Jörg Hofmann: Ich erwarte, dass wir vor allem darüber reden, wie trotz Mobilitätswende Sicherheit für die Beschäftigten ermöglicht wird und für sie Perspektivenentstehen.
Sie muss endlich die notwendigen Instrumente zur Verfügung stellen: Sie muss den Zugang zum Kurzarbeitergeld erleichtern, damit statt Entlassung Brücken in die Automobilproduktion von morgen gebaut werden können. Unternehmen müssen bei den Kosten, die durch Kurzarbeit entstehen, entlastet werden, vor allem wenn sie die Beschäftigten qualifizieren. Dort, wo Arbeitsplatzverlust droht, muss das Transferkurzarbeitergeld von 12 auf 24 Monate verlängert werden für die Qualifizierung auf neue Jobs.
Vor allem ist Handeln angesagt. Das Thema darf nicht im Koalitions-Mikado stecken bleiben und über Monate vertagt werden. Daran hängen Hunderttausende Beschäftigte. Darumgehört das Thema ins Kanzleramt.
Ja. Die Politik hat verstanden, dass Klimaschutz und Mobilitätswende ohne sozialstaatliche Abfederung nicht zu schaffen sind. Die immer neuen Ankündigungen von Personalabbau und Standortschließungen in der Autoindustrie dürfen nicht einfach hingenommen werden. Wenn den Menschen keine Perspektive geboten wird, leidet die gesellschaftliche Mehrheitsfähigkeit der Klimapolitik.
Nein. Spätestens mit unserer Großkundgebung im Juni vergangenen Jahres haben wir auch öffentlich klargemacht, dass Klimaschutz und Ökologie für uns nicht verhandelbar sind. Wir wollen den Umbau: ökologisch, sozial und demokratisch. Denn er wird kommen, mit uns oder ohne uns – und wir wollen ihn lieber mitgestalten.
Das ist ein schwieriger Prozess in einer Großorganisation, aber er setzt sich durch. Mich beunruhigt eher, was in einer Reihe von Betrieben geschieht.
Wir haben uns vor Weihnachten nochmals alle Betriebe angeschaut, die im Automobilbau am Verbrennungsmotor hängen. Bei 432 Betrieben macht die Verbrennungstechnologie 75 bis 100 Prozent der Aufträge aus. Fast die Hälfte davon hat dazu noch keinerlei Alternative oder einen Plan, da arbeiten rund 100000 Menschen. Da liegt die wahre Brisanz: Wie können wir Druck erzeugen, dass sich diese Arbeitgeber auf den Weg in Richtung neuer Wertschöpfung machen? Davon hängt die Zukunft vieler Menschen ab.
Gegenwärtig ist es dringlich, die Kurzarbeit auch für strukturell bedingte Problemlagen zu öffnen. Überall, wo Perspektiven bestehen, muss Personal auch dann gehalten werden, wenn es in Umbruchphasen noch nicht ausreichend Beschäftigung gibt. Es geht nicht darum, den Strukturwandel aufzuhalten, sondern ihn nicht zur Bedrohung werden zu lassen. Außerdem brauchen wir neben fundierter Berufsausbildung Modelle, die es ermöglichen, sich auch während des Erwerbslebens neu zu orientieren und weiterzubilden. Dafür brauchen Menschen vier Dinge: eine gute Beratung, ein Angebot, Zeit und auch Geld, damit man sich das leisten kann. Da liegen die Aufgaben der Politik.
Das ist so. Deshalb können wir es uns nicht leisten, den Kopf in den Sand zu stecken. Wir können nicht wie die englische Bergarbeitergewerkschaft in den Achtzigerjahren reine Abwehrschlachten um den letzten Arbeitsplatz der Vergangenheit führen. Das war deren Ende. Es gibt ja auch große Chancen für uns. Wenn die Menschen merken, dass sie in dieser Veränderung einen starken Partner brauchen, der in ihrem Interesse und mit ihrer Beteiligung die Zukunft mitgestaltet, sind Gewerkschaften wieder gefragt.
Jede Tarifrunde ist kompliziert.
Unsere Aufgabe ist es, gute Ergebnisse für die Beschäftigten zu erzielen. Mein Eindruck ist, die andere Seite redet ihr Produkt schlecht. Jeder Vertrag hat zwei Unterschriften. Niemand hat irgendetwas abgepresst, es wird auch keiner unter Drogen gesetzt.
Das hängt vom Verlauf ab. Wir brauchen das Instrument, wenn mal ein Ruck am Verhandlungstisch notwendig sein sollte, und beim letzten Mal war das der Fall. Mit den 24-Stunden-Streiks können wir bis zum Schluss in der ganzen Republik Druck machen.
Wir hätten auch gern Bausteine, unter denen wir auswählen können. Ich glaube nur, Rosinenpickerei bringt uns nicht weiter in der Tarifpolitik.
Das tut es doch. Ein Tarifvertrag definiert Mindestbedingungen. Heute verdient ein Arbeitnehmer bei BMW deutlich mehr als bei einem mittelständischen Zulieferer. Es gibt auch regionale Unterschiede. Zum anderen enthalten die Tarifverträge aus der Vergangenheit viele Differenzierungsmöglichkeiten, bei der Arbeitszeit oder etwa beim Entgelt.
Lohnzurückhaltung heißt, wir verzichten auf etwas, das der Verteilungsspielraum zulässt. Das werden wir nicht machen. Ob sich das alles in Euro oder auch in anderen Komponenten darstellt, ist eine zweite Frage. Wir werden auch über die Sicherung von Arbeitsplätzen sprechen müssen. Unabdingbar ist, dass die Realeinkommen gesichert werden. Die Beschäftigten werden als Verbraucher mehr für den Klimaschutz bezahlen müssen. Gleichzeitig kommen ihre Arbeitsplätze unter Druck. Es kann nicht sein, dass sie die Kosten der Transformation allein tragen. Deshalb müssen Klimaschutz und Verteilungspolitik miteinander verwoben werden. Nicht zuletzt darum wird es auf dem Autogipfel gehen.
Das Interview ist am 11. Januar 2020 im Spiegel erschienen. Autor: Markus Dettmer.
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