Die Automobilindustrie befindet sich in einem umfassenden Strukturwandel. Digitalisierung, Vernetzung, Automatisierung von Produkten und Produktion, sowie das Aufkommen neuer Mobilitätsdienstleistungen und innovativer, digitaler Geschäftsmodelle spielen eine immer größere Rolle. Wichtigster Treiber für die Veränderungen ist aber der Klimaschutz.
Die CO2- Emissionen durch Hunderte Millionen PKW und LKW tragen weltweit in erheblichem Maße zum Klimawandel bei. Daraus hat sich ein mittlerweile weltweit steigender Druck ergeben, Antriebstechnologien auf klimafreundlichere Alternativen umzustellen. So haben viele Staaten bereits Ausstiegsdaten für fossil betriebene Verbrennungsmotoren angekündigt. Auch die Europäische Kommission möchte, dass ab 2035 alle in der EU neu zugelassenen Wagen klimaneutral unterwegs sind. Und im für Deutschland wichtigsten Exportmarkt China werden ebenfalls alternative Antriebe forciert. Resultat ist ein weltweiter Trend zur Dekarbonisierung, zu alternativen Antrieben, insbesondere zur Elektrifizierung.
Deutschland hat kürzlich seine Klimaziele verschärft und sich ein neues Klimaschutzgesetz gegeben demnach soll die Bundesrepublik schon 2045 klimaneutral werden und nicht erst 2050. Auch der Weg dahin soll ambitionierter beschritten werden: Bis 2030 soll so 65 Prozent weniger CO2 emittiert werden, statt 55 Prozent wie es das „alte“ Klimaschutzgesetz vorsah. Die Bundespolitik hat beim Klimaschutz nachgebessert nachdem das Bundesverfassungsgericht im April 2021 das „alte“ deutsche Klimaschutzgesetz als in Teilen verfassungswidrig einstufte und die EU im Dezember 2020 ihre Klimaschutzziele verschärfte. Während in Deutschland die Bundespolitik also gerade die Zügel beim Klimaschutz anzog, ist es in Europa die EU-Kommission, die beim Klimaschutz aktuell mehr Tempo machen will. Sie möchte, dass Europa der erste klimaneutrale Kontinent wird. Dazu sollen die Treibhausgasemissionen in Europa bis 2030 um mindestens 55 Prozent fallen. Wie das geschehen soll, dafür hat die EU-Kommission gerade einen detaillierten Plan „Fit for 55“ vorgelegt. Dieser beinhaltet unter anderem ein Verbrennerverbot ab 2035, das durch die Hintertür kommt.
Die Regulierung zu den Flottengrenzwerten wurde erst 2019 überarbeitet. Seither gilt, dass die Automobilhersteller den CO2-Ausstoß ihrer Flotten bis 2030 um 37,5 Prozent gegenüber 2021 reduzieren müssen. Jetzt hat die EU-Kommission nachgelegt: Ab 2035 soll der CO2-Rückgang gegenüber 2021 bei 100 Prozent liegen. Im Klartext bedeutet das, alle dann neu zugelassenen Wagen müssen ohne CO2-Emissionen auskommen. Parallel gilt auf nationaler Ebene für den Verkehrssektor derzeit noch das Ziel der Bundesregierung, bis 2030 die CO2-Emissionen des Verkehrs um 40 bis 42 Prozent (gegenüber 1990) zu vermindern. Auch von diesem Ziel ist der Verkehrssektor in Deutschland bislang allerdings weit entfernt.
Viele Staaten haben Ausstiegsdaten für fossil betriebene Verbrennungsmotoren beschlossen. Dabei hat sich mit China, einer der wichtigsten Exportmärkte, politisch für Elektroautos als künftige Alternative entschieden. Aber auch auf dem deutschen und europäischen Heimatmarkt sind die verschärften CO2-Grenzwerte für die Autoindustrie bis zum Jahr 2030 beziehungsweise 2035 nur durch batterieelektrischen Antriebe, also reine batteriebetriebene Fahrzeuge und Plug-In Hybride, real zu erreichen. Um die Grenzwerte zu erreichen, müssen so bis 2030 zwischen 14 bis 16 Millionen E-Autos auf die Straße. Das heißt, der Löwenanteil der verkauften Neufahrzeuge im Jahr wird 2030 elektrisch sein.
