Wir haben uns die wichtigsten öffentlichen Bereiche angesehen: Straßen, Schienen, Schulen, Gebäude, Energienetze. Dann haben wir untersucht, welche Investitionen nötig sind, um den vorhandenen Investitionsstau aufzulösen und Wirtschaft und Gesellschaft zukunftsfähig zu machen. 2019 haben wir das schon einmal berechnet. Damals sind wir auf 460 Milliarden Euro gekommen. Aber seitdem ist vieles schwieriger geworden: Zum Beispiel sind die Baukosten stark gestiegen. Es gab aber auch Fortschritte, etwa beim Kitaausbau und beim Bau von Breitbandleitungen für schnelles Internet.
Die größten Posten sind: die kommunale Infrastruktur, also die Sanierung des Straßen- und Schienennetzes sowie der Schulen, und der Ausbau des ÖPNV. Dazu kommt die Förderung von Klimaschutz- und Energiesparmaßnahmen – also zum Beispiel Zuschüsse für Hausbesitzer, die ihr Gebäude dämmen wollen, um Heizkosten zu sparen. Auch der Ausbau eines Leitungsnetzes für Wasserstoff fällt unter diesen Punkt.
Dass sich öffentliche Investitionen rentieren, wissen wir aus vielen Studien. Beispiel Autobahn: Wenn eine kaputte Brücke ersetzt wird, dann verschwindet der ständige Stau. Die Menschen kommen schneller zur Arbeit. Lieferanten und Monteure kommen schneller zu ihren Kunden. Das steigert die Produktivität. Anderes Beispiel: Investitionen in Bildung haben eine sehr hohe Rendite, weil die Menschen später höher qualifizierte Arbeit ausüben können und dann ebenfalls produktiver sind. Mit zusätzlichen Investitionen schaffen wir eine zukunftsfähige Wirtschaft, Lebenschancen, Perspektiven. Man kann sagen: Geld auszugeben lohnt sich!
Es nutzt ihnen ganz direkt im Alltag: Sie kommen schneller zur Arbeit. Oder sie können auch mal mit der Bahn zur Arbeit fahren, weil die nicht mehr ständig zu spät kommt oder ganz ausfällt. Die Kinder wiederum gehen in eine Schule, in der es nicht mehr durchs Dach regnet. Außerdem sichern die vorgeschlagenen Investitionen Arbeitsplätze. Weil sie zum Beispiel Energiekosten stabilisieren, unter denen Industriebetriebe heute leiden.
Am besten wäre, diese Investitionen von der Schuldenbremse auszunehmen. Das wäre die sogenannte Goldene Regel: Schulden sind in Ordnung, solange mit dem geliehenen Geld in die Zukunft investiert wird. Damit wäre auch die häufig zu hörende Kritik entkräftet, dass neue Schulden angeblich nur für zusätzlichen Konsum verfrühstückt werden. Die Goldene Regel folgt derselben Logik, die auch in Unternehmen angewendet wird. Kaum ein Unternehmen ist vollständig schuldenfrei. Man investiert – auch mit Fremdkapital – und bekommt dafür etwas zurück.
Schulden sind nicht automatisch gut oder schlecht. Es kommt darauf an, wofür das Geld eingesetzt wird. Wenn ich mit Kredit ein Haus baue, das ich später an meine Kinder vererbe, dann belastet das die Kinder in der Zukunft nicht. Im Gegenteil: Sie besitzen dann ein Haus. Wenn ich auf Pump nach Mallorca fliege, vererbe ich nichts. Solche Schulden sollte man tatsächlich nicht vererben. Noch ein Beispiel: Wenn meine Eltern nicht in meine Ausbildung investiert hätten, dann hätte ich heute ein viel geringeres Einkommen. Grundsätzlich gilt: Unterlassene Investitionen sind für die Jüngeren viel schlimmer als etwas höhere Schulden. Wenn man Investitionen unterlässt, deren Rendite über den Kreditkosten liegt, dann ist das wirtschaftlich unklug.
Über die Kreditwürdigkeit eines Staates entscheidet die sogenannte Schuldenquote – also die Staatsverschuldung im Vergleich zur Wirtschaftsleistung. Diese Quote wäre mit den vorgeschlagenen Investitionen Mitte des Jahrhunderts sogar niedriger als ohne ein solches Programm. Warum? Weil die Investitionen das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Das zusätzliche Wachstum relativiert die Schuldenquote. Deutschland ist aktuell das einzige G-7-Land mit einem so niedrigen Schuldenstand. Es gibt also Spielraum. Viele Institutionen drängen Deutschland zu höheren öffentlichen Investitionen: die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD), der Internationale Währungsfonds, sogar die Bundesbank. Die Welt hat sich seit der Einführung der Schuldenbremse radikal verändert. Also sollten wir unser Verhalten ändern. Wir treffen heute Entscheidungen, die später nicht mehr korrigierbar sind.
Das funktioniert nicht. Viele Ausgaben sind gesetzlich festgeschrieben. Durch Umschichten oder Kürzen an anderer Stelle kämen wir nie auf die nötigen Summen. Solche Argumente sind Nebelkerzen.
Ich wäre kein Gegner solcher Maßnahmen. Aber für einen zukunftsfähigen Staat brauchen wir höhere Einnahmen.
Dann sinkt die Lebensqualität, die Unzufriedenheit steigt, der Wirtschaftsstandort Deutschland leidet. Unternehmen sehen die deutsche Infrastruktur zunehmend als negativen Standortfaktor. Dabei galt gute Infrastruktur lange als großer Pluspunkt für Deutschland. Unternehmen fordern das ein, sonst investieren sie nicht. Ein Beispiel: Der schwedische Batteriehersteller Northvolt will für seine geplante Fabrik in Schleswig-Holstein unbedingt einen guten Bahnanschluss. Ähnlich war es bei Tesla in Grünheide.
Das geht bis in die 90er-Jahre zurück. Damals gab es Haushaltsprobleme. Also haben Politiker überlegt, wo man sparen kann. Bei der Infrastruktur kann man relativ leicht kürzen, weil es nicht sofort sichtbar ist. Das hat mit kurzfristigem Denken zu tun, dem Denken in Wahlperioden. Aber wer so denkt und bei der Infrastruktur kürzt, der verspielt die Zukunft. Die Ironie dabei: Die Schuldenbremse wurde auch damit begründet, kurzfristiges Denken bei den Staatsausgaben zu bekämpfen. Nun sorgt sie dafür, dass kurzfristig gehandelt wird – indem der Staat zu wenig investiert. Die Schuldenbremse ins Grundgesetz zu schreiben war der Urfehler.
Mittelfristig wird sich die Haltung durchsetzen, dass wir mehr investieren müssen. Und dann findet sich auch ein Weg.
Sebastian Dullien ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Er leitet das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung.