29. Dezember 2018
Interview mit IG-Metall-Chef Jörg Hofmann
„Ich kann nicht zum Dieselkauf raten“
Jörg Hofmann, der Vorsitzende der IG Metall, spricht mit uns über Fahrverbote, die Rolle Chinas bei der Elektromobilität und die Hürden der Digitalisierung.

2018 war auch für Deutschlands größte Gewerkschaft, die IG Metall, kein leichtes. Die wirtschaftliche Lage ist zwar vergleichsweise gut, doch viele Themen wie die Diesel-Krise sorgen für Unruhe – und bedrohen Arbeitsplätze.


Die Umwelthilfe setzt Stadt für Stadt gerichtliche Fahrverbote durch. Wie groß ist Ihr Ärger über Herrn Resch?

Jörg Hofmann: Groß, weil er unsauber spielt. Aber ich ärgere mich auch über das Nichtstun von Politik und Automobilkonzernen.


Der Staat subventioniert die Diesel-Umrüstung von Bussen, Taxen, Müllwagen und Transportern von Handwerkern und Lieferdiensten bis zu 80 Prozent.

Eine gute, wirkungsvolle Maßnahme, weil sie bei intensiv genutzten Fahrzeugen ansetzt. Der private Pkw wird eine Stunde am Tag betrieben, der Bus fährt den ganzen Tag. Insofern kann man das schon rechtfertigen.


Der Privatmann mit Dieselfahrzeug bleibt aber im Regen stehen. Ist das gerechtfertigt?

Nein, weder gegenüber den Bürgern noch den Beschäftigten, deren Arbeitsplätze bedroht sind. Die Politik muss ihre Blockadehaltung aufgeben. Obwohl Verkehrsminister Scheuer es zugesagt hatte, hat er bis heute nicht festgelegt, unter welchen Bedingungen die Fahrzeuge welche Grenzwerte erreichen müssen. Hätten wir hier Grenzwerte, die anspruchsvoll aber erreichbar sind, wären wir schon viel weiter. Diese Verzögerung ist unerträglich.


Können Sie den Menschen in der heutigen Zeit guten Gewissens zum Kauf eines Diesels raten?

Was die Technik angeht, ja. Die neuen Diesel sind objektiv klimafreundlicher als jeder Benziner. Gleiches gilt für den NOX-Ausstoß. Das ist die umweltfreundlichste Verbrennungstechnologie auf dem Markt. Und wir brauchen den Diesel, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Auf der anderen Seite kann man angesichts drohender Fahrverbote nicht wirklich zum Kauf raten, wenn der Marktwert des Fahrzeuges Woche für Woche bei jedem weiteren Fahrverbot abnimmt.


Setzen wir zu einseitig auf Elektromobilität? Was ist mit Brennstoffzellen oder synthetischen Kraftstoffen?

Wir sind im Pkw-Bereich in einem Tunnel, weil die Chinesen das Thema Elektromobilität so pushen. China setzt auf vollelektrische Fahrzeuge. Das prägt den Weltmarkt. Trotzdem sollten Automobilindustrie und Regulationsbehörden Alternativen wie die Brennstoffzelle oder synthetische Kraftstoffe weiter im Auge behalten. Die wesentlichere Frage ist: Auf welche Technologie setzt der notwendige Infrastrukturausbau? Der wird die Technologie bestimmen. Und hier gibt es viel zu zaghafte Schritte bei der Elektromobilität.


Was können wir von den Chinesen beim Aufbau der Infrastruktur lernen?

Weshalb hat die Politik noch keine Idee, wie sie die Energieversorger dazu bringen kann, die notwendigen Verteilnetze auszubauen? Wenn man heute eine Schnellade-Tankstelle haben will, benötigt man daneben entweder ein kleines Kraftwerk oder ein gekühltes Erdkabel mit sieben Zentimetern Durchmesser. Um ein solches Netz aufzubauen sind – vorsichtig geschätzt – zehn bis 15 Jahre und zig Milliarden Investitionen nötig. Aber die Regierung hat zum Ausbau – wie es scheint – noch nicht einmal eine Idee und auch nicht die Hebel, wie dies gelingen soll. Ein Beispiel unter vielen. Ich hab‘ die Nase voll von dieser sinnlosen Zielgrößendebatte, die völlig ausblendet, was wir konkret tun müssten.


Die Digitalisierung wird unsere Gesellschaft nicht nur auf den Straßen, sondern auch im Büro oder Werk verändern. Was überwiegt bei Ihnen: Optimismus oder Zweifel angesichts der Digitalisierung?

Ich bin nicht der Pessimist vor dem Herrn, aber es gibt zwingende Gestaltungsnotwendigkeiten. Wir werden neue Geschäftsmodelle durch die Digitalisierung bekommen, wir werden aber auch sehen, dass Jobs nicht mehr benötigt werden. Deshalb müssen wir schauen, wie wir Menschen aus der alten Welt in die neue, digitale Welt durch Qualifizierung mitnehmen.


Qualifizierung hat auch Grenzen. Nicht jeder bringt das Potenzial mit, um mit den steigenden Anforderungen klarzukommen.

Es stimmt, dass nicht jeder alles kann. Aber es werden ja nicht nur hoch qualifizierte Jobs entstehen. Wir werden als IG Metall aber darauf achten, dass Industriejobs zu guten Arbeitsbedingungen und fairen Löhnen entstehen.


Man hat häufig den Eindruck, dass vor allem Kleinbetriebe noch nicht verstanden haben, was da auf sie zurollt.

Es gibt eine Untersuchung des IAB, wonach erst 14 Prozent der Unternehmen in der Metall- und Elektroindustrie Digitalisierung heute in ihrem Geschäftsmodell integriert haben. 30 Prozent beschäftigen sich damit zumindest oder haben erste Industrie-4.0-Anwendungen wie Roboter oder Künstliche Intelligenz. Aber der Rest hat halt noch gar nichts. Es ist die Frage, ob die noch rechtzeitig umsteuern oder irgendwann aufwachen und feststellen, dass ihr Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Wer sich da nicht vorbereitet, spielt Vabanque mit den Beschäftigten und ihren Zukunftsperspektiven.


Welchen Beitrag kann die IG Metall leisten?

Wir wollen 2019 einen Transformationsatlas erstellen und aufzeigen, wo die Hotspots der Veränderungen sind. Den klassischen Außendienst-Techniker im Maschinenbau werden Sie bald nicht mehr haben. Programme erkennen vorausschauend, wann ein Bauteil verschlissen ist und schicken dann automatisch eine Wartungskraft raus, der es unter Anleitung austauscht. Auch im Büro werden viele standardisierte Abläufe von KI und Computern übernommen. Da gibt es ein Einsparpotenzial von 30 Prozent der Stellen. Oder die Werkslogistik: Die großen Automobilfirmen investieren schon in die menschenfreie Logistik. Zugleich zeigen wir mit dem Transformationsatlas auf, wo zusätzliche Beschäftigung geschaffen wird. So liefern wir unseren Beitrag zu einer Versachlichung der Diskussion.


Quelle: Rheinische Post. Das Interview erschien am 29.12.2018. Autor: Maximilian Plück.


Umwelt & Energie

    Neu auf igmetall.de

    Link zum Artikel