Auch in der Welt der Engineering- und IT-Experten hat sich eine Kluft aufgetan. Da sind die Stammbelegschaften. Sie verdienen faire Entgelte, haben Planungssicherheit und tariflich geregelte Arbeitsbedingungen. Ihre Kolleginnen und Kollegen bei Entwicklungsdienstleitern müssen auf all dies noch zu oft verzichten. Dabei kann es echte Innovationen auf Dauer nur mit Respekt und Wertschätzung geben.
„High Quality und Low Cost – das passt nicht zusammen“, sagte Christiane Benner heute in München. Zur Eröffnung der „7. Engineering- und IT-Tagung“, die die Hans-Böckler-Stiftung in Kooperation mit der IG Metall veranstaltet, gibt die Zweite Vorsitzende der Gewerkschaft einen Ausblick, welche Herausforderungen die IG Metall in den kommenden Jahren anpacken wird. Im Fokus der Tagung stehen Crowdwork, Smart Services, Mobilarbeit, Automatisierung – kurz: die Digitalisierung der Arbeitswelt. Noch bis morgen diskutieren mehr als 300 technische Expertinnen und Experten sowie Gewerkschafter aus über 100 Unternehmen beim diesjährigen Gastgeber BMW keine geringere Frage als: Wo bleibt der Mensch im digitalen Unternehmen?
Christiane Benner – Mitschnitt der kompletten Rede
Aber der Reihe nach. Zunächst, anlässlich des „verflixten siebten Jahres“, zog Christiane Benner Resümee: Wo steht die IG Metall mit ihren Engineering- und IT-Aktivitäten? Diese Frage kann teilweise mit einem Blick in die Mitgliederstatistik beantwortet werden. 152 000 technische Expertinnen und Experten gehören inzwischen der IG Metall an. Ein Plus von 23 Prozent im Vergleich zur ersten Engineering- und IT-Tagung im Jahr 2008. Darüber hinaus hat die IG Metall 36 000 Studierende unter ihren Mitgliedern. Vier Mal so viele wie noch vor sieben Jahren. Das sei ein Erfolg, sagte Benner – und zugleich ein deutliches Zeichen, dass eine bessere Arbeitswelt dringend nötig sei. Die dafür bewährte Devise der Gewerkschaft laute: Gegenwehr – und gleichzeitig Gestaltung.
Wie das gehen kann, wie sich gute Arbeitsbedingungen gemeinsam gestaltet lassen, dafür nannte die gebürtige Aachenerin zahlreiche Beispiele:
Etwa bei BMW, dem Gastgeber der Tagung, haben Beschäftigte und Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zur Mobilarbeit durchgesetzt. Grund: Mittels Notebook, Tablet oder Smartphone kann von fast überall aus gearbeitet werden. Das bietet den Beschäftigten viele Chancen – kann von Arbeitgebern aber auch ausgenutzt werden beziehungsweise zu ständiger Erreichbarkeit führen. Die Betriebsvereinbarung setzt dem klare Grenzen und gibt den Beschäftigten ein Stück verdiente Souveränität zurück. „Flexibilität darf zu keiner Flatrate führen“, sagte Benner. Ähnliche Vereinbarungen gibt es inzwischen bei zahlreichen anderen Unternehmen. Immerhin reicht wohl kein anderes Element der Digitalisierung bereits heute so weit in das Privatleben vieler Menschen, wie das mobile Arbeiten.
Ein anderes Beispiel: Mit dem Unternehmen Atos hat die IG Metall 2013 den bundesweit ersten gültigen Flächentarifvertrag in der IT-Dienstleistungsbranche abgeschlossen. Das sei gelungen, sagte Benner, weil die Gewerkschaft den Beschäftigten zugehört und sie beteiligt hat. „Wir regeln Arbeitsbedingungen nicht für die Beschäftigten, wir gestalten sie gemeinsam mit ihnen.“
So auch beim Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen. Dort haben sich Betriebsrat und Beschäftigte eingeschaltet, als der Arbeitgeber die Büroarbeit nach dem Modell des Lean Office „schlanker“ machen wollte. „Es ist nichts dagegen zu sagen, stupide Arbeitsprozesse zu optimieren“, stellte Benner klar. Die Beschäftigten bei ZF hätten aber die richtigen Fragen gestellt: Führen die frei werdenden Ressourcen zu Personalabbau und Arbeitsverdichtung? Oder werden sie als Spielräume für Innovationen genutzt? Gemeinsam konnten Angestellte und Betriebsrat Letzteres auf den Weg bringen.
