Murat Yürük, Schweißer
Murat Yürük hat in seinen Jobs Erfahrung gesammelt. Aber was ihm fehlt, ist die Anerkennung durch einen Berufsabschluss.
„Ich habe 15 Jahre Erfahrung als Metallbauschlosser – in Bezug auf Vielseitigkeit und Flexibilität wahrscheinlich sogar mehr als viele andere“, sagt Murat Yürük. Nur als ein Meister ihm mal empfahl, sich auf eine feste Facharbeiterstelle zu bewerben, bekam er sie nicht. Ihm fehlte die formale Voraussetzung: der Gesellenbrief. Nach der Hauptschule hatte Yürük eine Ausbildung zum Kfz- Mechaniker abgebrochen. Heute bereut er das. Denn lange führte der Bremerhavener ein Nomadenleben, wechselte von Stadt zu Stadt, Anlernjob zu Anlernjob, von einer Firma zur nächsten. Seit dem Abbruch seiner Ausbildung arbeitet er meistens als Schweißer und repariert Schiffe. Im vergangenen Jahr fragte ein Berufsberater, ob Murat nicht einen Berufsabschluss nachholen wollte. Er war dafür. Dann hätte er vielleicht Chancen auf eine gut bezahlte Stelle mit sicheren, langfristigen Perspektiven.
Das hoffte er jedenfalls. Konstruktionsmechaniker für Schiffsbautechnik – das wäre das Richtige für ihn. Tests zeigten aber: Praxis gut, Theorie mangelhaft. Er hätte viel Zeit in Unterricht investieren müssen. „Ich hätte mich dafür entscheiden müssen, zwei Jahre von Hartz IV zu leben, statt zu arbeiten. Das konnte ich schon deshalb nicht, weil meine Freundin schwanger war.“ Er sagte ab, auch wenn es ihm nicht leichtfiel. Wie bisher arbeitet er als angelernter Schweißer.
36 Jahre ist er alt. Wie es weitergeht, weiß er nicht. „Ich lebe nicht besonders anspruchsvoll, aber in meinem Alter möchte man einen bestimmten Lebensstandard halten“, sagt er.
Einen Berufsabschluss zu haben findet Murat Yürük immer noch wichtig für die berufliche Zukunft. „Aber wer sich qualifiziert, muss finanziell abgesichert sein. Sonst geht das nicht.“
_____________________________________________________________________
Valentina Bocchetti, Fertigungsmechanikerin
Valentina Bocchetti würde sich gern abends nach der Arbeit zur Technikerin weiterbilden. Doch ihr Arbeitgeber will das nicht.
Valentina Bocchetti würde sich gerne zur Technikerin weiterbilden. Abends, nach der Arbeit, auf eigene Kosten. Maximaler Einsatz von ihr, minimaler Aufwand für ihren Arbeitgeber, die Motorenfabrik Deutz in Köln. Eigentlich. Und dennoch sagt ihr Arbeitgeber: Nein. Da Valentina im Schichtbetrieb Motoren fertigt, also auch abends und nachts, wird es nichts mit der Weiterbildung.
„Ich habe angefragt, ob ich die nächsten vier Jahre Frühschicht arbeiten könnte – aber das macht die Firma nicht“, erzählt die 23-jährige Fertigungsmechanikerin. Vielen ihrer jungen Kollegen geht es ebenso. Sie wollen sich weiterbilden, aber der Arbeitgeber sperrt sich. Obwohl unter den Beschäftigten einige sind, die ihre Ausbildung sogar als Jahrgangsbeste in ganz Nordrhein-Westfalen abgeschlossen haben.
„Dabei brauchen wir dringend Techniker“, kritisiert Valentina Bocchetti. „Warum also unterstützt uns unser Betrieb nicht ein wenig bei unserer Weiterbildung? “
Viele Beschäftigte haben sich beschwert – und immerhin: Der Arbeitgeber hat eingesehen, dass er etwas tun muss. Der Betriebsrat ist gerade in Verhandlungen über eine Regelung eingetreten. Sechs junge Ausgebildete haben nun bereits eine Weiterbildung zum Meister, Techniker oder gar ein Studium begonnen.
Doch Valentina, die auch Jugend- und Auszubildendenvertreterin bei Deutz ist, will mehr: „Unser Ziel ist eine Regelung, die allen Beschäftigten die Chance auf Weiterbildung sichern soll, auch denen, die in Wechselschicht arbeiten. Schließlich bringt das auch der Firma etwas: die dringend benötigten Fachkräfte.“
_____________________________________________________________________
Peter Hohmannm, Maschinenbaustudent
Für sein Studium musste Peter Hohmann seinen festen Job bei Leica kündigen. Obwohl er danach sowieso wieder zurückwill.
