4. Juli 2011
Elektromobilität
Die Autos der Zukunft
Das Auto der Zukunft fährt elektrisch. Da sind sich die Experten einig. Weil es dem Klima nützt und das Öl knapp wird. Deutschlands Autobranche soll aus der Pole-Position ins Rennen um den neuen Markt gehen. Auch, damit die Arbeitsplätze hier bleiben.

Kein Knattern, kein Tuckern, kein Gestank. Ruhig schnurrt die Hälfte aller Autos über die Straßen von New York. Fast 50 Prozent fahren mit Strom. Nein, kein Blick in die Zukunft. In New York wurden um 1900 herum viele Autos elektrisch angetrieben. Als der Mensch zum Autofahrer wurde, nutzte er Strom. Verbrennungsmotoren mussten erst erfunden werden, und auch danach waren sie ihren elektrischen Schwestern unterlegen. Erst mit der Erfindung der elektrischen Zündung und sprudelnden Ölquellen hängten sie das E-Mobil ab.

Mehr als 100 Jahre später träumen Entwickler erneut von einer elektrischen Zukunft auf vier Rädern. Die Industrienationen stehen vor zwei Herausforderungen: Wollen sie die Erderwärmung bremsen, müssen sie den Ausstoß an Kohlendioxid auch im Straßenverkehr verringern. Wollen sie mobil bleiben, können sie nicht allein auf fossile Brennstoffe setzen. Die Ölreserven sind endlich. Alternativen müssen her. Die sehen Entwickler in Japan und China schon länger in elektrischen Antrieben oder in Kombinationen aus Verbrennungs- und E-Motor. Deutsche Hersteller dagegen setzten lange Zeit auf sparsame Diesel und vertrauten auf das Können ihrer Ingenieure, den Schadstoffausstoß und Verbrauch der Motoren zu senken.

Große Chance
Das soll sich ändern.Deutschland will bei der Elektromobilität „Leitanbieter“ und „Leitmarkt“ werden. Dazu ist jedoch noch viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu leisten. Die Nationale Plattform Elektromobilität (NPE), in der Vertreter von Politik,Wirtschaft, Wissenschaften und Gewerkschaften zusammenarbeiten, machte im Mai ein ganzes Vorschlagspaket, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Berthold Huber, der Erste Vorsitzende der IG Metall und Mitglied im Leitungsgremium der NPE, sieht in der Arbeit der NPE eine große Chance. Sie kann dem notwendigen Wandel der Autoindustrie – einem für Deutschland so wichtigen Wirtschaftszweig – den entscheidenden Anstoß geben.

Die NPE kümmert sich darum, wie der Prozess politisch flankiert werden kann und muss, um erfolgreich zu sein. Dabei kann die IG Metall mitreden, welche Richtung die Industriepolitik einschlägt, und sie im Interesse der Beschäftigten mitgestalten. „Eine solche Form der Zusammenarbeit“, freut sich Huber, „hat es noch nicht gegeben.“ Setze die NPE ihre Ziele um, werde neben der Energiewende „das nachhaltigste Innovationsprojekt“ der modernen Industrie angeschoben. Es bringe mehr neue Arbeitsplätze als durch den Technikwandel wegfallen. Die NPE geht von einem Plus von 30 000 Stellen aus. Vorausgesetzt, die Bundesregierung übernimmt die Vorschläge.

Forschung und Entwicklung von Elektroantrieben erfordern gigantische Summen. 17 Milliarden will die Wirtschaft investieren. Die NPE hält weitere vier Milliarden für erforderlich: für industriepolitische Projekte, die die Entwicklung branchenübergreifend begleiten. Kritiker sehen in den Vorschlägen nur ein steuerfinanziertes Unterstützungsprogramm für die Autoindustrie. Peter Cammerer ärgert sich über diese Haltung. „Es geht nicht darum, einen Industriezweig zu retten, sondern darum, dass wir technologisch am Ball bleiben.“ Für den Betriebsrat von BMW München entscheidet sich jetzt, ob Deutschland die Technik der Zukunft selbst baut und verkauft oder diese Teile aus dem Ausland zukaufen muss. Das gilt vor allem für die Batterien. Die Grundlagenforschung für eine leistungsfähige Batterietechnologie hat gerade erst angefangen.

Die Elektromobilität leidet im 21. Jahrhundert noch immer an ihren Kinderkrankheiten, mit denen sie schon vor 100 Jahren das Rennen gegen Diesel- und Otto-Motor verlor. Als Energiespeicher sind Batterien trotz aller Fortschritte dem Benzin unterlegen. Sie sind schwer, haben nur eine Reichweite bis zu 200 Kilometern und hängen stundenlang an der Steckdose, wenn die Batterie leer ist. Interessant ist das Elektromobil zurzeit vor allem für Kurzstrecken.

Weniger Gewicht
Für die Langstrecke feilen Entwickler weiter an Hybrid-Techniken, die Verbrennungs- und Elektromotor kombinieren. Parallel dazu arbeiten sie daran, die Reichweite der Batterien zu vervierfachen. Das funktioniert nicht mit den bisherigen Lithium-Ionen-Batterien. Geforscht wird an Alternativen mit Lithium-Schwefel. Zu schaffen macht Entwicklern auch das Gewicht. Batterien machen Autos schwerer, so dass sie mehr Energie fressen. Um den Verbrauch zu senken, sollen die Fahrzeuge an anderer Stelle leichter werden. Hoffnungen setzen Autobauer auf Karbon. In Form neuer Kunststoffkarosserien und als Bestandteil anderer Fahrzeugteile würde er die Wagen deutlich leichter machen. Karbon wiegt noch weniger als Aluminium und ist äußerst stabil. Hier sieht BMW-Betriebsrat Peter Cammerer eine Chance für einen alten Berufszweig: „Für Karbon brauchen wir Textilfachleute. Sie könnten wieder gefragt sein. Wer hätte das vor ein paar Jahren gedacht?“
In der Autoindustrie bricht eine neue Ära an.Von Goldgräberstimmung ist unter Beschäftigten allerdings noch wenig zu spüren. Wer nicht weiß, wie seine Arbeit in Zukunft aussieht, ist unsicher,ober siemorgennochhat. Ein Verbrennungsantrieb setzt sich aus gut 1400 Teilen zusammen, seine elektrische Schwester aus rund 210. Ein Elektroauto braucht keinen Tank, keinen Auspuff und keine Kupplung. Aber bedeuten weniger Teile auch weniger Arbeit?

