Berlin litt jahrelang an einem Schwund der Industriesubstanz. Verlagerungen und Beschäftigungsabbau waren bittere Realität. Die Schließung von traditionsreichen Firmen wie Otis oder CNH waren schmerzhafte Etappen in einer schleichenden Deindustrialisierung. Anfang der 2000er Jahre begriffen Politik und Unternehmen, dass Berlin als reine Dienstleistungsmetropole keine Zukunft hat. IG Metall und DGB fanden endlich Gehör mit ihrer Forderung nach einer aktiven Industriepolitik.
Industrie und Dienstleistung sind nämlich keine Gegensätze. Mehr Industrie auf einem hohen technischen Niveau bringt eine Wertschöpfung, die wiederum hochwertige Dienstleistungen nach sich zieht. Um das zu erreichen, wurde 2006 das Industrienetzwerk Berliner Metall- und Elektroindustrie gestartet. Die Initiative dazu ging von der Berliner IG Metall aus. Im Rahmen dieses Projekts wurden unter anderem zwei Netzwerkmanager eingestellt. Der IG Metall ging es darum, dass Arbeitsplätze in der Industrie gehalten und neue geschaffen wurden. Nach und nach rückten die Chancen für Industriebetriebe wieder ins Blickfeld. Strategische Bereiche wie Forschung und Entwicklung, Engineering und Vertrieb wurden neu angegliedert.
Das führte in den Unternehmen dazu, dass deutlich mehr Beschäftigte eingestellt wurden. So holte Siemens den weltweiten Gasturbinen-Service und -Vertrieb ins Berliner Werk. Auch das Projekt „Neue Wachstumschancen für Berlin“ zielte auf eine Stärkung der Industrie als Motor der Wirtschaftsentwicklung. Dabei geht es weniger um Neuansiedlungen als vielmehr um gezielte Unterstützung der Innovationskraft vorhandener Konzernbetriebe.
Wie kaum ein anderer Ballungsraum setzt Berlin heute auf die Energie-Technik. In Berlin gibt es rund 350 Unternehmen in energierelevanten Bereichen, 70 Prozent davon in produzierenden Betrieben. Unternehmen entwickeln und produzieren Energienetze und -speicher, Turbomaschinen, Kraftwerkstechnik, Schalttechnik und Messtechnik, Energieeffizienztechnologien, Solarenergie und E-Mobilität. Berlin als Energy City lautet das Schlagwort, das eine Weiterentwicklung der Industrie in Berlin beflügeln wird. Industriepolitik ist heute kein Fremdwort mehr in Berlin. Allerdings bleibt noch viel zu tun, um den weiteren Ausbau der Industrie zu fördern.
Einen ähnlichen Ausgangspunkt hatte Düsseldorf. Die Stadt hatte sich von einem Zentrum der Schwerindustrie zum „Schreibtisch des Ruhrgebiets“ gewandelt. Mit fatalen Folgen für die Industriebeschäftigten. Die IG Metall Düsseldorf rückte den Kampf gegen den massiven Abbau von Industriearbeitsplätzen in den Mittelpunkt und warnte davor, nur auf Dienstleistungen zu setzen. Düsseldorf brauche den richtigen Branchenmix statt nur Messe, Medien und Mode. Zunächst wurde die IG Metall für solche Kassandrarufe belächelt. Industrie galt als „old fashioned“. Die Ignoranz gipfelte in Planspiele, den Industriehafen in eine Yuppiemeile mit Luxuswohnungen und Yachtclub umzugestalten. Tausende Industriearbeitsplätze wären durch einen Umzug bedroht gewesen. Auf Druck von Gewerkschaften und Industrieunternehmen nahmen die Stadtplaner von diesen Visionen wieder Abstand. Die Blaupause für eine Wohn- und Freizeitmeile der Superlative verschwand in der Versenkung.
Heute gibt es ein breites Bündnis und einen Masterplan für Industrie. Eine beeindruckende Zukunftsinvestition der Firma Pierburg sind sichtbare Ergebnisse dieses Engagements. An der Hafenmole 1 hat die Firma Pierburg eine neue Ventilefabrik und eine moderne Gießerei errichtet. Grundlage ist der Ergänzungstarifvertrag zwischen Pierburg und der IG Metall. Darin verpflichtet sich das Unternehmen, seinen Standort in Düsseldorf-Neuss auszubauen. Verbindlich zugesagt sind darin Projekte und eine Beschäftigungssicherung bis 2022. Mit dieser Vereinbarung wurde seit Jahrzehnten erstmals eine neue industrielle Großinvestition in der Region realisiert. 1500 Beschäftigte haben dadurch einen Arbeitsplatz mit Zukunftsperspektive.
Ein weiteres Beispiel dafür, dass Dienstleistungen allein keinen Ballungsraum wirtschaftlich vital erhalten, ist Frankfurt. Die Stadt am Main ist mehr als eine Bankenmetropole. Auch hier war es das Ziel der IG Metall, die Industrie der Region langfristig zu stärken. Vor der Finanzkrise 2008 wurde Industrie in Frankfurt eher als störend betrachtet. Das änderte sich schlagartig während der Finanzkrise. Man besann sich darauf, dass Frankfurt bis Anfang der 80er Jahre ein starker Industriestandort mit VDM, Triumph Adler, Jade und Höchst AG war.
Exemplarisch für ein Umdenken war der erfolgreiche Kampf der IG Metall um den Erhalt des Standorts Karben von Continental. Im Dialog mit den politischen Entscheidern gelang es den Gewerkschaften, Industriepolitik in der Stadt und Region zu einem öffentlichen Thema zu machen. Die Industrie trägt heute 34 Prozent zum Steueraufkommen der Stadt Frankfurt bei. Die Gewerkschaften konnten dabei auch klar machen, dass Industriearbeitsplätze mit gutem Einkommen verbunden sind – ganz im Gegensatz zu schlecht bezahlten Jobs bei Dienstleistungen und Logistik.
Industriepolitik, die es schafft, industrielle Arbeitsplätze zu erhalten und vielleicht sogar aufzubauen, ist eine entscheidende Stellschraube, um eine Region für die Zukunft zu rüsten. Das inzwischen enge Bündnis zwischen Stadt, Gewerkschaft und Arbeitgeberverband hat Früchte getragen.