Die Bundesregierung setzt bei ihren Klimaschutzmaßnahmen auf einen CO2-Preis und will die Elektrifizierung des Verkehrs mit einer höheren Kaufprämie voranbringen. Für IG-Metall-Chef Jörg Hofmann fehlt im Klimapaket aber ein entscheidender Punkt: Ein Fahrplan zur Umsetzung der Energiewende. Nur mit ihr könne Klimaschutz gelingen, sagt er im Interview mit unserer Zeitung. Er fordert, dass die Bürger die Veränderungen mittragen – und ihre „Aber bitte nicht vor meiner Haustür“-Haltung aufgeben.
Mich interessiert vor allem: Hat eine solche Bepreisung irgendeine positive Wirkung für das Klima und sind die Lasten des Klimaschutzes gerecht verteilt? Die Industrie sieht die Beschlüsse dazu weitgehend entspannt, denn die Kosten des Emissionshandels wird sie bis zur Zapfsäule oder Heizölrechnung weitergeben. Eine Lenkungswirkung ist bei dieser Bepreisung kaum vorhanden. Sie trifft aber Menschen mit geringem Einkommen stärker, da dort der Anteil der Ausgaben für Sprit und Heizöl relativ höher ist als bei hohen Haushaltseinkommen. Das ist sozial ungerecht. Bei den Klimaschutzanforderungen der EU, etwa für die Flottenziele zur CO2-Einsparung der Automobilindustrie, sieht das anders aus. Wenn die Hersteller die Vorgaben nicht einhalten, drohen ihnen hohe Strafzahlungen. Und die Ziele sind anspruchsvoll. Die Hersteller müssen bis 2030 die Hälfte der neu zugelassenen Fahrzeuge in Deutschland mit alternativem Antrieb ausstatten.
Auch ein höherer Preis hat nur Wirkung, wenn wir Alternativen zum Pkw wie einen vergleichbar günstigen Nahverkehr in der Stadt und auf dem Lande hätten. Faktisch ist es aber so, dass auf dem Land ÖPNV eher ein Fremdwort als eine Alternative ist.
Wir brauchen deswegen ein zusätzliches Finanzierungsvolumen für die Infrastruktur, etwa für den Schienenverkehr. Wir als Gewerkschaft sind der Auffassung, dass ein Preis, der jeden gleich trifft, nicht das Mittel der Wahl ist, sondern dass die stärkeren Schultern in der Gesellschaft mehr tragen müssen als die schwächeren.
Eine Anhebung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer, eine Erhöhung der Erbschaftsteuer oder die Wiedererhebung der Vermögensteuer sind deutlich geeignetere Mittel, um ein Finanzierungsvolumen für notwendige Infrastrukturmaßnahmen aufzubringen, als ein CO2-Preis, der wie eine indirekte Steuer wirkt und alle gleich trifft.
Die Kaufprämie kann zum Klimaschutz beitragen. Aber die Prämie alleine nützt nichts, wenn wir keine Ladeinfrastruktur haben. Deshalb ist für mich die Verpflichtung zum flächenweiten Ausbau der Ladein-frastruktur der größere Fortschritt im Klimapaket. Auch die darin enthaltende Erkenntnis, dass wir uns dabei nicht auf den Markt verlassen können, sondern zur Not das Ordnungsrecht dafür sorgen muss, dass neben der Zapfsäule auch eine Schnellladestation bereitgestellt wird. Allein marktwirtschaftlich können wir Infrastruktur nicht organisieren.
Die Autobauer sollen sich sehr wohl daran beteiligen. Aber bei einer rein marktwirtschaftlichen Steuerung haben wir – wie gesagt – dort Ladesäulen, wo eine große Abnahme erwartet wird. Ländliche Gebiete bleiben erst einmal lange außen vor.
Zunächst einmal darf man sich die Welt da nicht schönreden: Elektromobilität kostet Beschäftigung. Wir rechnen damit, dass bundesweit ungefähr 110.000 Arbeitsplätze verloren gehen. Vorausgesetzt ist dabei, dass die Komponenten, die wir für Elektromobilität brauchen, auch an den Standorten gefertigt werden, an denen heute Verbrennertechnologie hergestellt wird. Wenn in den nächsten Jahren die geburtenstarken Jahrgänge in die Rente gehen, wird das Problem abgemildert. Aber auch die demografische Entwicklung wird einen Arbeitsplatzverlust nicht immer verhindern können.
