23. November 2016
Interview mit Arbeitsrechtler Thomas Klebe
„Schlechte Arbeitsbedingungen sind keine Privatsache“
Die Anzahl der Crowdworker steigt stetig. Meist sind die Netzarbeiter gegenüber ihren Auftraggebern in einer rechtlich schwachen Position und werden dazu noch schlecht bezahlt. Das übt Druck auf reguläre Beschäftigungsverhältnisse aus. Lässt sich an der Situation gemeinsam etwas verbessern?

Arbeitsrechtler Thomas Klebe im Interview

Crowdsourcing-Plattformen fungieren als Arbeitsbörsen. Allerdings nicht für feste Beschäftigung. Arbeitgeberinnen schreiben auf Internet-Plattformen wie „Clickworker“, „Freelancer“ oder Amazons „Mechanical Turk“ einzelne Tätigkeiten wie Programmierarbeiten aus, um die sich selbstständige Crowdworker bewerben. Manchmal als Nebenjob, für viele ist die Arbeit aber auch zur Haupteinnahmequelle geworden. Viele der kostengünstigen Netzarbeiter sind gegenüber ihren Auftraggeberinnen in einer rechtlich schwachen Position. Arbeitsbedingungen und Bezahlung stehen immer wieder in der Kritik. Wie lässt sich mehr Fairness erreichen? Wir haben mit Thomas Klebe gesprochen, Leitung des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht in Frankfurt am Main und Rechtsanwalt in der Kanzlei Apitzsch/Schmidt/Klebe.


Stimmt es, dass das Arbeitsrecht für Crowdworker nicht gilt?

Thomas Klebe: Das kommt darauf an. Das sogenannte interne Crowdsourcing läuft über firmeneigene Plattformen. Die Crowdworker sind und bleiben in diesem Fall normale Beschäftigte mit allen Arbeitnehmerrechten. Bei externem Crowdsourcing ist das anders. Dabei werden die Crowdworker bisher als Selbstständige, als Unternehmer, behandelt und fallen nicht einmal unter den Schutz des Heimarbeitsgesetzes, obwohl sie im Einzelfall durchaus auch ArbeitnehmerInnen sein können


Wie bekommen das die externen Crowdworker zu spüren?

Beispielsweise haben sie keinen Kündigungsschutz, erhalten im Krankheitsfall keine Entgeltfortzahlung und haben keinen Schutz durch Betriebsräte. Für freiberuflich arbeitende Spezialisten mit hohem Einkommen ist das vielleicht kein Problem. Aber für die große Mehrheit der Crowdworker eben schon. Außerdem sind sie häufig nicht sozialversichert.


Worauf können sich Crowdworker im Streitfall berufen?

Rechtliche Grundlage sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der jeweiligen Plattform. Allerdings sind die AGB mancher Plattformen mit Blick auf die Arbeitnehmerrechte, insbesondere außerhalb Deutschlands, extrem unfair formuliert. Sollte das der Fall sein, und der Betreiber der Plattform hat seinen Geschäftssitz in Deutschland, dann greift das BGB (Anmerk. Red.: Bürgerliches Gesetzbuch) und nach dem sind solche Klauseln rechtswidrig. Bei ausländischen Plattformen müssen schon gravierende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht oder gröbste Benachteiligungen vorliegen, um etwas in der Hand zu haben.


Was müssen Beschäftigte beachten, wenn sie als Crowdworker arbeiten möchten?

Zuerst einmal sollten sie sich die AGB genau durchlesen. Wenn sie nebenberuflich als Crowdworker arbeiten, müssen sie zudem aufpassen, dass sie keine Betriebsgeheimnisse ihres Hauptarbeitgebers preisgeben. Und sie müssen die Nebentätigkeit ihrem Hauptarbeitgeber mitteilen, wenn ihr Arbeitsvertrag das vorsieht. Hauptberufliche Crowdworker ohne festen Arbeitgeber sollten sich zum Beispiel auch Gedanken machen, ob sie ausreichend versichert sind.


Bei manchen Ausschreibungen wird nur der „Gewinner“ bezahlt. Der, der nach Ansicht des Auftraggebers die beste Arbeit abgeliefert hat, die anderen gehen leer aus. Ist das rechtens?

Meiner Meinung nach ist das nach deutschem Recht unwirksam. Das ist ja nicht wie bei anderen Ausschreibungen, bei denen Selbstständige erste Entwürfe oder Angebote einreichen und der Auftraggeber sucht sich dann das seiner Meinung nach beste raus. Die Crowdworker verrichten in diesen Fällen die komplette Arbeit, bekommen dann aber nichts dafür. Betroffene können prüfen lassen, ob sie eine Vergütung einklagen. Es gibt hierzu allerdings noch keine Gerichtsentscheidungen.


Wie ließe sich die Lage der Crowdworker verbessern?

