Jörg Hofmann: Ja. Es ist richtig und für die Menschheit (überlebens-)wichtig, das Klima zu schützen. Die Weltgemeinschaft hat 2015 im Pariser Klimaabkommen beschlossen, dass die Erderwärmung im Vergleich zu der Zeit vor der Industrialisierung um weniger als zwei Grad Celsius steigen soll. Wenn wir das erreichen wollen, müssen die Länder sich ehrgeizige Ziele setzen, um den CO2-Ausstoß zu verringern.
Das ist ein sehr ambitioniertes Ziel, aber machbar. Allerdings sind darin auch Risiken enthalten. Denn das klappt nur, wenn mehr Elektrofahrzeuge auf dem Markt sind. Die Kommission geht davon aus, dass 2030 EU-weit 19 Prozent Elektroautos und Plug-In-Hybride unterwegs sind, das Umweltbundesamt geht in seinen Modellrechnungen von etwa 30 Prozent aus. Das dürfte aber die Obergrenze sein und ist auch nicht in allen EU-Ländern zu schaffen. Außerdem sind bis heute viele wichtige Fragen noch nicht geklärt.
Es müssen Milliarden in die Ladeinfrastruktur und den Netzausbau investiert werden – ohne dass es dafür Finanzierungskonzepte gibt. Wir bräuchten zudem rund 2 000 zusätzliche Windräder, weil die CO2-Bilanz von Elektrofahrzeugen nur besser ist, wenn der Strom aus erneuerbaren Quellen gespeist wird. Wir dringen seit Jahren darauf, dass die Bundesregierung endlich ein schlüssiges Gesamtkonzept für die Energie- und Verkehrswende vorlegt – es gibt immer noch keines. Wenn Politik und Unternehmen nicht koordiniert handeln und die Verbraucher nicht mitspielen, wird daraus nichts. Eine Elektrifizierungsquote lässt sich auch nicht erzwingen. Wer kauft freiwillig ein Elektroauto, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, wenn er nicht weiß, wo er es laden kann? Das alles muss doch bei den Zahlendiskussionen berücksichtigt werden. Abgesehen davon muss immer mitgedacht werden, dass jede anspruchsvolle Regulierung Folgen für die Beschäftigten und für die industrielle Basis unserer Wirtschaft hat.
Ja, eindeutig. Bis 2030 wird durch die Elektrifizierung, aber auch aufgrund des normalen Anstiegs der Produktivität, jeder zweite der Beschäftigten, die Antriebsstränge herstellen oder montieren, betroffen sein. Das zeigt die aktuelle ELAB-2-Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswissenschaft und Organisation, die wir in Auftrag gegeben hatten. In Deutschland sind das rund 100 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, EU-weit hochgerechnet etwa 300 000. Darin sind noch nicht die vielen Tausenden betroffenen Beschäftigten in Kfz-Werkstätten oder Forschung und Entwicklung eingerechnet. Sie alle müssen für neue Tätigkeiten qualifiziert werden.
Ihre Argumente sind: Es entstehen neue Stellen rund um die Strombereitstellung. Und die Einsparungen beim Erdöl führen zu zusätzlicher Nachfrage nach Dienstleistungen und die wiederum „irgendwie“ zu weiteren neuen Jobs. Für die Autoindustrie werden zudem durch die neuen Zukunftstechnologien größere Exportmöglichkeiten erwartet. Dabei wird vergessen, dass unsere bisherigen Exportschlager – das sind die Fahrzeuge der Ober- und oberen Mittelklasse – bei den Gedankenspielen künftig nicht mehr die bisherige Rolle spielen würden und wir bei Elektrofahrzeugen wohl nicht die einzigen großen Anbieter auf den globalen Märkten wären.
Auch das Umweltministerium will mindestens 50 Prozent erreichen. Wir würden uns natürlich freuen, wenn das gelänge. Aber nach vielen Diskussionen mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus den Betrieben in unserem Automobilausschuss kann ich nur sagen: Wir sehen nicht, mit welchen – realisierbaren – Maßnahmen das in nur zwölf Jahren möglich sein soll. Selbst 30 Prozent sind schon eine riesige Herausforderung. Wir fordern alle, die sich für so ambitionierte Verringerungen der CO2-Belastungen einsetzen, auf, einmal konkret darzustellen, mit welchen Maßnahmen und Technologien sie das bis 2030 hinbekommen wollen. Dann würden wir gerne darüber diskutieren.
Hauptstreitpunkt ist die Frage, wieviel Reduktionspotenzial noch in den klassischen Verbrennungsmotoren steckt. Umweltverbände gehen davon aus, dass Fahrzeuge mit Benzin- oder Dieselantrieb deutlich über 30 Prozent beitragen können. Die EU-Kommission hat bei ihrem Vorschlag etwa 18 Prozent unterstellt. Praktisch wären dabei aber schon so viele Einzelschritte so teuer, dass die Autohersteller dann lieber gleich in die Elektromobilität investieren. Darum sehen wir leider nur ein Potenzial von zehn bis zwölf Prozent.
Aber die Umweltverbände werden nicht in eine Glaskugel geschaut haben, um zu ihren Zahlen zu kommen. Sie rechnen nicht klar vor, wie sie dazu kommen. Aber solche Ziele sind nur zu schaffen, wenn die Fahrzeuggewichte massiv sinken, und zwar um mindestens 30 Prozent, und die Motoren um bis zu 40 Prozent gedrosselt werden.
Ja, bestimmt, aber wir nicht. Denn das wäre das Aus für Autos der Ober- und oberen Mittelklasse, also für Fahrzeuge, die die Stärke der deutschen Hersteller auf den globalen Märkten ausmachen. Wenn die Golf-Klasse das obere Ende der Fahnenstange wäre, würde die Autoindustrie mit ihren mehr als 800 000 Beschäftigten das in ihrer heutigen Form nicht überleben. Allein mit Pkws der A- bis C-Klasse ist ein funktionierendes Geschäftsmodell in einem Hochlohnland nicht mehr möglich. Abgesehen davon, dass die Akzeptanz des Klimaschutzes sicher nicht steigen würde, wenn den Kunden per Gesetz vorgeschrieben wird, welche Autos sie kaufen sollen.
Wir wollen Klimaschutz und den notwendigen Beitrag der Fahrzeugindustrie dazu. Und wir wollen mit Politikern und Umweltverbänden zu gemeinsamen Zielen kommen. Aber von der Festlegung neuer CO2-Reduktionsziele hängt unendlich viel ab – für die Umwelt, die Verbraucher, die Beschäftigten und die Wirtschaft. Darum darf über sie nicht in einem politischen „Verhandlungsbasar“ entschieden werden. Die Debatte muss auf einer realistischen Grundlage geführt werden, bei der alle notwendigen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen mitbedacht werden – und die Folgen für die Beschäftigten. Darum kann ich auch der Bundesregierung nur dringend empfehlen, die Betriebsräte in der Autobranche und ihre Gewerkschaft an den Diskussionen zu beteiligen und ihr Wissen und ihre Sichtweisen zu berücksichtigen.