Einen ungewöhnlichen Weg geht die IG Metall in diesem Jahr bei den Tarifverhandlungen für Deutschlands größte Industriebranche, die Metall- und Elektroindustrie: Sie hat keine Lohn-Prozente gefordert, sondern verhandelt mit den Arbeitgebern über ein „Zukunftspaket“, um den massiven Strukturwandel zu bewältigen. Bis Ostern hofft Gewerkschaftschef Jörg Hofmann auf eine Einigung, sagte er im Interview.
Jörg Hofmann: Das ist im Moment extrem schwierig abzuschätzen. Noch ist die Metall- und Elektroindustrie nicht in voller Breite getroffen. In China hat die Epidemie zu deutlichen Einbrüchen geführt. Aber nach den chinesischen Neujahrsferien läuft der Großteil der chinesischen Fabriken wieder, wenn auch nicht mit allen Schichten und nicht in den Krisenregionen. Ich rechne schon – getrieben durch die staatliche Wirtschaftspolitik – mit einer Aufholjagd im Lauf des Jahres.
Nein. Das zweite ist, dass Lieferketten reißen. Bisher ist das allerdings noch nicht passiert. Das dritte Risiko liegt hierzulande, wenn Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten oder für Infizierte nötig sind. Das ist völlig offen. Auch Quarantäneanordnungen mit der Sperrung von Regionen sind möglich. Wir müssen vorbereitet sein, um im Fall des
Falles schnell reagieren zu können.
An drei Dinge. Die Arbeitgeber sind in der Pflicht zur Entgeltfortzahlung, wenn die Produktion stillsteht. Bei längeren Ausfällen kann ihnen Kurzarbeit helfen. Das macht nur Sinn, wenn der Zugang erleichtert und die Nettoentgelte abgesichert werden, sonst würde dies eine Rezession verstärken. Teilweise gibt es dafür wie in Baden-Württemberg tarifliche Lösungen, teilweise muss das betrieblich vereinbart werden. Bei Produktionsausfällen gerade in kleinen und mittleren Firmen brauchen wir Überbrückungskredite. Da sind die Banken in der Verantwortung, die Betriebe tun sich aufgrund der Regulierung schwer, das zu stemmen.
Das wäre eine Möglichkeit. Man könnte auch Regulierungsvorschriften zeitweise lockern, damit Firmen nicht zwingend laufend neu bewertet werden müssen. Außerdem muss der Staat mit einer aktiven Investitionspolitik gegensteuern. Das hilft nicht von heute auf morgen, ist aber ein mittelfristiger Impuls, Wachstumsausfälle auszugleichen.
Es verstärkt die hohe Unsicherheit, die wir bezüglich der konjunkturellen Situation ohnehin hatten. Es zeigt sich, wie richtig es war, die Tarifrunde sehr flexibel anzulegen und uns nicht gleich auf eine bezifferte Lohnforderung festzulegen. Wir machen sicher keinen „Corona-Abschluss“, sondern wollen nachhaltige Lösungen, um den Strukturwandel sicher für die Beschäftigten zu gestalten.
In fast allen Regionen gab es die ersten Gespräche mit den Arbeitgebern. Das war wie immer ein gegenseitiges Abtasten. Ergebnisse gibt es noch nicht. Der Fahrplan ist sportlich: bis Ostern wollen wir zu einem Ergebnis kommen. Wir haben mit dem Moratorium für Beschäftigung eine andere Form von Tarifrunde angeboten. Es muss sich jetzt zeigen, ob die Arbeitgeber und ihre Verbände in der Lage sind, ordnungspolitisch verantwortlich zu handeln, oder ob es doch nur mit dem Protest auf der Straße geht. Ich bin gespannt, ob das Experiment gelingt.
Wir haben bewusst ein Zeichen gesetzt, dass wir ein konstruktives Miteinander mit den Arbeitgebern wollen. Das hat manche bei den Arbeitgebern durcheinandergebracht. Einige konnten es tatsächlich nicht lassen, den Start der Gespräche mit Gegenforderungen zu belasten. Wir haben auf eine konkrete Lohnforderung verzichtet, sie kommen
mit der Forderung, die Entgelte auf lange Zeit faktisch einzufrieren. Jeder weiß: Das geht mit der IG Metall nicht. Die Arbeitgeberverbände scheinen viel stärker an Ritualen zu hängen als die IG Metall.
Unsere Umfrage in den Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie hat gezeigt, dass die Hälfte der Unternehmen keine Vorstellung hat, wie ihr Geschäftsmodell in der Zukunft aussieht. Wir möchten nicht unternehmerisches Nichtstun am Ende mit Sanierungstarifverträgen und Belegschaftsop-fern ausbaden, sondern viel früher in die Diskussion einsteigen. Die mittelfristige Strategie des Unternehmens, notwendige Investitionen und neue Produkte müssen ebenso mit der Arbeitnehmervertretung debattiert werden wie Beschäftigung und Qualifizierung – und das, solange es noch Alternativen gibt. Die Arbeitgeber müssen sich verpflichten, über einen Zukunftstarifvertrag zu verhandeln, wenn das die Betriebsräte und die IG Metall wollen. Demokratisierung bedeutet Mitsprache, aber auch Mitverantwortung für wirtschaftliche Entwicklung.
Wer verstanden hat, dass Transformation nur gelingt, wenn man die Belegschaft mitnimmt, ist da offen. Aber das haben nicht alle kapiert.
Das Wirtschaftswachstum wurde in den letzten Jahren weniger durch den Export getragen als durch einen gestiegenen privaten Konsum. Es wäre hirnrissig, von der Politik abzugehen, die Kaufkraft zu stärken. Es muss mehr geben als nur einen Inflationsausgleich. Wie viel, entscheidet der Blick auf das Gesamtpaket.
Wir brauchen endlich, 30 Jahre nach dem Mauerfall, eine Lösung. Wenn wir das nicht in einem Flächentarifvertrag schaffen, dann werden wir es in den einzelnen Betrieben erreichen.
Ich sehe Bereitschaft bei den Arbeitgebern, konstruktiv daran zu arbeiten. Die Zeit ist nicht üppig, aber ausreichend, wenn man will.
Wir haben uns mit den Arbeitgebern verständigt, dass wir unsere Forderung erst bis zum 21. April übergeben müssen. Ab dem 28. April wären wir aus der Friedenspflicht. Dann wäre der 1. Mai ein schöner Auftakt. Aber ich will, dass das Experiment gelingt.
Das Interview ist am 6. März 2020 in der Südwestpresse erschienen. Autor: Dr. Dieter Keller
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