Um zu studieren, kündigte Peter Hohmann seinen festen Vertrag beim Mikroskophersteller Leica Microsystems in Wetzlar. Eigentlich wäre er gerne dort geblieben, da er nach seinem Maschinenbau-Studium (Schwerpunkt Mikrotechnik/Optik) ohnehin wieder zurück will. Ursprünglich sollte das ganz anders laufen, als er vor ein paar Jahren bei Leica angefangen hat: Nach seiner Ausbildung sollte er ein duales Studium dranhängen, bei dem sich Theorie an der Hochschule und Praxis im Betrieb abwechseln.Während des dualen Studiums zahlt der Betrieb eine Ausbildungsvergütung.
„Das war eigentlich schon seit meiner Einstellung geplant“, erzählt Peter. „Doch kurz bevor das Studium starten sollte, hat die Fachhochschule Gießen den dualen Studiengang gestrichen.“
Pech gehabt. Bei Leica gibt es keinerlei Regelung, die Beschäftigte zum Studieren freistellt. Peter Hohmann blieb schließlich keine andere Wahl, alszu kündigen. Ohne Sicherheit, ohn Recht auf Rückkehr, ohne Geld.
Seinem Betrieb macht Peter Hohmann keine Vorwürfe. In den Ferien kann er bei Leica arbeiten und Geld verdienen. „Trotzdem wäre es besser, wir hätten eine Regelung, nach der wir zum Studieren bezahlt freigestellt werden können. Schließlich hat die Firma ja auch etwas davon.“
__________________________________________________________
Roman Huljina, Techniker und Student
Roman Huljina hat Hunderte Stunden Freizeit und viel eigenes Geld investiert, um seine beruflichen Chancen zu verbessern.
„Ich bin der lebende Beweis, dass man sich auch ohne Abitur weiterentwickeln kann“, sagt Roman Huljina. Der 36-jährige Münchner startete seinen Berufsweg nach der Hauptschule mit einer Ausbildung zum Energieelektroniker, machte danach den Meister im Elektrohandwerk, bildete sich zum Betriebswirt weiter und studiert jetzt an der Hochschule München Unternehmensführung. Ziel: Bachelor of Arts. Nur ein einziges Mal hat ihn ein Arbeitgeber unterstützt: Beim Meisterkurs wurde er für einen zweiwöchigen Vollzeitkurs freigestellt. Alles andere lief nebenberuflich, abends und an den Wochenenden. Allein die Weiterbildung zum Betriebswirt verschlang rund 500 Stunden Zeit. Das Ganze kostete ihn auch eine ordentliche Stange Geld: 10 000 Euro der Meister, 2500 Euro der Betriebswirt. Fürs Studium muss er – nur noch – 111 Euro Semesterbeitrag zahlen.
„Es ist eine harte Zeit“, sagt Huljina. „Man muss einen eisernen Willen haben. Und eine Partnerin, die Verständnis aufbringt. “ So jemand ist seine Frau. Nachwuchs haben die beiden (noch) nicht. Mit Kindern hätte er kaum so viel Zeit und Geld in seine Bildung investieren können. Warum macht er das alles?
Eine Antwort darauf geben die Erfahrungen, die Huljina in seinen ersten Berufsjahren machte: schlechte Jobs auf Werkvertragsbasis, erlebte Heuern-und-Feuern-Situationen und eine Kündigung. Er ist überzeugt: „Bildung bringt mehr Sicherheit und Perspektiven. “ Aber das ist es nicht allein. „Sie eröffnet Chancen, mal etwas anderes machen zu können – und natürlich auch: aufzusteigen.“
Außerdem steige die Motivation, wenn man sich beruflich weiterentwickeln könne. Und davon profitiere auch der Betrieb, findet Huljina. „Die Firmen sollten sich an den Kursgebühren beteiligen und von der Arbeit freistellen. Weiterbildung ist doch eine Winwin- Situation für beide Seiten.“
Bildung braucht jeder: Vier Beispiele aus der Praxis Metall-Tarifrunde 2015: Bildungsteilzeit könnte eine qualitative Forderung sein Qualitative Forderungen zur Metall-Tarifrunde: Interview mit Jörg Hofmann Metall-Tarifrunde 2015: IG Metall-Vorstand empfiehlt qualitative Forderungen Bildung – damit es nach oben geht Arbeiten, leben, lieben und lachen – Interview mit Jörg Hofmann