5. Mai 2017
DGB-Konferenz über neue Wege der Globalisierung
Der grenzenlose Markt ist enttarnt
Die Globalisierung hat ihr Versprechen von mehr Wohlstand für alle nicht eingelöst. Auf einer gemeinsamen Konferenz diskutierten IG Metall, DGB, Kirchen und Umweltverbände Alternativen zum grenzenlosen Freihandel mit dem angesehenen Wirtschaftsprofessor Dani Rodrik aus Harvard.

Herr Rodrik, Sie kritisieren die Verwerfungen, die die Globalisierung hervorgebracht hat. Das Argument, dass sie vielen Wohlstand bringen würde, lullte viele lange Zeit ein.
Rodrik: Die Globalisierung ist nicht zu stoppen, das mal vorneweg. Ursprünglich ging es nur darum, Gewinne zu steigern und die Transaktionskosten der Unternehmen zu senken. Diese grenzenlose Globalisierung, ich nenne sie auch Hyperglobalisierung, hat jedoch viele Menschen in Armut gestürzt und gravierende Umweltschäden versursacht.

Die positive Wahrnehmung von Globalisierung weicht einer kritischeren Sicht, wie sie die Gewerkschaften von Anfang an vertreten haben
Ja, die Menschen sind skeptischer geworden. Es gibt Fehlschläge auf nationaler Ebene. Diejenigen, die in großer Blauäugigkeit meinten, der Markt werde alles richten, sehen sich eines Besseren belehrt.

Sie fordern mehr Demokratie statt mehr Weltmarkt. Die Art wie Handelsverträge für eine globalisierte Welt ausgehandelt werden, hat viele Menschen auf die Straße getrieben.
Völlig zu Recht. Diese Geheimniskrämerei darf sich nicht mehr wiederholen. Vielmehr geht es darum, künftig alle Interessensgruppen, demokratisch zu beteiligen, wie das die Gewerkschaften fordern.

Sie haben den Begriff des „Trilemmas“ der Globalisierung geprägt, also eine Art Zwickmühle aus drei Teilen. Was verbirgt sich genau dahinter?
Ich forsche zum Verhältnis von Markt, Staat und Demokratie. Offene Märkte, staatliche Souveränität und Demokratie harmonieren nicht miteinander. Politiker müssen sich zwischen dem freien Markt und den Forderungen der Bürger entscheiden. Staaten oder Staatengruppen wie die Europäische Union sollten mehr Rechte haben, um offene Märkte bei Bedarf einzuschränken und sich dem Druck von Seiten der Unternehmen wiedersetzen zu können.

Warum fordern Sie eine Stärkung der nationalen Regierungen?
Um Fehlentwicklung der Globalisierung zu korrigieren. Seit den 1990er Jahren hat die Welthandelsorganisation nicht nur Zölle und Einfuhrbeschränkungen aufgehoben, sondern sich auch verstärkt in nationale Regelungen eingemischt. Das ging weiter, als es vernünftig gewesen wäre. Die fast unbeschränkten Kapitalströme waren vermutlich der größte Fehler in diesem Zusammenhang. Das hat zu Instabilität und Finanzkrisen geführt. Wir brauchen wieder mehr als weniger Regeln für den Finanzsektor, auch wenn die Signale aus den USA anders lauten.

Wie sieht für Sie ein faires Wirtschafts- und Handelsmodell aus?
Die Märkte müssen Teil der Lösung sein. Um das Trilemma aufzulösen, brauchen wir eine neue Balance aus Freihandel und Gestaltungsmöglichkeiten von Regierungen. Es ist wichtig den Bürgern zu vermitteln, dass niemand zurück gelassen wird. In dem Zusammenhang ist es wichtig, den Sozialvertrag wieder aufleben lassen.

Das deckt sich mit den Forderungen der Gewerkschaften.
Der Staat muss die Benachteiligten der Globalisierung auffangen, also beispielsweise, wenn ein Strukturwandel in einer Branche Arbeitsplätze kostet. Staatliche Hilfen sind sinnvoll, wenn Gruppen von Menschen, die im Zug der Einbindung eines Landes in die Weltwirtschaft ihre Beschäftigung verlieren.

Die Globalisierung verursacht hohe ökologische und soziale Kosten. Arbeitsplätze sind in ärmere Staaten abgewandert, zu oft schlechten Bedingungen. Wie kann man das stoppen?
Das Ziel eines möglichst freien Welthandels muss überdacht und die Macht von multinationalen Konzernen begrenzt werden. Globalisierung ist keine Story, in der es zwingend ein happy end gibt, schon gar nicht für alle. Ich denke, es ist Zeit die Regeln zu ändern.

Die Gewerkschaften fordern eine Einhaltung der Kernarbeitsnormen und eine Stärkung der ILO. Sie kritisieren, dass still und heimlich an 20 größeren und kleineren Handelsabkommen verhandelt wird, ohne dass die Öffentlichkeit davon Kenntnis hat.
Wir sollten Handelsabkommen nicht überladen, das hat nie funktioniert. Ich bin auch für die Durchsetzung von besseren Arbeitsbedingungen und für eine Stärkung der ILO, aber nicht im Rahmen von Handelsabkommen.

Welche Perspektive hat Europa in diesem Zusammenhang?
Ein wesentlicher Fehler der EU war, die soziale Dimension zu vernachlässigen. Man hätte die wirtschaftliche Integration langsamer vorantreiben sollen. Jetzt ist es ja so: Die Wirtschaft ist europäisch, aber die Politik immer noch national. Dieses Ungleichgewicht ist die Ursache der europäischen Krise und hat die Demokratie ausgehöhlt.

Wie kann es jetzt weiter gehen angesichts verschiedener Geschwindigkeiten?
Mehr politische Integration in Europa ist derzeit ein Wunschdenken. Die Spaltung in Europa hat sich seit der Eurokrise verstärkt. Das beherrschende Narrativ war folgendes: Es gibt fleißige Deutsche und Nordeuropäer auf der einen Seite und faule und verschwenderische Südeuropäer auf der anderen Seite. Diese moralische Erzählung hat den Boden für nationalistische Reaktionen in vielen europäischen Ländern bereitet. Heute befinden wir uns in Europa in der Mitte des Trilemmas, von dem ich eingangs gesprochen habe. Europa war ein Experiment für Hyperglobalisierung auf nationaler Ebene. Auch hier wird es nicht ohne eine Stärkung von staatlichen Institutionen und Demokratie weitergehen und auch in Europa gilt: Es gibt keine Märkte, die ohne Regulierung auskommen.

Dani Rodrik (Cambridge, Massachusetts), lehrt International Political Economy an der John F. Kennedy School of Government der Harvard University. Rodrik ist Autor von „The Globalization Paradox: Democracy and the Future of the World Economy“. Er forscht zur Politischen Ökonomie westlicher Demokratien und Wachstum in Entwicklungsländern. Seine Ausgangsthese: Die Globalisierung hat auch Verlierer hervorgebracht und zu stärkerer Ungleichheit in den Industriestaaten beigetragen. Er plädiert dafür, sich in Handelsabkommen auf die Rückgewinnung politischer Gestaltungsmöglichkeiten zu konzentrieren („exchange of policy space“ im Gegensatz zu „exchange of market access“).


Neu auf igmetall.de

    Link zum Artikel