Sowohl der direkte Einsatz von grünem Wasserstoff in der Brennstoffzelle als auch der Einsatz synthetischer Kraftstoffe in Verbrennungsmotoren – mit grünem Wasserstoff als Zwischenprodukt – können Beiträge zu einer klimaneutralen Mobilität leisten. Insbesondere da, wo der Einsatz von Batterien technologisch keine oder keine gute Option ist, bieten diese Technologien den besten Weg. Zum Beispiel bei Flug- und Schiffverkehr. Und auch im Schwerlastverkehr und Nutzfahrzeugen kann Wasserstoff eine Rolle spielen. Je leichter das Fahrzeug aber wird, desto effizienter und wirtschaftlicher ist das E-Auto. So wird der Einsatz der Brennstoffzelle im Pkw auch für die nächsten 10 bis 15 Jahre sehr zurückhaltend eingeschätzt. Prognosen gehen davon aus, dass 2040 der Anteil von Brennstoffzellen-Pkw erst bei 10 Prozent liegen wird. Ihr Beitrag zur Erreichung der Klimaziele bis 2030 im PKW-Bereich ist daher nicht relevant.
Die Nachfrage nach Batterien wird sich in den kommenden zwei bis drei Jahren verdoppeln. Erfreulicherweise – und wie von der IG Metall gefordert – sind bisher in Europa knapp 40 Batteriefabriken geplant, um die kommenden Bedarfe zu decken. Eine Herausforderung wird sein, die Versorgung mit kritischen Rohstoffen angesichts der zu erwartenden Stückzahlen im Automobilmarkt der Zukunft zu sichern. Hier schlug die Internationale Energieagentur (IEA) im Mai 2021 Alarm und Unternehmen und Politik haben noch Hausaufgaben zu erledigen. Langfristig kann das Thema Recycling für Versorgungssicherheit sorgen. So steht in Salzgitter bei VW bereits eine Pilotanlage für Batterierecycling, während die Batterieproduktion hier erst 2025 anläuft.
Eine vom Reiner Lemoine Institut für das Bundesverkehrsministerium durchgeführte Studie rechnet mit einem Bedarf von 5 bis 9 Millionen Ladepunkten an Wohnorten, rund 2,5 Millionen Ladepunkten an Arbeitsplätzen, und zwischen 450.000 und 850.000 öffentlichen Ladepunkten. Davon sind wir sehr weit entfernt. Will die Bundesrepublik 2030 wirklich mindestens 14 Millionen elektrische Fahrzeuge im Bestand haben, dann muss sich der Bau von Ladeinfrastruktur dramatisch beschleunigen, sonst bleibt der Aufbruch in die elektrische Mobilitätszukunft doch noch stecken. Hier ist die Politik gefragt. Und auch bei einem anderen Thema: Nur, wenn mit grünem Strom gefahren wird, ist Elektromobilität wirklich ein Beitrag zum Klimaschutz. So muss die Bundesregierung auch den Ausbau der erneuerbaren Energien immens anheben.
Der aus der Verkehrswende resultierende Strukturwandel birgt erhebliche Risiken für die Beschäftigung in der deutschen Automobilindustrie. Mit den neuen Technologien und Produkten ändern sich die Produktionsstrukturen und -prozesse sowie die Qualifikationsanforderungen zum Teil grundlegend. Dazu kommt: Die Elektrifizierung im Mobilitätssektor kann einen deutlichen Beschäftigungsabbau zur Folge haben. Zu diesem Schluss kommen zumindest alle derzeit bekannten und relevanten Studien zu dem Thema, wenn auch mit teils sehr unterschiedlichen Ergebnissen.
Ja. Während die Beschäftigung von 2010 bis 2018 in der deutschen Automobilindustrie um 18,9 Prozent gestiegen ist, setzte ab 2018 durch den Strukturwandel ein Beschäftigungsabbau ein. Die Folge war ein Stellenabbau in 2019 von -1,3 Prozent und 2020 von -2,6 Prozent. Dennoch gibt es auch Chancen. Neue Jobs, beispielsweise in der Batteriefertigung und im Batterierecycling, können hier entstehen, wenn die politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Den Strukturwandel zu verweigern, wurde den Tod der Industrie bedeuten. Die Produkte der Zukunft sind klimaneutral.
Die Transformation dieser Schlüsselindustrie ist für die IG Metall schon lange ein Kernthema. Damit die Autos der Zukunft in Deutschland entwickelt und produziert werden, fordert die IG Metall seit vielen Jahren eine umfassende politische Begleitung dieses Prozesses, mit Investitionen in Infrastruktur, regionaler Strukturpolitik, Qualifizierungspolitik und betrieblichen Zukunftskonzepten. Die Betriebsräte der IG Metall erzeugen Druck in ihren Unternehmen, in Richtung innovativer und klimafreundlicher Technologien und Produkte zu investieren, ihre Produktionsprozesse umzubauen, zukunftsfähige Geschäftsmodelle zu entwickeln und neue Wertschöpfungschancen zu erschließen. Die IG Metall macht dies auch in Tarifauseinandersetzungen zum Thema.
