22. September 2015
IAA: Elektroautos, Digitalisierung und automatisiertes Fahren
Wandel mit den Beschäftigten gestalten
Die Digitalisierung stellt die Automobilunternehmen und Belegschaften vor große Herausforderungen. Wie es gelingen kann, den technischen Vorsprung von Google und Apple aufzuholen und weiter die besten Autos zu bauen, stand im Fokus des Symposiums von IG Metall und VDA auf der IAA.

Die zentralen Themen auf der diesjährigen Internationalen Automobilausstellung sind Elektroantrieb, Vernetzung und automatisiertes Fahren. Mit 29 verschiedenen Elektroautos ist Deutschland der Leitanbieter. Bis Ende des Jahrzehnts, so das Ziel der Bundesregierung, sollen eine Million Elektroautos auf Deutschlands Straßen fahren. Bislang allerdings ist der Anteil von Elektroautos hierzulande noch immer sehr bescheiden.

Elektrisch, vernetzt und automatisiert – wo geht die Reise hin für die deutsche Automobilindustrie? Darüber diskutierten auf der IAA (v.l.) Jörg Hofmann, Zweiter Vorsitzender der IG Metall, Continental-Vorstandsvorsitzender Elmar Degenhart, Detlef Wetzel, Erster Vorsitzender der IG Metall, VW-Betriebsratsvorsitzender Bernd Osterloh, Tom Kirschbaum vom Deutschen Start-Up-Verband, Daimler-Vorstandsvorsitzender Dieter Zetsche, Moderatorin Birgit Priemer und VDA-Präsident Matthias Wissmann. Foto: Bianka Huber


Der Erste Vorsitzende der IG Metall, Detlef Wetzel forderte gemeinsam mit dem VDA-Präsidenten Matthias Wissmann von der Politik jetzt ein entschiedenes Handeln. Die Voraussetzungen für einen Leitmarkt Deutschland müssten rasch und entschlossen ergriffen werden, sonst werde das Vorhaben scheitern. „Nun ist es vor allem wichtig, dass der Staat starke Anreize setzt, damit Elektroautos auf die Straße kommen“, betonte Detlef Wetzel auf dem gemeinsamen Symposium auf der Internationalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt vor zahlreichen hochrangigen Gästen aus Wirtschaft und Gewerkschaft.

Markthochlauf verbessern

Notwendig seien unter anderem steuerliche Impulse, die den Markthochlauf unterstützen. Gleichzeitig müsse die Ladeinfrastruktur wachsen. „Wir fordern ein Sofortprogramm für 10 000 Ladesäulen“, erklärte Wetzel. Staat und private Wirtschaft sollten dafür jeweils 50 Millionen Euro investieren. Etwa 20 000 Entwickler arbeiteten in der deutschen Automobilindustrie an Fragen der Digitalisierung. Mit der Qualifizierung der Beschäftigten stehe und falle der Erfolg auf diesem Weg.


EU-Kommissar Oettinger skizzierte die Perspektiven für einen digitalen Binnenmarkt. Nach dem Motto „lieber Schlaglöcher als Funklöcher“ forderte er einen raschen Netzausbau und eine Verbesserung der Netzqualität. „Die gesamte Wertschöpfungskette wird sich unter den Bedingungen fortschreitender Digitalisierung transformieren“, so Oettinger. „Wir brauchen deshalb grenzüberschreitenden, funklochfreien Datenverkehr.“ Wenn in Zukunft mehr und mehr das Internet ins Auto gelange, Fahrzeuge miteinander kommunizieren könnten, sei mit einer Explosion des Datenvolumens zu rechnen, deren Menge die bisherige Kapazität sprenge.

Die Verwertung der Daten bietet ein riesiges Wertschöpfungspotenzial – und genau hier liegen die Chancen wie die Risiken für die Automobilindustrie. „Google und Apple wollen die Mobilitätsdaten, weil diese sehr viel wert sind“, sagte Oettinger. Gut sei es deshalb, wenn deutsche Hersteller, wie es gerade Mercedes, Audi und BMW beim Kauf der Nokia-Sparte Here vorgemacht haben, miteinander kooperieren, um die Abhängigkeit vom Silicon-Valley zu verringern. Die deutschen Autobauer dürften nicht zu „Hardware-Zulieferern“ für amerikanische Technikunternehmen werden.