Die IG Metall hat kürzlich die Internet-Plattform faircrowdwork ins Leben gerufen. Dort können sich Crowdworker beraten lassen, vernetzen und ihre Auftraggeber bewerten, wie es etwa um deren Zahlungsmoral bestellt ist. Ein Juristenteam hat auch die AGB einer Reihe von Plattformen gecheckt und die Ergebnisse dort veröffentlicht. Mit all dem können die Crowdworker hoffentlich bald eine Gegenmacht aufbauen. Zudem können sie seit 2015 auch Mitglied der IG Metall mit allen entsprechenden Vorteilen werden. Vielleicht wird es ihnen gemeinsam mit der Gewerkschaft dadurch auch möglich, mit den Plattformen über bessere Arbeitsbedingungen zu verhandeln. Darüber hinaus hat die IG Metall einen internationalen Dialog mit anderen Gewerkschaften zu dem Thema begonnen und auch eine Diskussion mit einer Reihe deutscher Plattformen, wie „gute Arbeit“ bei Crowdwork sichergestellt werden kann, wie korrekte AGBs aussehen und wie ein Code of Conduct, eine Selbstverpflichtung der Plattformen, die Crowdworker fair zu behandeln.


Was können Politik und Gesetzgeber tun?

Kurzfristig könnten die Gerichte für Verbesserungen sorgen, in dem sie die Plattform-Betreiber zu faireren AGB verpflichten. Auch wenn der Arbeitsort zuhause ist, und nicht in einem Betrieb, haben die Crowdworker häufig ein Schutzbedürfnis wie alle Arbeitnehmer. Das bedeutet, dass die Sozialversicherungen sich ihnen wenigstens in Teilen öffnen sollten. Diesen Vorschlag hat auch Andrea Nahles aufgegriffen. Außerdem müsste ein Mindestlohn her und für die Crowdworker das Heimarbeitsgesetz gelten. Wenn sie hauptsächlich für einen Arbeitgeber arbeiten, dann muss für sie auch das Betriebsverfassungsgesetz gelten. Das wären zukunftsweisende Verbesserungen, würden sich auch Politik und Gesetzgeber intensiver mit dem Thema auseinandersetzen.


Greift der gesetzliche Mindestlohn bei ihnen denn nicht?

Nach momentanem Stand nicht, da der Mindestlohn nur für Arbeitnehmer gilt, nicht aber für Selbstständige und Crowdworker, die zurzeit noch überwiegend als Selbstständige eingeordnet werden. Aber da ist noch nichts in Stein gemeißelt. In den USA versuchen Crowdworker, den Mindestlohn einzuklagen. Wenn die Gerichte zu ihren Gunsten entscheiden, wird das sicherlich entsprechenden Initiativen hierzulande Rückenwind geben. Man muss sich mal bewusst machen: Auf Amazons Crowdworking-Plattform Mechanical Turk liegt der Stundenlohn im Durchschnitt bei 1,25 Dollar. Und 66 Prozent der Crowdworker dort geben an, dass diese Arbeit ihre Haupteinnahmequelle sei. Das ist einerseits unzumutbar für die jeweiligen Crowdworker. Andererseits sind solch schlechte Arbeitsbedingungen keine Privatsache. Denn dadurch geraten andere Crowdworker und auch die in einem Arbeitsverhältnis Beschäftigten stark unter Druck.


Was können Gewerkschaften und Betriebsräte darüber hinaus tun?

Gewerkschaften können Druck auf die Politik ausüben, damit diese die genannten Verbesserungen auf den Weg bringt. Betriebsräte sollten ihre Informations- und Beratungsrechte intensiv wahrnehmen. Nur so erfahren sie, was in ihrem Unternehmen alles passiert. Es ist nämlich nicht immer leicht ersichtlich, welche Arbeiten wie rausgegeben werden. Außerdem können sie und ihre Gewerkschaft wie bei Leiharbeit und Werkverträgen versuchen, mit den Arbeitgebern, die Arbeiten auf diese Weise fremdvergeben, Mindestbedingungen für externe Crowdworker auszuhandeln. Bei internem Crowdsourcing haben die Betriebsräte weitreichende Mitbestimmungsrechte, die sie wahrnehmen müssen.


Was glaubst Du, wie stehen die Chancen, dass sich die Position der Crowdworker gegenüber den Auftraggebern verbessern wird?

Da bin ich optimistisch. Es ist schon Einiges in Bewegung – die Plattform faircrowdwork ist da ein gutes Beispiel für. Und ich sehe ehrlich gesagt auch keine Alternative zu den genannten Verbesserungen und dem Aufbau einer Gegenmacht. Denn wenn nichts passiert, besteht die Gefahr, dass solch extrem prekären Arbeitsverhältnisse zum Normalzustand, zum digitalen Normalarbeitsverhältnis, werden.


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