19. Februar 2019
Gastbeitrag von Wolfgang Lemb
Planwirtschaft? Nein, Altmaiers Strategie ist klug
Kritiker haben das Grundsatzpapier des Wirtschaftsministers zur Industriepolitik vorschnell als „Planwirtschaft“ abgekanzelt. Die reine Marktlehre hilft gegen China jedoch nicht, schreibt der geschäftsführende IG-Metall-Vorstand.

Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst staatlicher Industriepolitik. Glaubt man den wirtschaftsliberalen Kritikern von Peter Altmaiers „Nationaler Industriestrategie 2030“, die am vergangenen Dienstag vorgestellt wurde, rief der Wirtschaftsminister damit zum Systemsturz auf.

Lars Feld aus dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nennt die Industriestrategie „eine Förderungs-, Subventions- und Regulierungskulisse, die erschreckender kaum sein könnte“. Sie sei „bestenfalls französische Wirtschaftstradition, schlechterdings Planwirtschaft“. War es das also mit der Marktwirtschaft in Deutschland?

Es hätte Lars Feld ganz gutgetan, sich mit einer Stellungnahme einige Tage zurückzuhalten und sich in aller Ruhe die veröffentlichte Industriestrategie zu Gemüte zu führen. Vielleicht wäre ihm dann aufgefallen, dass die Einführung des Staatskapitalismus in Deutschland sicher nicht gemeint ist. In weiten Teilen liest sich das Papier nämlich eher (noch) als theoretischer Debattenaufschlag denn als ausformulierte industriepolitische Strategie.

Grundsätzlich muss man aber Altmaier für diesen Aufschlag loben. Lange Zeit scheute sich die Bundespolitik, die Debatte um eine staatliche Industriepolitik offensiv voranzutreiben, trotz zahlreicher Forderungen aus Wissenschaft und Gewerkschaften, sich angesichts der Bedeutung der Industrie für Wohlstand und Arbeitsplätze im Rahmen einer industriepolitischen Gesamtstrategie strategisch für den Erhalt der industriellen Wertschöpfungsketten einzusetzen.

Die nun im Industriepapier formulierte Zielsetzung, bis 2030 einen Industrieanteil von 25 Prozent zu erreichen, ist natürlich zunächst einmal symbolische Willensbekundung. Sie macht aber deutlich, dass Deutschland angesichts der zukünftigen Herausforderungen nicht den Anspruch verloren hat, alles dafür zu tun, dass industrielle Wertschöpfung und Industriearbeitsplätze auch im digitalen und dekarbonisierten Deutschland von morgen eine Zukunft haben.

Die Frage liegt daher, wie so oft, nicht darin, „ob“, sondern „wie“ der Weg dorthin zu gestalten ist. So fällt es schwer, in Zeiten von Rekorddividenden bei verhaltenen Investitionsquoten der Erzählung von Investitionen durch Abgaben- und Steuersenkungen noch Glauben zu schenken. Und wer öffentliche Investitionen in Qualifizierung von Beschäftigten und eine zukunftsfeste Infrastruktur zugunsten von Steuersenkungen eine Absage erteilt, hat die Grundlagen guter Industriepolitik nicht begriffen.

Viele kluge und wichtige Ansätze greift das Papier dort auf, wo es tatsächlich um industriepolitische Ansatzpunkte geht. Größere industriepolitische und beihilferechtliche Spielräume innerhalb der EU, Möglichkeit der Fusionen zu europäischen Champions in kritischen Schlüsselindustrien, Beteiligungsmöglichkeiten des Staates zur Verhinderung kritischer Übernahmeangebote oder die aktive Unterstützung von Konsortien in zukünftigen Schlüsselindustrien (z.B. Batteriezellfertigung) sind angesichts der aggressiven Industriepolitik Chinas oder der USA ein Gebot der Stunde.

Auch die Definition von wegweisenden Schlüsselindustrien, vom Maschinen- und Anlagenbau, der Automobilindustrie über den GreenTech-Sektor bis zum 3-D-Druck, war lange Zeit überfällig.

Dagegen scheinen Kritiker wie Lars Feld, die auf das alleinige Dogma des Marktes setzen, als würden sie die Entwicklungen chinesischer Direktinvestitionen, amerikanischer Plattformdominanz, die gescheiterte Fusion von Alstom und Siemens oder die deutsche Herausforderung der Elektromobilität schlicht ignorieren.

Sicher, man kann auch im Schatten von Industrieruinen noch die Fahne der reinen Marktlehre hochhalten. Ob Deutschland sich 2030 dann noch zu den Gewinnern des industriellen Strukturwandels zählt, steht allerdings zu bezweifeln.


Dieser Gastbeitrag erschien am 19. Februar 2019 auf welt.de und am 20. Februar 2019 in der Hauptausgabe von DIE WELT.


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