Murat Yürük wünscht sich eine feste Stelle, in der er sein Wissen und seine Erfahrungen als angelernter Schweißer einbringen kann – und dafür auch anständig bezahlt wird. Dafür hätte er gern einen Berufsabschluss. Valentina Bocchetti und Peter Hohmann wollen sich beruflich weiterentwickeln. Sie will Technikerin werden, er studiert Maschinenbau. Roman Huljina, gelernter Energieelektroniker, Meister und Betriebswirt, studiert Unternehmensführung. Vier Menschen, vier verschiedene Berufswege, vier unterschiedliche Ziele.
Es gibt viele Gründe, warum Berufstätige sich qualifizieren wollen – oder müssen. Die einen zwingt der Verlust ihres bisherigen Jobs zur Umschulung. Andere müssen es tun, um den Anschluss in ihrem Beruf nicht zu verlieren. Wieder andere erhoffen sich sichere Arbeit mit langfristigen Perspektiven. Manche sehnen sich nach anspruchsvolleren Tätigkeiten. Einige wollen mehr Geld verdienen und aufsteigen. Und nicht wenige finden die Aussicht verlockend, nicht das ganze Leben bis zur Rente immer denselben Beruf auszuüben, sondern mal etwas anderes machen zu können.
Was auch immer die Gründe sind: Wenn Beschäftigte sich weiterbilden, tun sie nicht nur sich selbst etwas Gutes. Auch die Unternehmen profitieren davon. Oft müssen Belegschaften weiterlernen, um mit technischen Veränderungen Schritt halten zu können. Zunehmend suchen Betriebe aber auch qualifiziertes Personal. Die Bundesregierung geht davon aus, dass bis 2025 sechs Millionen Fachkräfte fehlen. Nach einer Umfrage des Instituts Forsa gelingt es schon jetzt in fast der Hälfte der kleinen Betriebe nicht, für freie Stellen die richtige Fachkraft zu finden. Von den Großunternehmen haben schon mehr als 60 Prozent solche Probleme.
Firmenleitungen erkennen zunehmend, dass sie für ihren Fachkräftebedarf etwas tun müssen. Doch erst jeder zweite Betrieb kümmert sich um die Qualifizierung seiner Beschäftigten, ermittelte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Die Ausgaben für Weiterbildung steigen zwar, liegen aber innerhalb der Europäischen Union immer noch unter dem Durchschnitt.
Immerhin: Jeder dritte Beschäftigte hat sich 2012 weitergebildet. Die meisten von ihnen sind jedoch Männer und Frauen, die schon ziemlich gut qualifiziert sind. Diese Erkenntnis des IAB deckt sich mit den Ergebnissen der Beschäftigtenbefragung der IG Metall. Sie zeigte zudem: Fast alle wollen sich weiterbilden und finden das auch sehr wichtig für ihre berufliche Zukunft, viele können es aber nicht. Weil sie nicht die Zeit haben, neben der Arbeit zu lernen oder zu studieren. Oder weil sie es sich finanziell nicht leisten können.
Und wenn sie es doch tun und für ihre Weiterbildung ihre knappe Freizeit opfern und Geld investieren, stellt sich die Frage: Ist es eigentlich okay, dass sie ganz allein dafür aufkommen? Wenn das Unternehmen doch auch einen Nutzen davon hat? Die IG Metall findet das nicht. Und darum diskutieren IG Metall-Mitglieder zurzeit darüber, dass die Unternehmen Bildungsteilzeit anbieten sollten. Die Idee: Beschäftigte können sich zeitweise von der Arbeit freistellen lassen, und in dieser Zeit stockt ihr Arbeitgeber das Teilzeitentgelt auf – ähnlich wie bei der Altersteilzeit. Dieser Lösungsvorschlag könnte eine Forderung in der nächsten Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie werden.
Dass das machbar ist, zeigen einige regionale Tarifverträge der IG Metall und betriebliche Regelungen. Sie ermöglichen es, Beschäftigte für eine mehrjährige Weiterbildung oder ein Studium freizustellen. Dass auch Entgelt weiter gezahlt wird, ist jedoch die Ausnahme.
Und schließlich bleibt die Frage: Wer entscheidet über Weiterbildung? Einen individuellen Anspruch darauf haben die Beschäftigten bislang nicht. Genau dafür setzt sich die IG Metall Jugend bereits seit einigen Monaten mit ihrer Kampagne „Revolution Bildung“ ein: Zeit und Geld für Weiterbildung für alle. Gerade junge Menschen fühlen sich ausgebremst. Das hat eine Umfrage in Betrieben Anfang des Jahres ergeben.
Die IG Metall Jugend fordert Regelungen, die allen Beschäftigten ein Recht auf Weiterbildung garantieren: zum einen in Tarifverträgen. Zum anderen per Gesetz: eine Reform des Berufsbildungsgesetzes, eine neue Studienförderung, die das bisherige vom Einkommen der Eltern abhängige BAföG ersetzt, sowie ein komplett neues Weiterbildungsgesetz. Dafür machen die jungen Metallerinnen und Metaller Dampf in den Betrieben und auf den Straßen.
Ein vorläufiger Höhepunkt der „Revolution Bildung“ ist der Jugendaktionstag am 27. September in Köln, wo Tausende junge Beschäftigte, Azubis und Studierende demonstrieren wollen. Nach der Demo steht ein Festival in der Kölner Lanxess-Arena auf dem Programm, mit Musik von Marteria, Bosse und Iries Révoltés.
Als Vorgruppe spielt eine Amateurband, über die bis zum 15. September abgestimmt werden kann. Die Tickets für den Jugendaktionstag gibt es für zehn Euro bei der IG Metall vor Ort. Nach Köln geht es dann gemeinsam mit Bussen.
Jugendaktionstag am 27. September in Köln Bildung braucht jeder: Vier Beispiele aus der Praxis Metall-Tarifrunde 2015: Bildungsteilzeit könnte eine qualitative Forderung sein Qualitative Forderungen zur Metall-Tarifrunde: Interview mit Jörg Hofmann Metall-Tarifrunde 2015: IG Metall-Vorstand empfiehlt qualitative Forderungen Bildung – damit es nach oben geht Arbeiten, leben, lieben und lachen – Interview mit Jörg Hofmann