Zum 1. Mai hat die IG Metall die Plattform www.faircrowdwork.org ins Netz gestellt. Dort können sich sogenannte Crowdworker vernetzen, ihre Arbeitsplattformen bewerten und sich beraten lassen. „Damit setzen wir einer fatalen Entwicklung etwas entgegen: Dass einseitig gestaltbare AGB die guten alten Arbeitsverträge ersetzen“, sagte die studierte Soziologin.
Beim Nokia-Kartendienst Here, den Audi, BMW und Daimler übernommen haben, hat die IG Metall jüngst die erste Betriebsratswahl begleitet. 71 Prozent der Beschäftigten beteiligten sich. Benner: „Die traditionsreiche deutsche IG Metall in einem jungen englischsprachigen Unternehmen: Das war und das ist für beide Seiten spannend.“
Der Titel der Engineering- und IT-Tagung 2014 lautete: Eine andere digitale Welt ist möglich. „Jetzt setzen wir um!“, sagte Benner. „Keine Arbeit im Engineering- und IT-Bereich ohne Standards!“ Herausforderung Entwicklungsdienstleister Das soll auch für die Beschäftigten der angesprochenen Entwicklungsdienstleister (EDL) gelten. „Dieser Bereich gehört neben der ITK-Branche zu unseren größten Herausforderungen“, betonte die Zweite Vorsitzende. Die Zahl der Arbeitnehmer in der EDL-Branche ist zwischen 2010 und 2014 um 52 Prozent gestiegen. Damit sind in Deutschland bei den 76 Unternehmen dieses Zweigs inzwischen rund 94 000 Menschen angestellt.
Dabei muss klargestellt sein: Die IG Metall hat nichts dagegen, dass Unternehmen spezielle Forschungs- und Entwicklungsaufgaben über sogenannte Werkverträge nach außen an Fremdfirmen vergeben. Das Zusammenspiel von Industrie und spezialisierten Entwicklungsdienstleistern kann für die Branche eine Bereicherung sein – wenn die Bedingungen stimmen.
Doch da ist der Knackpunkt. Mit dem Wachstum der Branche geht ein steigender Missbrauch von Werkverträgen einher. Davor sind auch Ingenieurinnen und Ingenieure nicht gewappnet, wie eine große Betriebsrätebefragung der IG Metall zeigt. „In 73 Prozent der Fälle stellen Betriebsräte fest: Für die Beschäftigten in Werkvertragsunternehmen sind die Arbeits- und Entgeltbedingungen überwiegend schlechter“, zitierte Benner eines der Umfrageergebnisse. Zu oft ist die Motivation für die Beauftragung von Entwicklungsdienstleistern schlicht Kostenersparnis. Zulasten der Beschäftigten.
Seit dieser Woche liegt ein Gesetzesvorschlag zur Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen vor. Doch dieser Entwurf sieht lediglich mehr Informationsrechte für Betriebsräte vor. „Betriebsräte sollen künftig zusehen können bei Lohndumping und Auslagerung. Aber mitbestimmen und gestalten dürfen, das sollen sie nicht“, bemängelte Benner. „Das heißt nur eines: Wir müssen weiter Druck machen.“
Jedoch werde sich die IG Metall nicht darauf beschränken, die aktuelle Entwicklung zu beklagen. Vorbild in der EDL-Branche könne der Entwicklungsdienstleister IAV sein, bei dem Mitbestimmung seit jeher großgeschrieben wird. Die rund 6500 Beschäftigten der VW-Tochter haben Betriebsräte gewählt – und einen Haustarifvertrag durchgesetzt.
Letzterer sichert unter anderem eine faire Entgeltentwicklung. Jüngst ist ein Tarifvertrag für Studierende, Praktikanten und Doktoranden hinzugekommen. Der wirksamste Kampf gegen den Missbrauch von Werkverträgen sei der Kampf um Tarifverträge und Tarifbindung, sagte Christiane Benner vor den 300 technischen Expertinnen und Experten der Engineering- und IT-Tagung – und stellt klar: „Wir sind bereit für diesen Kampf!“