Akzeptanz neuer Technologien erhöhen

Das will auch Bernd Osterloh verhindern. Der Betriebsratsvorsitzende von VW erwartet von der fortschreitenden Digitalisierung mehr positive als negative Beschäftigungseffekte. Allerdings müssten die Kräfte im Unternehmen gebündelt werden. „Wir werden zusätzliche Arbeitsplätze bekommen, besonders gesucht sind Entwicklungsingenieure“, sagte Osterloh. „Wir brauchen aber auch Softwareentwickler, die etwas von Digitalisierung verstehen. Und denen müssen wir Freiräume geben, damit sie kreative Ideen entwickeln können.“ Deshalb habe VW in München ein „Data Lab“ eröffnet. Junge IT-Spezialisten arbeiten hier an Schlüsseltechnologien, die für den Konzern unverzichtbar sind.

Von einem tiefgreifenden Wandel der gesamten Branche, der mit fortschreitender Digitalisierung einhergehe, sprach auch Dieter Zetsche. „Die Digitalisierung transformiert unser Unternehmen zutiefst“, so der Daimler-Chef. Selbstfahrende Autos seien keine Zukunftsvision mehr, miteinander kommunizierende Fahrzeuge keine Science-Fiction. Die Digitalisierung werde aber nicht nur Auswirkung auf die Produkte, also die Fahrzeuge und deren Fähigkeiten haben, sondern auch auf die Produktionsweise im Unternehmen und die Arbeit vor Ort im Betrieb verändern. Auf der einen Seite erfordere Digitalisierung Geschwindigkeit, auf der anderen Seite strebe Daimler nach Perfektion. „Diese beiden verschiedenen Kulturen müssen wir zusammenbringen.“

Beschäftigte stärker einbinden

Dass dies nicht auf dem Rücken der Beschäftigten geschehen dürfe, betonte Detlef Wetzel. Bei dem jetzt stattfindenden Transformationsprozess sei es ungeheuer wichtig, die Menschen einzubeziehen und mitzunehmen, so der Erste Vorsitzende der IG Metall. „Wir haben Digitalisierung lange Zeit ausschließlich technikzentriert diskutiert“, so Wetzel. „Wir müssen aber auch die sozioökonomische Dimension mitbedenken.“ Die sozialen Auswirkungen der Digitalisierung dürften nicht gering geschätzt werden, die Änderungen von Tätigkeiten, Anforderungen und Arbeitsprozessen müssten im Sinne der Beschäftigten gestaltet werden.

Das sieht Jörg Hofmann ganz genauso. In seinem Schlusswort betonte der Zweite Vorsitzende der IG Metall, dass die deutsche Automobilindustrie derzeit gut aufgestellt sei. Durch hohe Innovationsfähigkeit, gute ausgebildete Beschäftigte und vernetzte industrielle Cluster sei Deutschland international führend. Die Branche könne sich nur selbst ein Bein stellen, wenn wenn es darum gehe diese Erfolgsgeschichte fortzusetzen. Die Herausforderungen seien offensichtlich: Die Geschäftsmodelle ändern sich. Die Innovationsgeschwindigkeit steige. Die digitale und die Verkehrs-Infrastruktur in Europa müssen standardisiert und ausgebaut werden. Nicht zuletzt seien gemeinsame Anstrengungen für einen wirksamen Datenschutz wichtig. Fakt sei, dass fortschreitende Digitalisierung „große strukturelle Umbrüche“ schaffe. Die wichtigste Aufgabe sei deshalb, für eine gute Qualifizierung der Beschäftigten zu sorgen. „Wir müssen den digitalen Vorsprung von Google und Apple aufholen, um weiterhin die besten Autos zu bauen“, sagte Hofmann.


Unterwegs in eine neue Dimension (21.9.2015)

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