Volkswagen geht den Weg, beispielsweise die Batteriezelle in Salzgitter zu produzieren. Leider nehmen einige andere Autobauer und Zulieferer einen anderen. So haben wir gerade erlebt, auch bei einem Konzern mit Sitz in Niedersachsen – Continental –, dass die erste Reaktion auf den Wandel die Forderung nach Standortschließung und Personalabbau war.
Jeder einzelne Arbeitgeber muss sich darüber Gedanken machen, welche Perspektiven die Standorte in der Transformation haben. Die Arbeitgeber sind in der Verantwortung, den Belegschaften zu sagen, wo die Fahrt hingeht. Wird in Standorte investiert? Welche Auswirkung hat das auf Beschäftigung und Qualifikation? Das fordern wir als IG Metall ein. Wir drängen gerade in kleinen und mittelständischen Betrieben Arbeitgeber dazu, sich auf den Wandel einzustellen und rechtzeitig zu handeln, bevor die bisherigen Geschäftsmodelle nicht mehr funktionieren.
Das stellen wir leider in der Breite fest. Zur Erstellung unseres „Transformationsatlas“ haben wir in mehr als 2000 Betriebe genau hineingeleuchtet und nach dem Stand der Transformation gefragt. Mit Erschrecken mussten wir feststellen, dass jeder zweite Betrieb einen maximalen Planungshorizont für die nächsten ein bis zwei Jahre hat. Das ist lächerlich, wenn ich mir den Wandel anschaue, der vor uns liegt. Letztendlich muss sich ein Unternehmer fragen, wo er 2030 stehen will. Die Parameter sind recht sicher, jedes zweite Auto wird elektrisch sein.
Fridays for Future hat einen riesigen Beitrag zur Sensibilisierung beim Thema Klimaschutz geleistet. Ich finde es sehr beachtenswert, wie viele junge Leute sich dafür engagieren, dass sich die Gesellschaft der Frage stellt, welche Perspektive haben die Erde und ihre Bewohner, wenn nicht gerade die Industrienationen in der Klimapolitik umsteuern? Fridays for Future benennt das Problem richtig und macht deutlich, wie dringlich es ist. In der Frage, wie es zu lösen ist, haben wir andere Antworten oder andere Zeitpläne vor Augen.
Zum Beispiel bei der Forderung, schon bis 2035 klimaneutral zu sein. Das würde bedeuten, dass wir bis dahin das Stahlwerk in Salzgitter abstellen müssten und die Volkswagen-Werke hier in der Region leer liefen. Wir haben eine klare Verpflichtung, die Pariser Klimaziele einzuhalten, die bis 2050 eine CO2-Neutralität verlangen. Das ist erreichbar. Bei einer weiteren Beschleunigung würden aber Ökologie und Soziales auseinanderbrechen. Klimaschutz wird dann mit Arbeitslosigkeit und Standortschließung übersetzt. Das ist der größte Bärendienst, den man der Ökologie erweisen kann. Wenn sich diese Übersetzungsformal in die Gehirne frisst, dann hat Klimaschutz keine Perspektive mehr.
Wie schnell das passieren kann, haben wir vor zwei Jahren in den USA erlebt. Damals hat US-Präsident Trump mit dem Argument der Arbeitsplatzsicherheit und dem Slogan „America first“ durchsetzen können, dass die USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen austreten – ohne große gesellschaftliche Probleme wohlgemerkt. Deswegen ist der beste Klimaschutz immer der, der Ökologie und Soziales miteinander denkt.
Nein, im Gegenteil. Deutschland hat eine hochinnovative Industrie und qualifizierte Beschäftigte – welches andere Industrieland soll es sonst schaffen, beides zu verbinden? Wenn wir nicht den Beweis liefern, dass sich Klimaschutz, Wohlstand und Beschäftigung gegenseitig nicht ausschließen, welchen Anlass hätten dann Menschen in ärmeren Teilen des Globus Klimaschutz positiv zu sehen?
Hardliner wie der brasilianische Präsident Bolsonaro behaupten doch heute erfolgreich, dass sich Klimaschutz gegen die Interessen und den kleinen Wohlstand der eigenen Bürger richtet. Zu gerne glauben sie ihm deshalb, dass der Klimawandel eine Schimäre ist. Wenn wir es also nicht schaffen, diesen vermeintlichen Widerspruch aufzulösen, dann hat es für den globalen Klimadiskurs enorme Auswirkungen.