Damit Arbeitsplätze auch wirklich eine Zukunft haben, müssen Betriebe investieren, in den Standort, in neue Produkte, in Technik, in Qualifizierung. Doch Befragungen der IG Metall zeigen, dass die Hälfte der Betriebe keinen Plan für die Zukunft haben und zu wenig investieren. Mit dem aktuellen Tarifabschluss für die Metall- und Elektroindustrie kann nun die IG Metall selbst die Initiative ergreifen und den Arbeitgeber zu Gesprächen über die Zukunft auffordern.
Die Politik muss sich der Konsequenzen ihrer klimapolitischen Entscheidungen bewusstwerden und alle nötigen industrie-, struktur- und beschäftigungspolitischen Maßnahmen ergreifen, um diesen Wandel fair und erfolgreich zu gestalten. Wenn Ziele verschärft werden, dann müssen die Rahmenbedingungen für ihre Erreichung geschaffen werden. Und es muss sehr genau überlegt werden, welche Technologie für welchen Bereich die richtige ist, um die Klimaziele zu erreichen und unsere Industrie diesem Ziel gemäß erfolgreich umzubauen. „Für jeden Verkehrsträger die optimale Lösung“ lautet hier die Devise. Unterschiedliche Energieträger zum Beispiel Batterien, Kraftstoffe, Brennstoffzellen, Wasserstoff haben alle ihre spezifischen Rollen zu spielen, je nach Kosten, Verfügbarkeit, Effizienz und Nachhaltigkeit.
Auf Drängen der IG Metall hat die Politik einen „Zukunftsfonds Automobilindustrie“ mit einem Volumen von einer Milliarde Euro wurde ins Leben gerufen. Die ausgearbeiteten Förderempfehlungen des Zukunftsfonds umfassen drei Säulen: Zum einen geht es um eine konsequente „Digitalisierung in der Automobilindustrie“. In diesem Paket sind unter anderem Förderungen von Halbleiterarchitekturen, KI-basierten Komponenten, digitalen Zwillingen und Betriebssystemen versammelt. In einer zweiten Säule sind Förderungen aufgelistet, die eine nachhaltige „Stärkung der Wertschöpfungsketten der Mobilität der Zukunft“ zum Ziel haben. Hier sollen beispielsweise ein Produktionsforschungsnetzwerk für innovative, industrielle Produktionsmethoden in der Wertschöpfungskette von Brennstoffzellen oder Verfahren und Anlagen zur kreislauffähigen Produktion gefördert werden. Das dritte Paket des Zukunftsfonds hat den Schwerpunkt eines Transfer-Gesamtkonzeptes. Dabei wird mit der Förderung regionaler Transformationsnetzwerke ein Vorschlag der IG Metall aufgegriffen und mit insgesamt 200 Mio. Euro gefördert.
Für Unternehmen, deren Perspektive mit der Transformation schwinden, hat die IG Metall die Idee einer Best Owner Group (BOG) entwickelt. Dieses Beteiligungsmodell richtet sich an Zulieferer für Verbrennungsmotortechnik. Die Idee einer Best Owner Group sieht folgendermaßen aus: Mit den Mitteln eines Eigenkapital-Fonds wird ein Zulieferunternehmen, das sich aufgrund seines Portfolios zwangläufig perspektivisch verkleinern wird und bei dem Alternativen wie Weiterentwicklung im Konzern etc. nicht realisiert werden können, mehrheitlich übernommen und bis zum Auslaufen der nicht erneuerbaren Produkte aktiv gemanagt. Der Personalabbau kann durch die noch lange Laufzeit entsprechend der Altersstruktur der Beschäftigten gut und sozialverträglich geplant werden. Beschäftigte können außerdem über einen längeren Zeitraum im Rahmen – gegebenenfalls auch innerhalb der Cluster regional organisierter – qualifizierter Personalplanungsprozesse für zukunftsfähige Tätigkeiten qualifiziert werden.
Umfassende Informationen zu den aktuellen Konsequenzen der verschärften EU-Klimaziele für Antriebe, Technologien und Beschäftigung bekommst du im Expertenpapier der IG Metall:
Fit for 55 – Expertenpapier der IG Metall zur Treibhausgas-Reduktion (PDF, 28 Seiten, 6,28 MB)