Essen – Während die Wirtschaft nach den Corona-Lockerungen langsam wieder hochfährt, verharrt die Industrie im Krisenmodus. Die Aufträge bleiben aus, die Lieferketten sind unterbrochen, jedes siebte Unternehmen erwartet aktuell Geldengpässe. Das geht aus einer bundesweiten Betriebsumfrage der IG Metall hervor, die unserer Zeitung vorliegt. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann sieht die Industrie trotz des Konjunkturpakets vor einer langen Durststrecke.
Auf die Frage, ob in der Industrie wie in der Gesamtwirtschaft die Talsohle erreicht sei, sagte Hofmann im Gespräch mit unserer Zeitung: „Leider nicht. Die Metall- und Elektroindustrie sowie der Stahl befinden sich noch im Abwärtsstrudel. In Branchen wie dem Maschinenbau und dem Anlagenbau schlagen die Auftragseinbrüche erst jetzt richtig durch, über 20 Prozent der Betriebe haben erst im Mai oder Juni mit Kurzarbeit begonnen.“
Besonders die exportabhängige deutsche Industrie leide nach wie vor unter der globalen Rezession. In der aktuellen Phase werde sich zeigen, wie weit die Kurzarbeit noch trage und wann die Betriebe begännen, ihre Kosten verstärkt durch Personalabbau zu senken. Noch befänden sich allein in der Metall- und Elektroindustrie über zwei Million Beschäftigte in Kurzarbeit. Hofmann sieht „Hunderttausende Stellen in Gefahr“, durch drohende Insolvenzen seien „150.000 Arbeitsplätze akut bedroht“, wenn nicht schnell sichtbar konjunkturelle Impulse gesetzt werden. Eine Umfrage der IG Metall in den Betrieben ihrer Branchen zeichnet ein düsteres Lagebild: Sieben von zehn Betrieben fahren Kurzarbeit, Tendenz immer noch steigend. Denn die Auftragslage bleibt kritisch: Bei 17 Prozent der Betriebe ist der Auftragseingang völlig abgebrochen, bei über 50 Prozent auf Krisenniveau. Auch, wer Aufträge hat, kommt nur schwer in Gang, weil die Lieferketten bei mehr als jedem zweiten Betrieb gestört bis akut gefährdet sind.
Das zeitigt Folgen in den Kassen: Fast jeder zehnte Betrieb hat aktuell Liquiditätsengpässe, jeder siebte (14,1 Prozent) erwartet für die kommenden vier bis sechs Wochen, dass das verfügbare Geld knapp wird. Am größten sind die Sorgen in der Stahlindustrie (21,7 Prozent) und in der Metallerzeugung (19,4 Prozent), wo bereits jeder fünfte Betrieb Liquiditätssorgen hat. Das geht in vielen Betrieben auch mit einem erhöhten Insolvenzrisiko einher, hiervon betroffen sind vor allem kleine und mittelständische Betriebe mit weniger als 200 Beschäftigten.
Die Sorgen der Industrie kommen dem Chef der größten deutschen Einzelgewerkschaft im Konjunkturpaket der Bundesregierung zu kurz. Mit Überbrückungshilfen für kleine und mittelgroße Unternehmen sowie der Förderung klimafreundlicher Technologien enthalte es gute Elemente, die mittel- und langfristig wirkten. Von den 130 Milliarden Euro ziele aber nur der kleinere Teil, etwa 35 Milliarden Euro, auf die kurzfristige Belebung der Konjunktur. Dabei sei offen, was etwa die Senkung der Mehrwertsteuer bringe. „Das ist eher eine Schrotflinte. Restaurants werden sie nutzen, um mehr zu verdienen, statt die Preise zu senken – was in ihrer Situation nachvollziehbar ist, aber den Konsum nicht steigert“, sagte Hofmann. „Und die Autohersteller werden damit vor allem SUV und großräumige Fahrzeuge bewerben, weil sie die größten Gewinnmargen bringen.“
Er hätte sich daher „zielgenauere Impulse wie die Umweltprämie gewünscht“. Dass er nach seiner Kritik an der SPD-Spitze, die diese Umweltprämie verhindert hatte, als Wahrer klimaschädlicher Industrien hingestellt wurde, mag er nicht so stehen lassen. Die Mehrwertsteuersenkung fördere nun „vor allem Autos der höheren Preisklasse, egal was aus dem Auspuff kommt. Das soll klimafreundlicher sein?“, fragt Hofmann rhetorisch. Eine konditionierte Prämie hätte dagegen vor allem den Absatz kleinerer, sparsamer Wagen angeschoben.
Es gehe ihm auch keineswegs darum, Lobbyarbeit für die Autoindustrie zu machen. Dass sie viel an Reputation verspielt habe, daran seien nicht die Beschäftigten Schuld. „Die Autoindustrie ist nun einmal die deutsche Schlüsselindustrie, an der auch der Stahl, die Gießereien, Autozulieferer, Werkzeugbauer, Teile der Textilbranche und Elektrozulieferer hängen.“ Vor allem NRW mit seiner Stahlindustrie, den Gießereien und vielen Zulieferern hätte von einer Prämie, wie sie die IG Metall vorgeschlagen hatte, profitiert, so Hofmann.
Nun gebe es die Sorge, dass die Hersteller den Kostendruck noch massiver auf die Zulieferer abwälzten, etwa zu billigerem Stahl griffen. Unternehmen wie Thyssenkrupp oder die Deutschen Edelstahlwerke (DEW) aus Witten litten besonders unter den Produktionsstopps der Autobauer.
Hofmann betonte, dass Klimaschutz und Industrie keine Gegensätze seien, sondern eine klimaneutrale Wirtschaft nur gemeinsam mit der Industrie zu erreichen sei. Sie dürfe nicht in die Schmuddelecke gestellt werden. „Wir müssen mehr darüber reden, wie wir Prozesse und Produkte CO 2-frei bekommen.“
Das Konjunkturpaket enthalte etwa mit der Wasserstoff-Strategie gute Ansätze dafür, die aber erst in einigen Jahren wirken könnten. „Die Industrie muss bei der Dekarbonisierung der Wirtschaft mitgenommen werden, etwa bei der Umstellung auf grünen Stahl“, wirbt Hofmann.
Mit Wasserstoff statt Kokskohle gekochter grüner Stahl sei eine Chance für Thyssenkrupp, DEW und andere Stahlhersteller. Nur müsse ihn auch jemand kaufen, wofür der Preis konkurrenzfähig bleiben müsse. „Die Stahl-Erträge werden für den teuren Umstieg auf Wasserstoff nicht reichen, das geht nur mit langfristigen Subventionen“, sagt Hofmann. Und auch die nützten nur, wenn die Unternehmen diese Krise überleben.
Der Artikel ist am 20. Juni 2020 in der Westdeutschen Allgemeinen erschienen. Autor: Stefan Schulte
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