Auch wenn es zurzeit noch unwahrscheinlich klingt: Das Elektroauto kommt, und zwar schnell. In zwei Jahren werden deutsche Autohersteller 100 verschiedene Elektrofahrzeuge im Angebot haben. Experten rechnen damit, dass in vier Jahren schon eine Million E-Mobile auf Deutschlands Straßen kurven, in sieben Jahren zwei bis drei Millionen. Seit klar ist, wohin die Reise im Straßenverkehr geht, streiten die Experten darüber, wo das Herzstück des künftigen Autos, die Batterie, und vor allem die Batteriezellen, herkommen sollen. Die deutschen Hersteller sagen: Sollen die Asiaten sie doch liefern. Sie sind technologisch ohnehin vorne. Andere, vor allem die IG Metall, drängen seit Langem darauf, dass die Batterien samt Zellen in Deutschland entwickelt und hergestellt werden.
Während der chinesische Batteriehersteller CATL angekündigt hat, in Thüringen eine Zellfabrik zu bauen und japanische und südkoreanische Unternehmen schon eifrig Werke in Polen und Ungarn aufgebaut haben, hat in Deutschland der Zulieferer Bosch wieder einen Rückzieher gemacht. Volkswagen prüft den Bau einer eigenen Zellenproduktion, ansonsten tut sich in Deutschland bisher noch viel zu wenig.
„Wir brauchen unbedingt eine eigene Zellproduktion in Deutschland“, sagt Peter Cammerer. Er ist im Betriebsrat von BMW in München. Die Betriebsräte der anderen Autohersteller in Deutschland sehen das genauso. In Bayern haben Auto-Betriebsräte, IG Metall und Autounternehmen mit der Staatsregierung einen „Autopakt“ geschlossen. Die IG Metall will damit erreichen, dass die Zellen der nächsten Generation auch in Bayern gefertigt werden. „Wir sollten uns nicht von anderen Ländern abhängig machen“, begründet IG Metall-Bezirksleiter Jürgen Wechsler die Initiative.
In wenigen Jahren wird die Nachfrage nach Batterien für E-Autos weltweit sprunghaft ansteigen. Lange Transportwege von Fernost nach Europa werden sich zu gigantischen Logistikkosten summieren. Die wenigen asiatischen Anbieter könnten in die Lage versetzt werden, Preise zu diktieren und die Abhängigkeit ihrer Kunden zu nutzen, um ihnen gleich Pakete aus kompletten Batterien anzudienen. Für die Beschäftigten in Deutschland bliebe nur noch der Einbau der Batterien und der dazu gehörigen Steuerungs- und Leistungselektronik.
Durch den Umstieg vom klassischen Verbrennungsmotor auf Elektroantrieb werden in den deutschen Auto- und Zulieferfirmen allein bis 2030 rund 76 000 der rund 210 000 Arbeitsplätze in der Fertigung von Antriebsystemen verloren gehen. Das hat das Fraunhofer Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation (IAO) in der ELAB-2-Studie errechnet, die sie im Auftrag der IG Metall erstellt hat. Da Verbrennungsmotoren aus etwa 1 400 Teilen bestehen, Elektroantriebe nur aus etwa 210, werden für ihre Herstellung weniger Menschen gebraucht. Das Fraunhofer Institut geht davon aus, dass rund um den Elektroantrieb 25 000 neue Arbeitsplätze entstehen. Insgesamt müssen sich also rund 100 000 Beschäftigte auf neue Tätigkeiten einstellen. „Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz und jedes Bauteil. Jede Fabrik ist wichtig ― auch die, die Zellen herstellt“, sagt Betriebsrat Cammerer.
In der Zellproduktion selbst entstehen zwar nicht sehr viele neue Arbeitsplätze, weil sie hoch automatisiert ist. Aber die Zellen sind strategisch wichtig, wenn die deutschen Hersteller ihre internationale Technologieführerschaft behalten und beim Umstieg auf Elektrofahrzeuge auf den globalen Märkten Leitanbieter für Verkehrsmittel und Mobilität bleiben wollen. „Die Zellen sind das Kernstück der neuen Antriebstechnologie“, sagt Jörg Hofmann, der Vorsitzende der IG Metall.
Die Zellen entscheiden darüber, wie groß die Batterien sein müssen und damit darüber, wie viel die Autos wiegen ― davon wiederum hängt auch ab, wieviel Energie sie benötigen. Und das beeinflusst, wie lange eine Stromladung reicht. Zellen sind die Stellschrauben dafür, wie schnell die Batterien aufgeladen werden können. Auch für die Sicherheit spielen sie eine Rolle: wenn es darum geht, Batterien so zu optimieren, dass sie nicht brennbar sind.
IG Metall und Betriebsräte der Autoindustrie haben weniger die aktuellen Lithium-Ionen-Batterien im Blick, sondern die Zelltechnologien der künftigen Generationen. Hier erwarten sie in den nächsten zehn bis 15 Jahren riesige Technologiesprünge. Ein wichtiges Thema sind dabei die Materialien. In künftigen Zellen könnten chemisch hergestellte Stoffe die seltenen Metalle in Batterien ersetzen. Zum Beispiel Kobalt: 10 Kilo stecken in jeder Batterie eines E-Autos. Kobalt kommt ― wie andere Rohstoffe, die in Batterien verwendet werden ― nur in ganz wenigen Ländern vor. Es sind meist Staaten, die arm, korrupt und politisch instabil sind. Von ihnen abhängig zu sein, ist für die Hersteller der E-Autos riskant. Zwei Drittel des weltweit abgebauten Kobalts kommt aus dem Kongo. Es wird dort unter unmenschlichen Bedingungen, oft von Kindern, abgebaut. China hat sich durch exklusive Lieferverträge einen großen Teil des Kobalts gesichert. All das spricht dafür, nach eigenen Alternativen zu suchen.
„Wir müssen jetzt die Pflöcke für die Zeit setzen, wenn die Massenproduktion einsetzt“, sagt BMW-Betriebsrat Peter Cammerer. Es wird in Deutschland schon viel an neuen Technologien geforscht. Doch der Weg zu einer deutschen ― oder europäischen ― Zellfertigung ist aufwändig und teuer. „Die Investitionen sind gewaltig, die Risiken hoch“, sagt Jörg Hofmann. „Kein Hersteller oder Zulieferer kann eine solche Aufgabe alleine stemmen.“ Darum appellieren IG Metall und Betriebsräte der Autoindustrie eindringlich an die deutschen Unternehmen der Auto- und Zulieferindustrie, mit den Forschungsinstituten zusammenzuarbeiten und die Aktivitäten zu bündeln und gemeinsam eine Zellproduktion aufzubauen. „Wenn der deutschen Autoindustrie strategisch so bedeutsames Know-how entgleitet, wird sie ihre technologische Position nicht behalten können“, warnt Hofmann. „Und das wird dann Konsequenzen für die deutschen Autofabriken und ihre Beschäftigten haben, die wir alle nicht wollen.“