das ist weder zeitgemäß noch gerecht. Mit der Bürgerversicherung gäbe es ein System, das einen solidarischen Ausgleich in der gesamten Gesellschaft schafft. Unser Motto: Bürgerversicherung: Gute Leistungen – fair finanziert!