Wenn wir in Europa und Deutschland weiterhin Stahl produzieren wollen und nicht möchten, dass die Produktion dorthin abwandert, wo die Umweltauflagen niedriger und die Arbeitsbedingungen in der Regel schlechter sind, dann muss uns klar sein: Die Umstellung auf Wasserstoff wird jedes Stahlunternehmen Milliarden an Investitionsvolumen kosten. Da ist auch noch viel Forschungsarbeit notwendig, wir brauchen grünen Strom in enormer Menge, und dies ist nach betriebswirtschaftlichen Kriterien nicht schulterbar. Deswegen braucht es staatliche Förderung.
Üblicherweise entsteht Innovationsdruck über den Markt. Beim Klimaschutz kommt der Druck aus der gesellschaftlichen Verantwortung. Deshalb ist die Gesellschaft meiner Meinung nach auch in der besonderen Verantwortung – anders als bei klassischen Innovationen – die Voraussetzung zu schaffen, dass der Wandel auch zu stemmen ist.
Natürlich, weil die ökologische Legitimation eines E-Autos, das mit Braunkohlestrom fährt, nicht allzu groß ist. Beim heutigen Strommix ist es klimafreundlicher, einen Verbrenner, Benziner oder Diesel zu fahren. Und das ist auch ein Schwachpunkt des Klimapakets: Die gegenseitige Abhängigkeit von Energieerzeugung und Mobilität in der Klimapolitik bleibt vollkommen unterbelichtet. Die zentralen Fragen der Energiewende, etwa wann die Stromtrassen kommen, die wir brauchen, um Windkraft von Nord nach Süd zu bringen, bleiben leider weiter unbeantwortet. Das ist aus meiner Sicht der größte Kritikpunkt. Das Thema Energiewende wurde keinen Schritt weitergedacht.
Das Wichtigste wäre, dass sich der Föderalstaat zusammenrauft und entscheidet, welche Stromtrassen wo gelegt werden. Erst solche klaren Ausbauziele lassen den Ausbau der Offshore-Windenergie überhaupt attraktiv werden.
Es ist vollkommen obskur, dass gerade Zehntausende Arbeitsplätze in der Windkraft abgebaut werden, obwohl wir ganz genau wissen, dass wir mehr regenerative Energien brauchen. Die Jobs fallen weg, weil keiner mehr investiert, da unklar ist, wohin der produzierte Strom überhaupt hinfließen kann. Das heißt auch für uns Bürger, dass wir uns die Frage stellen müssen, ob Klimaschutz nur dann attraktiv ist, wenn er an meinem Vorgarten vorbeigeht. Es ist doch auch die Einsicht notwendig, dass wir Infrastruktur wie neue Stromtrassen oder mehr Schienen eben brauchen. Heute haben wir aber Planungsvorläufe und Widerstände zu überwinden, die Jahrzehnte dauern. Das ist nichts, was den Klimaschutz nach vorne bringt.
Das Risiko besteht dann, wenn Kolleginnen und Kollegen die Erfahrung machen, dass sich Ökologie und Soziales in demokratischen Prozessen nicht vereinbaren lassen. Dann haben Rechtspopulisten freies Feld. Deswegen sind wir auch verdammt nochmal verpflichtet, die Transformation so zu gestalten, dass im Ergebnis sich für alle die Lebenslage verbessert nd sich die Spaltung der Gesellschaft nicht weiter vertieft.
Die IG Metall ist in ihrer Geschichte immer konfrontiert gewesen mit Strukturbrüchen: Von der Industriellen Revolution mit Kinderarbeit über die Einführung des Fließbands bis zum Einzug des Computers. Jedes Mal gab es Befürchtungen, auch mal blutige Nasen, nicht alles war erfolgreich, aber im Kern haben wir es doch geschafft, Menschen bessere Arbeitsbedingungen und mehr Wohlstand und Beteiligung zu organisieren. Mit dem Selbstbewusstsein gehen wir auch an die heutigen Themen.
Das Interview ist am 30. September 2019 in der Braunschweiger Zeitung erschienen. Autorin: Hannah Schmitz
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