Andere Arbeit
Wie viele und wie sichere Arbeitsplätze die Autoindustrie in Zukunft bietet, müssen Autohersteller allerdings nicht dem Zufall überlassen. Für Jürgen Stumpf liegt in jeder Veränderung auch eine Chance – wenn sie rechtzeitig genutzt wird. Schon 2007 hat sich der Betriebsrat von VW in Kassel dafür eingesetzt, einen Elektroantrieb zu bauen. Das Projekt wurde mit Hilfe eines Innovationstopfs angestoßen, den die IG Metall im Rahmen von Beschäftigungssicherungsverträgen mit dem Unternehmen ausgehandelt hat. Nächstes Jahr soll der erste Elektroantrieb in Serie gehen. „Für die Belegschaft in Kassel war das ein enorm wichtiger Schritt“, sagt Stumpf. Je früher sie einsteigen, desto besser halten sie den Anschluss. Die neuen Techniken werden die Arbeitswelt verändern und neue Fähigkeiten von Beschäftigten verlangen.
Gleichzeitig werden klassisches Wissen und Können weiter gebraucht. Zurzeit laufen viele Entwicklungen parallel, und das wird noch lange so bleiben. Im Zeitalter des Übergangs müssen Autohersteller und ihre Zulieferer mehrere Antriebstechnologien gleichzeitig beherrschen.

Mehrere Wege
Wie viele Arbeitsplätze am Ende stehen, hängt für Stumpf davon ab, welche Rahmenbedingungen die Politik schafft und wie sich die Autohersteller schon heute für die Zukunft aufstellen. „Wir stehen vor einem riesigen Umbruch. Viele Techniken werden wegfallen und neue werden hinzukommen.“ Die Suche nach Lösungen schafft schon jetzt Arbeit. Beim Autozulieferer Bosch tüfteln etwa 800 Ingenieure an neuen Antriebs- und Batterietechniken und Motoren, vor allem an Hybriden. In der Entwicklung und Forschung sieht der Bosch-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Alfred Löckle zurzeit das größte Wachstumspotenzial. In der Produktion werden die neuenTechniken noch nicht so schnell ins Gewicht fallen. „Um ein Werk wie Hildesheim auszulasten, brauchen wir mehrere Millionen Einheiten. Da produzieren wir 500 Elektromotoren nebenbei.“ Als Zulieferer können sie der Entwicklung zuversichtlich entgegensehen, denkt Löckle. Allerdings glaubt er nicht an den schnellen Durchbruch der Elektrofahrzeuge. Dafür ist die Batterietechnik noch nicht weit genug. „Die entscheidendere Rolle werden auch mittelfristig effiziente herkömmliche Motoren spielen. Wir müssen weiter daran arbeiten, den Verbrauch und den Schadstoffausstoß unserer bisherigen Fahrzeuge zu senken.“

Wenn Mobilität in Zukunft nicht nur erschwinglich, sondern auch klimaverträglich sein soll, spielt nicht nur eine Rolle, dass ihr Treibstoff aus der Steckdose kommt. Klimafreundlicher wären E-Mobile nur, wenn die Energie aus erneuerbaren Quellen wie Wind und Sonne stammt. Würden sie aus dem bisherigen Strommix gespeist, wäre ihre Klimabilanz nach Berechnungen des Bunds für Umwelt- und Naturschutz (Bund) sogar schlechter. Darum hat Berthold Huber in der „Plattform“ darauf gepocht: Der Strom muss aus regenerativer Energie kommen. Mit Erfolg.Der NPE hat sich klar dazu bekannt. Und auch die Bundesregierung. Bessere Netze. Oberstes ökologisches Gebot für E-Autos ist nach Ansicht von Werner Reh vom Bund aber Sparsamkeit: den Energieverbrauch senken und unnötigen Verkehr vermeiden. „Es wäre kein Fortschritt, Spritfresser einfach nur durch Stromfresser zu ersetzen.“

Der Verkehr wird weiter wachsen, vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern, den großen Zukunftsmärkten der Autoindustrie. Klar ist: Das Elektroauto ist nicht die (einzige) Lösung aller Umwelt-, Klima- und Rohstoffprobleme, die der wachsende Verkehr mit sich bringt. Es beseitigt keine Staus, braucht weder weniger Parkraum noch weniger asphaltierte Flächen. „Der Verkehr insgesamt stößt bald an seine Grenzen, vor allemin den Mega-Citys“, fasst Rudolf Meißner, BerlinerWissenschaftler und Mobilitätsexperte, zusammen. „Künftigwird es eine Kernfrage sein, wie Elektroautos mit anderen Verkehrsmitteln vernetzt werden“, also mit (Elektro-)Fahrrädern, Straßen- und U-Bahnen, Zügen und Bussen. Es gibt viel zu tun, wenn die Industrienationen ihre Klimaziele erreichen und auch in Zukunft flexibel unterwegs sein wollen. Auf dem Automarkt wartet jede Menge Arbeit.


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