Am Anfang wussten sie nicht genau, was das ist, welche Auswirkungen es hat: Arbeiten in einer „Schwarmorganisation“? Arbeiten mit „agilen Methoden“? „Wir sind an Grenzen gestoßen“, sagt Bernd Öhrler, Betriebsrat in der Daimler Konzernzentrale. „Wir wussten nicht, was auf uns zukommt.“ Sie wussten aber, dass sie sich dieser neuen Arbeitsform nicht verschließen wollten. Dass sie sie gestalten wollten, um die Chancen für die Beschäftigten zu sichern. Das ist gelungen.
Seit April 2017 gibt es eine Gesamtbetriebsvereinbarung beim Stuttgarter Autobauer, die agiles Arbeiten in einem Schwarm regelt. Und auch definiert, was das denn überhaupt ist, ein Schwarm. Was man sich darunter vorstellen soll, unter agilem Arbeiten.
Ein schnelles, wendiges, ein hübsch klingendes Wort. Es bedeutet so viel wie flink sein, sich flexibel und schnell auf neue Situationen einstellen. Für Unternehmen war das schon immer wichtig. In Zeiten fortschreitender Digitalisierung aber, in denen völlig neue Produkte und neue Dienstleistungen entstehen, in denen Märkte zunehmend dynamisch werden und Kundenwünsche instabil, sind flexible, kurzfristige Reaktionen auf veränderte Rahmenbedingungen überlebenswichtig. Unternehmen setzen deshalb verstärkt auf Agilität.
„Agilität ist eine Arbeitsmethode, die ursprünglich aus der Softwareentwicklung kommt“, sagt Bernd Öhrler. Agiles Arbeiten bedeutet: Ein Projekt, ein Produkt wird in kleinen Schritten entwickelt, von sich selbst organisierenden, aus unterschiedlichen Bereichen zusammengesetzten Teams. Kontinuierliches Feedback ist dabei elementar. Richtig umgesetzt kann agiles Arbeiten attraktiv sein. Es kann zu mehr Selbstbestimmung führen, schnellere Erfolgserlebnisse bringen.
„Erste Projekte gab es bei uns Anfang 2016“, sagt Bernd Öhrler. Beschäftigte aus dem Marketing und der IT-Abteilung wurden zu einem Schwarm organisiert, die Kollegen sollten digitale Produkte entwickeln, die auch nach dem Verkauf eines Fahrzeugs wirken. „Agile Methoden können kreative Lösungen begünstigen“, sagt der 49-Jährige. „Aber es braucht gute Regelungen.“ Die wurden geschaffen – der Gesamtbetriebsrat war dabei die treibende Kraft.
Die Vereinbarung regelt die Grundzüge zur Einrichtung und Umsetzung von sogenannten „Kurzzeitschwärmen“. Eine Schwarmzelle besteht demnach aus fünf bis zwölf Mitgliedern, sie existiert mindestens vier Wochen und maximal zwölf Monate. In diesem Zeitraum arbeiten die Beschäftigten in ihr. Allerdings: Während ihres Einsatzes in der Schwarmzelle bleiben die Kolleginnen und Kollegen formal ihren bisherigen Strukturen zugeordnet. „Die Anbindung an den Vorgesetzten bleibt bestehen“, sagt Bernd Öhrler. „Eristweiterfür die Leistungsbeurteilung, Vergütungs- sowie Personalentwicklung und die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes zuständig.“
Ebenso wichtig ist, dass die Beschäftigten nur dann in einer Schwarmzelle arbeiten, wenn sie es freiwillig wollen. Wird dieses Prinzip im Einzelfall nicht umgesetzt, hat der Betroffene das Recht, den Betriebsrat einzuschalten – der dann intervenieren kann. „Nicht jeder Kollege fühlt sich in einer Schwarmzelle wohl, das ist auch gar nicht schlimm. Alle aber, die agil arbeiten, brauchen Qualifikation.“
Auch das haben sie bei Daimler geregelt: Sogenannte „Agile Coaches“ begleiten die Mitglieder einer Schwarmzelle. Sie informieren über agile Vorgehensmodelle wie „Scrum“, bei dem ein Produkt in kurzen „Sprints“ realisiert wird. Sie klären über die verschiedenen Rollen innerhalb einer Schwarmzelle auf. Sie geben Anregungen, wie die Eigenverantwortlichkeit der Teams gestärktwerden kann. Am Ende jedes Einsatzes werden die Arbeitsbelastung und die Arbeitszufriedenheit abgefragt. Das Feedback ist wichtig: Es fließt in die Arbeit der Coaches ein, es zeigt, welche Auswirkungen Schwarmarbeit hat und wo noch Regelungsbedarf besteht.
Den gibt es. „Wir haben viele positive Rückmeldungen“, sagt Bernd Öhrler. „Wenn Teams aber nicht genügend Ressourcen besitzen, wenn sie nicht ausreichend qualifiziert sind oder keine Entscheidungshoheit haben, wird es schwer.“ Schließlich dürfe agiles Arbeiten nicht zur Leistungsverdichtung führen – sowohl für den Beschäftigten im Schwarm, als auch für die Kollegen in dessen ursprünglicher Abteilung. Bei Daimler haben sie deshalb Mitbestimmungsrechte bei der Kapazitätsplanung festgeschrieben. „Entstehende Kapazitätslücken müssen notfalls mit zusätzlichem Personal ausgeglichen werden“, sagt Öhrler.
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